Heute Peking, morgen Paris - Haustausch macht's möglich. Familie Elmendorf aus Winterhude gehört zu einer neuen Generation von Reisenden

Könnten Miss Sophie und Rodney unsere Sprache sprechen - sie hätten vermutlich so einiges zu erzählen. Von Franzosen oder Südafrikanern, die mit großen Augen durch ihre geräumige Wohnung liefen, zu Silvester das Feuerwerk über der Alster bestaunten und im Sommer von Hamburg als "so beautiful" schwärmten. Vielleicht würden sie auch von zu wenig Fressen im Napf und ewig neckenden Kindern sprechen. "Sie haben sich aber noch nie beschwert", sagt Katzen-Mama Judith Elmendorf, 32. Dass die Gäste aus aller Welt, die zur Familie Elmendorf nach Winterhude kommen, sich liebevoll um ihre beiden Katzen kümmern, gehört zum Deal. Zum Haustausch-Deal.

Seit 2004 gehören Judith und Kai Elmendorf der Sharing-Gemeinde an. Sie teilen ihre Wohnung mit fremden Menschen, die weltoffen und neugierig sind. Neugierig nicht nur auf ein anderes Land, eine andere Stadt, sondern auch auf das Leben von anderen. "Das Tolle an Haustauschferien ist, dass du dich auch im Urlaub wie zu Hause fühlst, fernab vom Massentourismus. Für eine gewisse Zeit lebst du quasi das Leben eines anderen, liest dessen Bücher, gehst in sein Lieblings-Café, lernst die Nachbarn kennen", schwärmt Kai Elmendorf, 41.

"Zum ersten Mal probierten wir ein Hautausch-Angebot in Wien aus", erzählt seine Frau. "Ich fand die Idee einfach spannend, und schon der erste Urlaub war toll." Obwohl auch gleich die erste kleine Katastrophe passierte: Beim Besichtigen der Dachwohnung entwischte eine der Wiener Katzen. "Zum Glück tauchte sie wenig später wieder auf", sagt Kai Elmendorf.

Wie kommt es, dass Menschen anstatt im Hotel lieber in einer Privatwohnung Urlaub machen und im Gegenzug Tisch, Bett und Haustiere völlig Fremden überlassen? "Noch ist Haustausch keine Massenbewegung", sagt Harald Heinrichs, Professor für Nachhaltigkeit und Politik an der Leuphana Universität Lüneburg. "Jedoch zeigt eine empirische Studie zum Thema Sharing Economy, dass circa ein Viertel der Bevölkerung sozialinnovative Co-Konsumenten sind mit großer Aufgeschlossenheit für alternative Besitz- und Konsumformen wie dem Tauschen und Teilen von Dingen."

Wesentliche Treiber seien, dass insbesondere jüngere Menschen der digitalen Generation mit dem Tauschen von Informationen, Bildern und Musik im Internet vertraut sind und dies auch auf den Tausch von Gütern übertragen. "Das Internet erleichtert und ermöglicht teilweise erst den Haustausch über das direkte, persönliche Umfeld hinaus - faktisch weltweit", so Heinrichs.

Für diese Menschen seien etwa gute Sozialbeziehungen oder ein interessantes Leben wichtiger als traditioneller Besitz von Eigentum. Damit einher geht eine Renaissance des Vertrauens: "Die Menschen erkennen, dass sie nicht alles allein schaffen, sondern auf die Hilfe anderer angewiesen sind", sagt Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter Tourismusforschung bei der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Dazu passt Judith Elmendorfs Haustausch-Philosophie: "Fremde sind Freunde, die man nur noch nicht kennt."

25-mal hat das Paar schon seine Wohnung getauscht - siebenmal davon mit der bald zweijährigen Tochter Mai. Ihre Tauschpartner von Berlin bis Mallorca finden sie bei Haustauschferien und Homelink. Seit ein paar Wochen sind die Elmendorfs von einem zehnwöchigen Aufenthalt in Auckland, Neuseeland, zurück. Man merkt ihnen den Tapetenwechsel an: Trotz Erkältung strahlen ihre Gesichter, wenn sie von ihrem schönen Häuschen mit Garten erzählen, in dem Mai mit ihrem Papa Fußball gespielt hat. "Man könnte immer gleich wieder die Koffer packen und losfahren", sagt der Projektentwickler. Hat einen das Reisefieber erwischt, ist Haustausch eine ideale Urlaubsform, auch finanziell. Die Betreiber von Haustauschferien im Internet schätzen, dass man im Vergleich zu einem herkömmlichen Urlaub mit Übernachtungen in Hotels oder Ferienwohnungen zwischen 60 und 75 Prozent an Ausgaben sparen kann.

Waren es früher eher Studenten, die für wenig oder gar kein Geld auf Sofas und Luftmatratzen übernachteten, probieren nun auch zunehmend Menschen im mittleren Alter, die gebildet und urlaubserfahren sind, diese neue Urlaubsvariante aus - auch aus wirtschaftlichen Gründen. Schließlich lässt sich durch den Haustausch Geld verdienen beziehungsweise einsparen. Haustauschferien als direkter Ausläufer der Wirtschafts- und Finanzkrise? Ulrich Reinhardt macht zumindest das geringer werdende Urlaubsbudget der Deutschen für den neuen Reise-Trend mitverantwortlich. "Die einen verkürzen die 'schönsten Wochen des Jahres', die anderen lassen Gäste in ihrem Zuhause übernachten und nehmen für die Ersparnisse in Kauf, dass auch mal etwas zu Schaden kommt." Das sei aber nicht jedermanns Sache, so der Forscher. "Man sollte sich gut überlegen, ob man den Haustausch-Urlaub wirklich genießen kann, wenn Fremde sich in der eigenen Wohnung aufhalten." Der Vorteil einer privaten Unterkunft vor Ort sei natürlich, dass man sehr authentisch reisen und tiefer in eine fremde Kultur eintauchen kann.

Dies liest sich auch in den Kommentaren bisheriger Haustauscher heraus: von "kulturellem Austausch", der Zugehörigkeit zu einer "globalen Familie" und "Urlauben, die das Leben verändert haben" ist da die Rede. "Wir kämen gar nicht mehr auf die Idee, anders zu verreisen", sagt Kai Elmendorf. Zu wertvoll seien die Eindrücke, die man durch die private Unterkunft bekommt. In Barcelona etwa machte der Nachbar ihres Tauschpartners erst einmal einen Stadtrundgang mit ihnen - so bekamen sie wertvolle Insidertipps vorbei an üblichen Touristenfallen. Auch aus Peking seien sie wehmütig abgereist: "Mai war noch ganz klein. Die meisten Abende verbrachten wir einfach zu Hause in unserem Viertel und spielten mit anderen Familien an einem Springbrunnen", sagt Judith Elmendorf.

Es müssen nicht immer spektakuläre Lofts oder Traumvillen am Strand sein, die einen Urlaub ausmachen. Die gibt es aber natürlich auch. Allein bei Haustauschferien gibt es rund 44.000 Angebote in 153 Ländern. Möchte man nicht auch mal wie Cameron Diaz und Kate Winslet im Kino Haus und Leben tauschen? Dem Traummann im verschneiten englischen Cottage begegnen oder im Gegenzug die Luxusvilla in Los Angeles bewohnen, quasi für lau? Durch den Film "Liebe braucht keine Ferien" wurde die Haustausch-Idee so richtig populär, die Mitgliederzahlen von Haustauschferien schnellten prompt in die Höhe. Doch einen kleinen Haken gibt es bei der schönen Geschichte: Im wahren Leben hätte Iris wohl kaum Amandas Traumhaus ergattert. Denn es gilt: Gleich und gleich tauscht gern. Wer also eine Dreizimmerwohnung anbietet, sollte auch Ähnliches erwarten.

"Wir hatten noch nie Probleme, unsere Wohnung zu tauschen", sagt Judith Elmendorf. Im europäischen Ausland sei eine Stadtwohnung in Hamburg sehr begehrt. Vor allem Familien fänden es angenehm, dass alles für Kinder vorhanden ist, von der Wickelkommode bis zum Spielzeug. "Je flexibler man ist, was die Reisezeit und den Urlaubsort betrifft, desto einfacher ist es, Tauschpartner zu finden."

Dass die Familie zehn Wochen nach Neuseeland fahren konnte, war nur möglich, weil sie gerade in der Elternzeit und ihr Mann selbstständig ist.

Schwieriger sei es, Leute von weiter her für die Hansestadt zu begeistern. "Amerikaner und Asiaten kennen in Deutschland höchstens Berlin und München. International kann Hamburg nicht mit Paris oder London mithalten." Deshalb zeigt das Paar auf seiner Website neben Fotos seiner 130 Quadratmeter großen Altbauwohnung mit Balkon und Flügel im Wohnzimmer auch besonders schöne Hamburg-Impressionen, um Lust auf seine Heimatstadt zu machen.

In einem liebevoll gestalteten Ordner stehen wichtige Informationen zur Wohnung: etwa wie die Fenster zu öffnen sind, wo der nächste Supermarkt und das schönste Restaurant in der Umgebung zu finden sind.

Bei all ihren Tausch-Erfahrungen sei keine einzige negativ gewesen. "Außer ein paar kaputten Gläsern hat alles immer gut geklappt", sagt Judith Elmendorf. "Die fremden Wohnungen waren immer genauso wie erwartet, und auch unsere eigene war fast immer aufgeräumter als vorher." Logisch: Kein Tauschpartner möchte, dass auf ihn ein schlechtes Licht fällt. Auf den Internetseiten der Anbieter können die Teilnehmer Kommentare schreiben - so erfährt man, ob ein Tausch gefloppt ist, ebenso wie bei Hotels und professionellen Reiseveranstaltern.

Befragt nach ihrem schönsten Haustausch-Erlebnis sagt das Paar auf Anhieb "Südafrika - da konnten wir von der Terrasse aus Wale sehen!". Einmal bekamen Elmendorfs allerdings Besuch von besonders neugierigen "Nachbarn": "Eine Horde Affen überfiel unser Strandhaus und verwüstete binnen Minuten die Küche", erinnert sich Kai Elmendorf. Mit großem Gebrüll verscheuchte er die Eindringlinge. So etwas bleibt natürlich unvergessen.

Den nächsten Haustausch-Urlaub hat die Familie auch schon im Blick: Nach Kroatien oder Portugal soll es gehen. Bis zum Herbst genießen die drei aber erst einmal ihr Hamburger Heim. "So aufregend, wie das Verreisen ist", so Kai Elmendorf, "es ist auch immer wieder schön, nach Hause zu kommen."