Das Leben von Orlim Oldemar Zurita Vargas ist ein Auf und Nieder - als Fahrstuhlführer ist er eine Basler Berühmtheit

Kurz zupft Orlim Oldemar Zurita Vargas seine weißen Handschuhe zurecht, blickt auf seine rote Weste und die polierten schwarzen Schuhe. Die Uniform sitzt perfekt. Muss sie auch, schließlich arbeitet der 37-Jährige im Basler Nobelhotel Les Trois Rois. Und schließlich ist er nicht irgendein Page: Er ist der letzte Liftboy in Europa.

Das behauptet er nicht einfach so. Der gebürtige Ecuadorianer ist eine ehrliche Haut, nie würde er das aus PR-Zwecken einfach so rausposaunen. Bekannte hatten ihn angespornt, doch mal zu recherchieren, ob es irgendwo noch andere Hotelangestellte gibt, die einen ähnlichen Job machen. Also hat er bei Hotelverbänden, Tourismusorganisationen und Ämtern nachgefragt. Überall in Europa war die Antwort dieselbe: "So einen Beruf gibt es nicht mehr."

Die Uniform sitzt also. Vargas drückt aufs Knöpfchen. Dritter Stock, 20 Sekunden. Was sind schon 20 Sekunden? Im Aufzug eine Ewigkeit, wenn man sich anschweigt. "Deswegen versuche ich immer eine Kommunikation aufzubauen." Er frage zum Beispiel, ob die Gäste mit dem Hotel zufrieden sind oder schon Zeit hatten, einen Spaziergang durch Basel zu machen. Er beschreibt ihnen auch gerne die Sehenswürdigkeiten und kann sogar einen kurzen, fundierten Vortrag über das berühmte Münster halten. Die meisten sind gesprächsbereit und froh, wenn Vargas das Eis bricht. Natürlich gibt es auch Ausnahmen: Gäste, die mit dem falschen Bein aufgestanden sind, eine lange und stressige Anreise hatten, oder Miesepeter, denen nichts an einem Wortwechsel liegt. Aber der 37-Jährige hat ein Gespür für Menschen. Er besitzt ganz feine Antennen, um die Gefühlslage anderer sofort zu erfassen. Kollegen im Hotel sagen ihm telepathische Fähigkeiten nach, und Vargas glaubt, dass er diese Begabung seinem Großvater verdankt, der Schamane war. "Ich schaue den Gästen in die Augen und weiß, was los ist."

Aber er fühlt sich auch für ganz praktische Dinge zuständig. Manche Gäste kommen schon mit bestimmten Vorstellungen ins Hotel, wollen für den Abend noch zwei der begehrten Konzertkarten oder ein Flugticket für übermorgen. Andere sind froh über jede Anregung, nehmen dankend den Tipp entgegen, den Abend im Hotel bei Klaviermusik ausklingen zu lassen.

So merken die Gäste auch schnell, dass sein Arbeitstag mehr ist als Knöpfchendrücken und Small Talk. Außerdem muss ja auch der Lift sauber sein. Hochglanzpoliert. Wenn es mal ruhiger zugeht, schnappt er sich Eimer und Lappen aus einer kleinen Kammer, sprüht die verspiegelte Aufzugtür ein und reibt akribisch jeden Fingerabdruck weg.

Vor gut acht Jahren hat er in seiner Heimat eine Schweizer Mathelehrerin kennengelernt, die Urlaub machte. Heute ist er mit ihr verheiratet, zusammen haben sie drei Kinder. Als Vargas damals in die Schweiz kam, arbeitete er zunächst als Tellerwäscher. Aber die Hoteliers erkannten schnell, dass mehr in ihm steckt. Schließlich hat er in Ecuador Biologie studiert. Das nützt ihm auch in der Schweiz: Mehrmals die Woche führt er Besucher durch den Botanischen Garten in Basel. Manchmal begleitet er auch für einen Reiseveranstalter Touristen nach Ecuador und zeigt ihnen sein Heimatland. Dann besucht er natürlich seine Familie und erzählt von seinem aufregenden Leben.

Vargas' Familie gehört zu einem Indianerstamm, der zu seiner Kindheit noch nicht zivilisiert war. Aber er hatte die Chance, sich zu bilden und zu studieren. Mittlerweile kommen sogar Leute ins Hotel und wollen eine Unterschrift von ihm. Er besitzt jetzt auch eigene Autogrammkarten: Orlim Oldemar Zurita Vargas, Europas letzter Liftboy, ist eine kleine Sensation.