Nicht nur Mönche glauben, dass die Insel Koh Samui in Thailand eine heilende Wirkung hat – eine Reise über Körper, Geist und Seele in das völlig stressbefreite Ich

Der Plan war wie folgt: Ich würde eine Woche in einem Wellness-Resort verbringen, nichts tun, in der Sonne liegen, kaum essen und am Ende drei Kilo leichter wieder nach Hause kommen. Ziele brauchen Zahlen, das bin ich als Organisations-Junkie gewohnt. Es kam anders: Ich boxte und dehnte mich, dass es nur so krachte, verbrachte viel Zeit in einer Höhle und aß bereits zum Frühstück Guacamole. Die besten Reisen sind die unerwarteten.

Am Anfang war der Gong. Dong! Dong! Dong! Der Klang erfüllt die Eingangshalle des Kamalaya Resort im Süden von Koh Samui und lässt den eigenen Körper vibrieren. Ich weiß nicht, ob ich mich an Ohren oder Bauch fassen soll. Die Dame an der Rezeption lächelt gütig und sagt: „So hört sich der Startschuss zu einem neuen Leben an.“ Schon da hätte ich mir denken können, dass dies kein normaler Urlaub wird. Aber ich war noch zu müde vom langen Flug und dachte nur an Kaffee. Oh, Kaffee gäbe es leider die ganze Woche nicht. Genauso wenig wie Fleisch, Eiweiß, Alkohol, Zucker oder irgendwelche Zusatzstoffe. Kein Problem, gähnte ich, ich wolle ohnehin nichts essen. Oh, lächelte die Dame wieder gütig: „Das werden Sie aber. Und danach brauchen Sie nie wieder Kaffee.“

Das Kamalaya (Sanskrit für Lotus-Reich) verspricht viel. Es will Körper, Geist und Seele wieder in Einklang bringen, das eigene Potenzial an Selbstheilungskräften unterstützen, unsere Achtsamkeit schulen und „das Leben im Moment“ ermöglichen.

Ein Luxus-Aschram, in dem alle Walle-walle-Kleider tragen und Mantras singen? Gerade werde ich skeptisch, da schlendert der Regisseur Oliver Stone in Badehose an mir vorbei und bestellt sich einen Detox-Drink. Ich beruhige mich. Wenn einer weiß, wie man am besten jung und schön wird, dann jemand aus Hollywood. Hier bin ich also genau richtig.

Zur Einstimmung besuche ich einen Anti-Stress-Vortrag. Ich selbst verspüre keinen Stress, wohlgemerkt, ich bin nur neugierig. Der indische Dozent erzählt, wie er seinen Job als Banker ohne zu kündigen aufgegeben hat. Er ist einfach aus der Tür gegangen. „Langeweile ist ein Energiefresser und verursacht genau wie Überarbeitung Stress“, sagt er. Seine Zuhörer scheinen maximal 40 Jahre alt zu sein. Der Weltschmerz wird immer jünger. Einer spricht von Burn-out, ein anderer von Bluthochdruck und Freizeitstress. Ich frage mich, ob man 10.000 Kilometer fliegen muss, um sich zu entspannen. Es ist bestimmt nicht so, dass Zivilisationskrankheiten nur abseits der Zivilisation zu heilen wären, aber es hilft vielleicht, die alte Umgebung zu verlassen. Ein neuer Ort ermöglicht neue Verhaltensweisen. Also, auf zur Traumfigur.

„Sie sollten nicht noch weniger essen“, sagt meine Ärztin Joanne bei der Eingangsuntersuchung. „Ihr Fettwert ist auf der untersten Skala.“ Ich bin enttäuscht. Was soll ich denn dann hier? Wieder ernte ich dieses milde, ungekünstelte Lächeln, das sonst nur Buddha-Figuren hinbekommen. „Wie wäre es, wenn wir uns um Ihre brüchigen Knochen kümmern? Um Ihre Bauchschmerzen, Nackenverspannungen und Ihren schlechten Schlaf?“ Ich nicke kleinlaut. Joanne hat seit 28 Jahren keine Schmerztablette oder irgendeinen anderen Kram nehmen müssen, sie ist so etwas wie ein Detox-Prototyp, ein Vorbild für alle Gesundheitsjünger. Bei den Behandlungsarten wird klar, dass das Kamalaya eine Schnittstelle zwischen östlicher und westlicher Medizin darstellt. Es gibt Akupunktur, Massagen, Ayurvedagüsse, Phytotherapie, Infrarotsaunen, Lymphdrainage, Homöopathie und – bevor es richtig losgeht – die „Body Bioimpedance“-Analyse. Dabei wird elektronisch die Komposition der Zellen gemessen. Sicher tanzen sie bei mir wild durcheinander und harmonieren zusammen wie Noten von Schönberg, also gar nicht. „Oh, doch!“, sagt Joanne. „Ihrem Körper geht es gut, wir werden uns um Ihren ruhelosen Geist kümmern müssen.“

Ich bin nicht so gut im Ausruhen. Beim Yin-Yoga am nächsten Morgen schaue ich unentwegt auf die Uhr, und in den Gähn-Momenten (andere nennen sie Entspannungsphasen) mache ich heimlich Sit-ups. Ich komme mir vor wie ein unartiges Kind, aber mein Bewegungsdrang ist größer als mein Schuldgefühl. Ich bewundere stets, wie andere Leute am Strand einfach so auf den Horizont gucken können. Da ist nichts los, man sieht Wasser und Himmel und ein Stück Unendlichkeit, wenn man wie ich zur Metaphorik neigt. Aber reicht das als Beschäftigung? Als Strafe für so wenig positives Karma bekomme ich M. – M. ist keine Tropenkrankheit, sondern mein Personal Trainer, der mich in den folgenden Tagen immer wieder anbrüllen wird, fester zuzuschlagen. Wir üben Thaiboxen, und je mehr ich gegen seinen Block trete, desto besser lösen sich meine Blockaden.

Zumindest die muskulären. Im Kopf bin ich noch drei Tage später verkrampft – was beim Chi Nei Tsang festgestellt wird, einer Bauchmassage, die mir die Tränen in die Augen treibt. „Auch wenn du es nicht hören willst, du bist gestresst“, behauptet der Masseur. „Du hältst zu oft den Atem an. Es sind nicht die Organe, die so wehtun, es sind deine Gedanken. Werde sie los.“ Loswerden? Ich kann sie schlecht abschneiden wie Haare. Wie wird man Gedanken los? „Durch Meditation“, meint Karina Stewart, eine der Gründerinnen des Kamalaya. Die Mexikanerin begann bereits im Alter von 14 Jahren zu meditieren; sie hat in Kalifornien und Nepal gearbeitet und gilt als absolute Expertin für Naturheilverfahren, Yoga, Spiritualität und Meditation, und sie sieht genauso aus. Ich stelle mir vor, Roy Lichtenstein hätte Karina mal gesehen, wie sie hier durch das Restaurant wandelt, und ein Bild dazu gemalt. In die Gedankenblase über ihrem Kopf hätte er garantiert ein großes „Om!“ geschrieben.

„Wir sind so erzogen worden, dass uns der denkende Geist ausmacht“, erklärt Karina. „Diese Identifikation beim Meditieren aufzuheben ist schwierig, doch es gelingt, wenn man sich immer wieder sagt: Ich bin nicht meine Gedanken.“ Da über meinem Kopf nun ein großes Fragezeichen schwebt, hilft sie mit einem Bild weiter: „Stell dir einen Himmel mit Wolken vor. Die Wolken sind Gedanken. Lass sie ziehen, folge ihnen nicht. Du bist nicht die Wolken, du bist der blaue Himmel.“ In dem Sinne bedeutet Meditation das Gegenteil der Aufklärung mit dem Leitsatz: Ich denke, also bin ich. Immanuel Kant wäre sicher kein guter Meditator gewesen.

Wir sitzen beim Frühstück, essen Quinoabrot, Guacamole, Müsli und jede Menge Gemüse. „Entgiften bedeutet nicht Fasten. Wir müssen nur die richtige Nahrung zu uns nehmen“, sagt Karina. Eine Kur ohne Askese? Fast zu schön, um wirksam zu sein. Wir bestellen Ingwertee mit Zimt. „Wer Milch trinkt, sieht irgendwann aus wie eine Kuh.“ Karina ist überzeugt, dass Essen nicht nur den Körper, sondern auch den Geist formt. „Zucker evoziert Aggressionen, Zusatzstoffe und Hormone beeinflussen unsere Stimmung. Die Welt wäre eine friedlichere, wenn die Menschen sich gesünder ernähren würden.“ Doch wer traut sich schon, einem Diktator eine Detox-Kur vorzuschlagen?

Karinas Mann John kommt aus Kanada, er lebte 16 Jahre lang bei einem Yogi-Meister im Himalaja. Als er im Jahr 2000 gesundheitliche Probleme bekam, ging er nach Koh Samui, weil nur hier bestimmte Heilkräuter wachsen. Als er einmal von seinem Haus zum Strand wollte, fand er zufällig den Ort, der heute das Herz des Kamalaya darstellt. Mit einer Machete kämpfte sich John den Weg durch den Dschungel bis zum Meer frei, als er plötzlich vor einer Höhle stand. Drei riesige Eidechsen kamen heraus. Andere hätten sich erschrocken, aber John glaubte, eine bestimmte Energie zu fühlen. Vielleicht ist es Einbildung, aber mir geht es genauso. Ich sitze in der kühlen Grotte und fühle das Gegenteil: Wärme. In der Höhle haben verschiedene Mönche gelebt, unter anderem der unter Buddhisten sehr bekannte Arjan Daeng, der angeblich mit allen Lebewesen kommunizieren konnte, auch mit Kobras, die sehr zahlreich mit ihm die Höhle bewohnten. Zu Beginn des Resort-Baus kamen die Schlangen noch dem einen oder anderen Arbeiter gefährlich nahe, heute befinden sich zum Glück nur Geckos, Frösche und Schnecken auf dem Gelände. Davon allerdings jede Menge.

Die Wege im Resort sind verschlungen. Beim Gang die Hänge hoch und runter muss man genau hinsehen, dann entdeckt man ständig einen anderen Weg. Die Architektur der Anlage scheint ihre eigene Lektion mit sich zu bringen. Die Villen sind wie Würfel in den Dschungel geworfen; da, wo zufällig eine Ecke frei war, haben sie ihren Platz gefunden. Meine Badezimmerwand beispielsweise besteht aus einem riesigen Findling. Fernseher und Radios gibt es nicht, die Gäste sollen zur Ruhe kommen. Auch die Hunde am Strand geben keinen Mucks von sich. Koh Samuis Beruhigungseffekt wirkt sogar auf Tiere.

Die Wirkung der Insel erkannten als Erste die buddhistischen Mönche. Sie glauben, dass Koh Samui eine spezielle Energie ausstrahlt. Hier fühlen sie sich mit dem Universum verbunden, hier soll das Qi besonders gut fließen. Wer Heilung und Erleuchtung sucht, für den ist Koh Samui also ideal. Es gibt wundervolle Tempel und Pagoden, die aussehen wie fröhliche Farbpaletten. Im Gegensatz zu unseren dunklen Kirchen sind sie steingewordenes Licht.

Die Thailänder verbeugen sich demutsvoll vor fast jedem Tempel, an dem sie vorbeikommen. Ich frage eine Kamalaya-Mitarbeiterin, wofür sie gerade gebetet hat. „Ich bedanke mich jeden Tag, dass ich eine so schöne Arbeit habe“, sagt sie. Wäre es vorstellbar, dass meine Kollegen und ich jeden Tag ein „Danke für den Job“ sprechen würden?

„Eure Arbeit würde euch zufriedener machen“, sagt Arjan Sathit, den ich am nächsten Tag am Tempel Leam Sor treffen darf. Der Mönch ist um die 80 Jahre alt, er weiß es nicht genau. Viele Buddhisten kommen nur nach Koh Samui, um einmal mit ihm meditieren zu dürfen. Arjan Sathit strahlt eine großväterliche Gelassenheit aus, doch wenn er lacht, wirkt er wie ein Kind. Worin unterscheidet sich sein Glück von unserem? „Für euer Glück braucht ihr oft Zusätze: ein schönes Essen, einen Kinobesuch, ein neues Kleid. Ich kann nur durch mich selbst vollkommen glücklich sein.“

„Es liegt bestimmt an den Mönchen, dass so eine tolle Energie herrscht. Als ich ankam, hatte ich in den ersten Tagen das Gefühl, als hätte man mir eine Überdosis Koffein verabreicht, wie ging es dir?“, fragt Sandi, die Akupunkteurin, der ich nicht antworten kann, weil sie gerade viele lange Nadeln in meinen Bauch steckt. „Ich dachte immer, ich sei geduldig. Aber das Leben hier hält dir den Spiegel vor. Ich hatte keine Ahnung, wie viel ich noch lernen muss.“ Langsam begreife ich, dass das Kamalaya für die Gäste genauso wie für die Mitarbeiter ein als Hotel getarntes Seelensanatorium ist. Nach der Ankunft beginnt erst die eigentliche Reise.

Ursprünglich wollte Sandi auf Koh Samui nur eine Fortbildung machen, doch dann erfuhr die 36-Jährige von der offenen Stelle als Akupunkteurin und gab ihre Praxis in den USA auf, um hier arbeiten zu können. Vielen ihrer Kollegen ging es ähnlich. Koh Samui ist ein Sammelbecken für den Neuanfang, ein zur Insel gewordener Reset-Knopf.

„Wir wollen nicht missionieren“, sagt Karina Stewart, „ich freue mich, wenn meine Vision Gäste positiv beeinflusst und sie ihr Leben bedeutungsvoller gestalten.“ Dazu zählen auch Elena und Dimitri. Das Paar war schon mehrmals da. „Bei unserem ersten Besuch haben wir wahnsinnig viel getrunken und gefeiert, bis uns aufging, in was für einem Resort wir gelandet waren“, sagt Dimitri. Heute trinkt er selbst zu Hause in Moskau keinen Alkohol mehr, geht schon um sieben Uhr früh zum Pranayama oder Tai-Chi. „Der Aufenthalt hat einen Schalter umgelegt.“

An meinem letzten Abend lerne ich den Weg des großen Fortschritts: Achtsamkeit beim Sprechen, Bewusstheit über das Wirken des Geistes, Gleichmut angesichts von Beleidigung. Schwere Dinge können so simpel klingen. Gewogen habe ich mich zurück in Hamburg nicht mehr, aber einige vom Herzen gefallene Steine plus eine Mülltonne voll Gedankenballast müssten mindestens 23 Kilo ergeben. Reisen erleichtert.