Am Tage sind viele Städte schön. In der Hauptstadt Ungarns treffen sich Bars und Barock. Im Budapester Untergrund warten Überraschungen.

Ein Eiswürfel gilt offiziell nicht als Instrument; wird er jedoch mit seinen Kollegen in einen Shaker geworfen und mit gutem Alkohol umschmeichelt, kann eine wundervolle Melodie entstehen, die einen Cocktail zum Ohrwurm macht. Klirren, Zischen, Mixen, Anrichten, Trinken - ein Rhythmus, der nach Zugabe schreit. Insofern ist Zoltan Nagy nicht nur Barkeeper, sondern auch DJ. Wer seine Boutiq' Bar in Budapest betritt, bekommt gleich das Gefühl, das hier alles gut werden könnte: die Getränke, die Gespräche und wahrscheinlich sogar der Morgen danach. Nagys Laden liegt in der Nähe der St.-Stephans-Basilika im Zentrum von Budapest. Er ist klein, aber edel, und in ihm produziert er Hits zum Trinken. Das schafft nicht mal Dieter Bohlen. "Egészségedre!" Dieses Wort ist das einzige, das man in der schwierigen ungarischen Sprache draufhaben sollte. Prost.

Nagy trainierte sein Barkeeper-Talent in der ganzen Welt, unter anderem fünf Jahre in London, bis er 2008 zurückging in seine Heimat. "Budapest hat so viel Energie, einer der besten Orte in Europa zum Leben und zum Feiern. Ich nenne Budapest gerne das kleine Berlin", sagt Nagy. Er mixt einen Zwack & Soda, einen Cocktail mit einem Schuss Patriotismus. Seine Hauptzutat besteht aus Unicum, dem beliebtesten Bitter der Ungarn. Angeblich verdankt er seinen Namen Kaiser Franz Joseph.

Als Herrscher der k.u.k.-Monarchie hatte der Monarch früher viele Festessen zu überstehen, und als ihn mal wieder Magenschmerzen plagten, brachte man ihm einen Schnaps aus 40 Kräutern. "Das ist ein Unicum", soll Joseph nach dem Probieren gerufen haben, erzählt Nagy, während er den fertigen Drink auf die Theke stellt. Ein guter Barkeeper hört sich nicht nur die Geschichten nach dem Alkohol an, er kennt auch die dahinter.

Budapest ist bekannt für seine Thermalbäder, den Burgpalast und das überdimensional große Parlament. Besonders interessant wird die Hauptstadt Ungarns jedoch, wenn die Sonne untergeht. Die Budapester gehen gerne aus. Nicht nur in Bars wie die Boutiq' Bar, das Oscar oder ins Kolor (ein echter Partyplatz). Im Sommer werden viele Höfe zur Kneipe. Besonders traditionsreich sind die Kaffeehäuser, die abends wie ein ganz normales Restaurant laufen. Um die Jahrhundertwende waren sie die Treffpunkte der Eliten des Landes, und seit der Wende wurden viele der alten Cafés wie das Gresham oder das Gerbeaud wundervoll renoviert.

Am legendärsten ist das Café New York. In der Speisekarte nennt es sich selbst "The most beautiful café in the world", und während man andernorts so viel Selbstbewusstsein gerne als arrogant beschimpft, hat man hier nur einen Gedanken: Ja, stimmt. Auf plüschigen Stühlen sitzt man in einer Außenstelle von Versailles. Blattgold- und Säulen-Allergiker bekämen hier wohl Probleme, alle anderen bestaunen die riesigen Fenstern, lauschen dem Klavierspieler und nippen am Champagner oder am Tee, der selbstverständlich in losen Blättern serviert wird.

Als das Café 1894 eröffnet wurde, klaute der Autor Ferenc Molnár die Schlüssel und schmiss sie in die Donau, damit das New York fortan 24 Stunden geöffnet bliebe. Das Café überstand Kriege und Regimewechsel; in der kommunistischen Zeit hieß es allerdings Hungaria. Nach der Wende wurde das Gebäude von der italienischen Hotelkette Boscolo übernommen und das Café 2006 wiedereröffnet. Könnten Kaiserin Sissi und ihr Franz Joseph sich heute wie 1867 noch mal in Budapest zum ungarischen Königspaar krönen lassen, würden sie hier den Empfang abhalten.

Es geht natürlich auch moderner, zum Beispiel in großen Restaurants, zu denen das Larus und das Symbol zählen. Beliebt bei Touristen sind auch die Schiffsrestaurants auf der Donau. Der Fluss zerteilt die Metropole: Der Stadtteil Buda liegt auf der Höhe der Budaer Berge, ihm gegenüber auf der anderen Seite der Donau das flache Pest. Das hat den Vorteil, dass man die wichtigsten Sehenswürdigkeiten immer vor Augen hat. Entweder schaut man von Pester Seite hinauf zur schmucken Matthiaskirche und zur Fischerbastei, oder man blickt vom Burgviertel hinab auf das Parlament, die Basilika und die Kettenbrücke, das Wahrzeichen der Stadt. Auch seine Glanzzeit kommt mit der Dunkelheit, wenn die Brücke ihre Lampen anknipst. Die Kettenbrücke müsste genau genommen Lichterkettenbrücke heißen, so hell strahlt sie durch die Nacht. Nicht nur die Touristen, sondern auch die heimischen Stromwerke haben große Freude an ihr.

Am Ende der Brücke wartet der tollste Fahrstuhl der Stadt, die Standseilbahn. Sie bringt ein bisschen San-Francisco-Flair in den historischen Kern. Alle fünf Minuten überwindet sie ein 48-prozentiges Gefälle, bis man knapp 100 Meter höher am Burgpalast mit seinen Museen ankommt. Mit der Seilbahn ist man übrigens überraschend schnell unterwegs; genauso wie auf den Budapester U-Bahn-Rolltreppen. Ruck, zuck geht es unter Tage; noch zwei, drei Stundenkilometer schneller, und die Rolltreppe könnte glatt als Achterbahn durchgehen.

Im Budapester Untergrund warten noch andere Überraschungen. Will man nur ein Museum besuchen, sollte man das Felsenkrankenhaus besichtigen. Unter dem Codenamen LOSK 0101/1 war der Ort lange ein Staatsgeheimnis. Bei der Größe der Höhlenwelt eigentlich ein Wunder, wiederum aber ein Beweis dafür, das sich Budapests Besonderheiten vor allem in der Dunkelheit verstecken. Das zehn Kilometer lange Labyrinth wurde im Zweiten Weltkrieg als Krankenhaus von den Nazis genutzt, später für die Verletzten des Ungarnaufstandes. Danach baute die Regierung einen Atombunker in den Fels.

Heute sieht man bei der Führung komplett ausgestattete Operationssäle, Feldbetten, mit Kunstblut getränkte Verbände, Spritzen, Gasmasken, Skalpelle und alles, was zu einem guten Horrorfilm dazugehört. "In meinen schlimmsten Albträumen bin ich hier nachts eingeschlossen, und die Figuren erwachen zum Leben", erzählt Tünde, die junge Führerin. Die Zustände im Krankenhaus während des Zweiten Weltkrieges werden nämlich durch 200 Wachsfiguren dargestellt - Madame Tussauds trifft Guido Knopp. Tünde hält sich während der Führung an einem Wasser fest.

Aber selbst der tapferste Tourist benötigt nach dieser Besichtigung einen Drink. Also ab in die Bar. Egészségedre!