Als Erster seine Spuren in frisch gefallenen Schnee ziehen - Skifahren in den kanadischen Rocky Mountains ist ein einzigartiges Erlebnis

Dicke Flocken fallen vom Himmel, die Bäume sind in ein weißes Kleid gehüllt. Es weht ein eisiger Wind, das Thermometer zeigt minus 20 Grad Celsius an. Mit Kraft versucht die Sonne noch einmal durch die grauen Wolken zu dringen und zaubert ein mystisch-milchiges Licht auf die Hänge der Purcell Mountains, einen Gebirgszug der kanadischen Rocky Mountains. Die Landschaft wirkt verschwommen, nur eine kleine Gruppe Wintersportler ist als bunter Farbtupfer in dem gleißenden Licht zu erkennen. Sonst ist niemand zu sehen. Kleine Wolken wirbeln auf, als die Skifahrer, einer nach dem anderen, sich in die schmale Rinne fallen lassen. In perfekt gezogenen Schwüngen gleiten sie in die Tiefe, ziehen als Erste ihre Spuren in den frisch gefallenen Pulverschnee. Es sieht aus, als würden sie schweben, über einen samtweichen Teppich, der selbst beim Stürzen wie ein weiches Kissen abfedert. Nordamerikas Schnee - und speziell der in Kanada - spielt in einer ganz eigenen Liga: Er ist bekannt für seine extreme Trockenheit und schafft Bedingungen, die für den alpinen Wintersport geradezu ideal sind. Vereiste Stellen? Fehlanzeige, stattdessen stäuben die winzigen Eiskristalle bei jeder Drehung federleicht in alle Richtungen.

Von diesem Schnee profitieren Skifahrer und Snowboarder in Lake Louise, Banff, Big White, Silver Star - und auch in Kicking Horse. Das Skigebiet im kanadischen Bundesstaat British Columbia gehört zu den anspruchsvollsten der Rocky Mountains, 60 Prozent der Abfahrten sind nur für Könner geeignet. "Schwarz" ist als Kennzeichnung der Pisten die dominierende Farbe, steil und bucklig ist das Motto. "Sieben Meter Schnee fallen hier im Schnitt pro Jahr", sagt Skilehrer Tom Watson. "In der Regel haben die Lifte bis Mitte April geöffnet, doch es kommt immer wieder vor, dass die Saison aufgrund der guten Bedingungen verlängert wird." Tom Watson ist Engländer und gehört zu den Menschen, die bedingungslos ihrer Leidenschaft nachgehen. Skifahren, bis die Oberschenkel brennen und die Nase fast zum Eiszapfen gefriert, das ist sein Leben, das macht ihn glücklich. Höhenmeter sind seine Währung - je mehr am Ende des Tages auf dem Konto stehen, desto besser. "Am liebsten fahre ich natürlich abseits der Piste, dort, wo der Schnee einem schon mal bis zur Hüfte reicht. Da hat man in den Rocky Mountains einfach die beste Auswahl." Eine Gondel und drei Sessellifte bringen die Gäste in Kicking Horse zu den schneereichen Hängen. Die Anzahl der Lifte ist überschaubar, doch davon darf man sich nicht täuschen lassen: Mehr als 120 präparierte Abfahrten befinden sich zwischen 1190 Metern und knapp 2500 Meter Höhe - Waldstrecken und unberührte Flanken im offenen Gelände nicht mitgezählt. Zum Nachmittag wird das Schneetreiben dichter, die Sicht immer schlechter. Zeit für eine Pause im Eagle's Eye. An einem sonnigen Tag könnte man im höchstgelegenen Bergrestaurant Kanadas nicht nur die gute Küche probieren, sondern ebenfalls einen fantastischen Rundumblick auf die mächtigen Dreitausender erhaschen. Heute sieht man kaum mehr als 50 Meter weit.

In der Nacht verändert sich die Wetterlage nicht. Auch knapp 100 Kilometer weiter westlich, in Revelstoke, bleibt es kalt und wolkenverhangen. Es rieselt und rieselt und rieselt - leise, aber in Massen. Bis zu 18 Meter der weißen Pracht können in dieser Region in einer Saison vom Himmel fallen. Kein Wunder also, dass die Einheimischen ihren Ort stolz "die Hauptstadt des Pulverschnees" nennen. Feiner, unberührter Tiefschnee, das ist alles, was hier zählt. Und so wurde vor ein paar Jahren investiert, Hunderte von Millionen Euro, um 2007 ein neu erschlossenes Skigebiet zu eröffnen. Wo man früher noch selbst mit seinen Brettern unter den Füßen den Gipfel des Mount Mackenzie erklimmen musste, befördern einen heute drei Lifte bequem zu Pisten mit vielversprechenden Namen wie "Vertigo", "Powder Assault" und "Devil's Club", die - anders als in den Alpen - nicht sofort nach jedem Neuschnee gewalzt werden. Bekannt ist Revelstoke aber vor allem für eines: für das Heli-Skifahren, ein "Deep Powder"-Abenteuer, wie die Kanadier sagen, bei dem es mit dem Hubschrauber tief hinein in die Bergwelt geht. Eindrucksvoll ist allein schon der Flug über Gletscher, schroffe Felsspitzen und zugefrorene Seen - die menschenleere Weite des kanadischen Westens fasziniert.

Punktgenau landet der Bell 205 auf einem kleinen Plateau, links und rechts geht es Hunderte von Metern abwärts. Dann muss alles ganz schnell gehen: Während die Guides die Ausrüstung unter den rotierenden Rotorblättern abladen, drängen sich die Teilnehmer in zusammengekauerter Stellung eng aneinander. Wenige Sekunden später ist der Spuk vorbei. Der Hubschrauber steigt in die Höhe und ist schnell hinter dem nächsten Bergkamm verschwunden - und auf einmal wird es mucksmäuschenstill. Ein Meer an Gipfeln und Graten breitet sich vor den Augen aus. Abgesetzt in der Wildnis kommt es nun zum eigentlichen Höhepunkt: Die Skispitzen senken sich, tauchen ein in den unberührten Hang. Der Schnee staubt auf, pudert einen bis zu den Knien. Jeder sucht seine Linie, genießt das Gefühl von Freiheit. Es ist ein exklusives Vergnügen mitten in der Natur, das aber zum einen nicht ganz günstig ist, zum anderen auch wegen der Belastung der Umwelt in der Kritik steht. Am nächsten Morgen zeigt sich die Sonne strahlend. Vereinzelte Nebelschwaden lösen sich langsam auf. Ein letztes Mal klickt die Bindung, ein letztes Mal fällt der Blick auf das imposante Panorama, ein letztes Mal taucht man ein - und zieht als Erster seine Spuren in den frisch gefallenen Pulverschnee.