Jeden Sonnabendabend bieten die Straßen Londons, Birminghams und Manchesters ein urenglisches Schauspiel. Junge Menschen stehen vor Clubs und Kneipen herum und schütten große Mengen Alkohols in sich hinein. Das wäre weniger auffällig, zögen sie nicht zu jeder Jahreszeit ohne textiles Zugeständnis an das Klima ihrer Heimat von Bar zu Bar. Die Frauen stets mit bloßen Schultern, die Männer sommers wie winters mit aufgerollten Hemdsärmeln, beweisen sie, welche Zähigkeit es braucht, ein Weltreich zu erobern - und dass nur diese Härte gegen sich selbst eine Nation dazu befähigt, auch seinen Verlust mit Haltung zu tragen.

Das mangelhafte Kälteempfinden ist nämlich keinesfalls als Wahrnehmungsstörung infolge übermäßigen Alkoholkonsums zu begreifen. Es handelt sich vielmehr um einen Charakterzug, der die Nation auch in nüchternem Zustand auszeichnet. Strumpfhosen kommen auf der Insel allenfalls an Tagen mit sehr starkem Frost oder aber als modisches Accessoire zum Einsatz. Generationen von Schulkindern haben die Winterhalbjahre klaglos in Kniestrümpfen durchgestanden - mit kurzem Rock oder Kniebundhose, wohlgemerkt.

Kein Wunder, dass das Vereinigte Königreich Europa bis heute gerne als den Kontinent bezeichnet - eine Landmasse, von der man nicht nur geografisch durch den Ärmelkanal getrennt ist, durch das Fahren auf der linken Straßenseite und durch die noch immer zögerliche Annäherung der Insulaner ans metrische System. Sondern eben auch durch ein ganz anderes Kälteempfinden.

Spätestens wenn die Schneeglöckchen verblüht sind und die Sonne die Temperaturen in den zweistelligen Bereich treibt, gibt es kein Halten mehr: Die Zeit der Tops mit Spaghetti-Trägern, der ärmellosen Shirts, der kurzen Röcke und Hosen ist gekommen. Während verweichlichte Besucher aus dem Ausland die Mantelkragen hochschlagen, flanieren Engländer in Hochsommerbekleidung an ihnen vorüber. Kleine Kinder sind angezogen, dass allein der Anblick der bloßen Knie und nackten Füße in Sandalen frösteln macht.

So ist es auch in den Kensington Gardens. Es ist ein strahlender Sonntagnachmittag, doch der Wind hat noch die Kälte der letzten Wintertage bei sich. Touristen aus Spanien und Italien sind in Daunenjacken und Schals unterwegs. Auf den Rasenflächen liegen die Londoner und sonnen sich.