In der Megacity, die seit fast 16 Jahren wieder zu China gehört, ist alles höher, schneller, effizienter. Aber es gibt auch noch ein zweites Gesicht

Lust auf den Duft der großen weiten Welt? Auf New York, London oder Paris? Ach was, sei cool, setz dich ins Flugzeug und starte Richtung Osten. Nach etwa zwölf Stunden, wenn der Jet zur Landung ansetzt, wirst du erst einmal Wasser sehen. Ganz viel Wasser, mit zahlreichen kleinen, grünen und unbewohnten Inseln drin. Wasser, auf dem zahllose Schiffe fahren; Frachter und Containerschiffe, Dschunken und Fischerboote, die alle nur ein Ziel anzulaufen scheinen - den "Duftenden Hafen", auf Chinesisch: "Hongkong". Und wenn du auf der rechten Seite sitzt, kannst du vielleicht auch einen ersten flüchtigen Blick auf die Skyline dieser Stadt erhaschen, in der rund 40 der 100 höchsten Wohnbauten und Bürotürme weltweit stehen, bevor du dann auf Chek Lap Kok landest, einem der größten Flughäfen der Welt, gebaut auf einer künstlichen Insel im Südchinesischen Meer.

Aber schon an der Zollkontrolle wirst du dich fragen, ob du wirklich in China bist. Die Beamten sind sehr freundlich, sprechen hervorragend Englisch und halten dich nicht mit unwichtigen Fragen auf. Ein Visum brauchst du auch nicht, denn du willst ja nicht länger als 180 Tage bleiben. Die Hüter der Landesgrenzen sind offensichtlich darauf getrimmt, entdeckungsfreudige Touristen aus dem Westen nicht zu verschrecken. Deshalb funktioniert in dieser "Sonderwirtschaftszone" sogar Google.

27 Millionen Touristen kommen pro Jahr, nur rund 270.000 davon reisen aus Deutschland an. Vermutlich existieren noch Ressentiments gegen das "Tor zu Asien", seit die Chinesen am 1. Juli 1997 das Zepter der ehemaligen britischen Kronkolonie vertragsgemäß in die Hand gedrückt bekamen.

Vom Flughafen geht es am schnellsten mit dem Airport Express in die Stadt, für rund 14 Euro. Obwohl Taxis nicht besonders teuer sind, solltest du konsequent auf öffentliche Verkehrsmittel setzen. Und zum Überqueren des Victoria Harbour solltest du möglichst häufig die "Star Ferry" nehmen, die zwischen der Hafenpromenade Tsim Sha Tsui im Stadtteil Kowloon und den Piers von Hongkong Island verkehrt. Zahlen kannst du ganz bequem mit der elektronischen "Octopus-Card", die auch von vielen Geschäften und Restaurants akzeptiert wird.

Doch der perfekte Einstieg in eine der wohl zurzeit aufregendsten und schönsten Städte der Welt ist ein Bummel über die Hafenpromenade von Kowloon; am besten nach Sonnenuntergang, wenn drüben auf Hongkong Island um 20 Uhr die allabendliche Lasershow beginnt und die Skyline in ein bonbonfarbenes Farbenmeer verwandelt. Aber auch nach der Show bleibt es hell: Dann wird ganz Hongkong in ein diffuses, orange-gelbes Licht getaucht, und deshalb wirst du später im Hotel vermutlich auch beschließen, die Vorhänge nicht zuzuziehen. Du beginnst zu ahnen, dass diese Stadt niemals schläft, aber irgendwie ist das ja auch logisch, weil du dich an einem der bedeutendsten Finanzplätze der Welt aufhältst, an dem rund um die Uhr Geschäfte gemacht werden.

"Man geht in Hongkong davon aus, dass vier Stunden Schlaf pro Tag ausreichend sind", sagt Anne Thiesen, die du auf der Terrasse des schicken Restaurants Harlan's in der 23. Etage des The One in der Nathan Road in Kowloon triffst. Die Küche des Harlan's ist international, die Drinks an der Bar sind es allemal, die Preise sind happig (so richtig billig sind Städtereisen ja leider nie), aber den Tisch hast du dir im Grunde nur wegen der Aussicht vom Concierge deines Hotels reservieren lassen.

Anne ist Anfang 40 und vor sieben Jahren für eine persönliche Auszeit aus ihrer norddeutschen Heimat nach Hongkong gekommen. Sie ist länger geblieben als beabsichtigt - fasziniert von dem Lebensgefühl, das in Hongkong herrscht. Sie ist Marketingspezialistin, makelt zwischen deutschen und chinesischen Firmen, sie repräsentiert, sie vermittelt, und manchmal ist sie auch gezwungen, zwischen den potenziellen Handelspartnern zu moderieren. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt auf der Hamburger Hafenwirtschaft. Inzwischen kenne sie beide Hälften der völlig unterschiedlichen Kulturkreise von West und Fernost, jedenfalls einigermaßen, meint sie, wobei die Zeit niemals stillstehe: "Das Tempo ist unbeschreiblich. Egal wie und wo du bist: Es wird hart und effizient gearbeitet, es wird niemals lange gefackelt, sondern es wird entschieden."

Effizient ist so ein Wort, das dir ständig begegnet. Selbst beim Essen, wenn du zum Beispiel mittags bei Tim Ho Wan an der Fuk Wing Street in Kowloon einkehrst, um die vermutlich besten Dim-Sums deines Lebens zu essen, die trotz eines Michelin-Sterns für dieses Restaurant absolut erschwinglich sind. Nur schnell muss es gehen, zack, zack stehen die Köstlichkeiten auf dem Tisch, und die nächsten Gäste, zumeist Familien oder Angestellte aus den umliegenden Büros, warten schon.

Sogar das Chillen funktioniert nach Plan, etwa auf einer der beiden historischen roten Dschunken, die pünktlich alle 45 Minuten vom Central Pier 9 zur Aqua-Luna-Tour ablegen. Du versinkst an Deck in einem der Lounge-Chairs und schipperst auf dem kabbeligen Wasser des Victoria Harbour an diesem illuminierten, gigantischen Stahl-und-Glas-Gebirge entlang. Eine feuchtwarme Brise treibt dir den typischen Hafengeruch nach öligem Meerwasser, Seetang und ein bisschen Fisch in die Nase. Und du kannst dich nicht dagegen wehren: Nach fünf Minuten bist du auf einer Art legalem LSD-Trip. Allerdings nur so lange, bis die Dschunke überpünktlich anlegt und du - oops! - geweckt und höflich hinauskomplimentiert wirst ins Getümmel auf den Straßen. Es ist gut, wenn du in Hongkong zufällig jemanden kennenlernst, der schon länger hier lebt, der deine Sprache spricht oder zumindest Englisch. In Lan Kwai Fong, dem klassischen Kneipen- und Vergnügungsviertel in Central, dürfte es kein Problem sein, zum Beispiel jemanden wie Anne zu treffen; einen aus der großen Gruppe der sogenannten "Expats" - der Ausländer, die für einen längeren Zeitraum in Hongkong arbeiten, die hier jede Nacht Party machen und dir ein bisschen mehr über die Eigenarten Hongkongs erzählen können, das flächenmäßig einerseits so klein, andererseits unübersehbar scheint. Was wohl daran liegt, dass sich hier über sieben Millionen Menschen auf gerade mal 1085 Quadratkilometern gegenseitig auf die Füße treten. Der wichtigste Tipp von Anne klingt zunächst jedoch profan: "Nimm dir bloß immer einen Pullover oder eine Wolljacke mit!" Denn in ganz Hongkong gebe es - von Tempeln einmal abgesehen - keinen einzigen geschlossenen Raum, der nicht mittels einer effizienten Klimaanlage auf die Standardtemperatur von 18 Grad abgekühlt werde.

Im Gegensatz zu vielen anderen Welt-Metropolen ist Hongkong eine durch und durch digitalisierte Stadt. Alles ist schnell erklärt, mit eindrucksvollen Zahlen und Fakten. Hauptsache: höher, schneller, effizienter. Hongkong lebt von seiner Rastlosigkeit, und du merkst schnell, dass du dich genau darauf einlassen musst, um deinen Aufenthalt genießen zu können. Im Gegensatz dazu steht jedoch interessanterweise Feng-Shui, das Zusammenspiel von Wind und Wasser, das die Natur und die Eingriffe des Menschen miteinander harmonisieren soll. Für die Pflege ihrer diversen Aberglauben, etwa für die Berechnung der richtigen Flugbahnen der Drachen oder für ihre ominösen Glückszahlen drei, acht und neun, nehmen die "Honkies" sich nämlich massig Zeit und nicht selten auch viel Geld in die Hand: Entsprechende Autonummernschilder können hier schon mal ein paar Millionen Hongkongdollar kosten, wobei ein HKD ungefähr dem Gegenwert von zehn Cent entspricht.

Wahrscheinlich gibt es keinen anderen Ort auf der Welt, der so sehr von Geld und Statussymbolen dominiert wird. Staunen, Shoppen, noch mehr Staunen heißt die Losung: Deshalb lass dich einfach durch die Straßen treiben. Über die Nathan Road, die schier unendlich lange, schnurgerade Aorta des pulsierenden Geschäftsviertels Kowloon, wo du alle, aber auch wirklich alle Trendmarken zum Teil sehr günstig einkaufen kannst. Oder tank dich durch das Gewühl des riesigen Ladies' Market gleich nebenan. Aber meide die Hinterzimmer der Händler, auch wenn ihre Angebote noch so verlockend klingen: Bei Produktfälschungen kennen weder die einheimischen noch die deutschen Zollbehörden Pardon. Und eine Prada-Handtasche für umgerechnet 60 Euro oder eine Rolex-Uhr für 200 Euro sind nun mal nicht echt. Wirklich nicht.

Drüben, in Central, kannst du dann in die wahre Welt des Luxus und der Mode eintauchen. Vor den Eingängen der mehrstöckigen Shopping-Malls parken vorwiegend englische Luxuslimousinen. Weiße Nummernschilder lassen auf einen Hongkonger Eigner schließen; ist ein zusätzliches schwarzes Nummernschild angebracht, stammt dieses Auto aus dem benachbarten Shenzen an der Mündung des Perlflusses, wo in einer der geschätzt 500.000 Fabriken vermutlich auch deine Jeans genäht, deine Kamera zusammengeschraubt und deine Sneakers geklebt wurden.

Die überwiegend weibliche Klientel schlendert paarweise auf hohen Schuhen und teuer-elegant gekleidet über den blitzblanken Marmorboden: "Man nennt diese Damen auch Tai-Tais", sagt Anne lächelnd, "die 'Berufsehefrauen', die nicht viel mehr zu tun haben als lunchen zu gehen und zu shoppen." Wenn du dich von ihrem Kaufrausch anstecken lässt, solltest du gewarnt sein: Der deutsche Zoll kennt ebenfalls keine Gnade, wenn du dich mit echten Luxusuhren oder Schmuck eindeckst, der in Hongkong günstiger ist als anderswo - bis dich dann der Strafzoll an der Grenze überrascht.

Aber jetzt kannst du erst einmal kilometerweit durch überdachte Einkaufspassagen flanieren, ohne dabei nur einmal den Himmel zu erblicken. Irgendwann solltest du dich von den Schaufenstern losreißen und auf die längste Rolltreppe der Welt umsteigen. Sie bringt dich hinauf nach Soho, und je höher du kommst, desto ursprünglicher wird die Stadt, die auf extrem steilem Gelände erbaut ist. Jetzt tauchen kleine Märkte und Garküchen auf, die Straßen werden schmaler und sind gesäumt von originellen Geschäften, Cafés und Galerien. Manchmal wird das Straßenbild von schmalen Wohntürmen mit 40 und mehr Etagen unterbrochen, die wie einzelne Zähne emporragen, und du fragst dich: "Wieso kippen die eigentlich nicht um?" Wenn dir Anne dann jedoch erzählt, dass dort eine 36-Quadratmeter-Wohnung durchschnittlich 2700 Euro Kaltmiete kostet, kippst du selber um.

So richtig bewusst werden dir die Dimensionen erst, wenn du mit der betagten, supersteilen Zahnradbahn von der Garden Road hinauf auf den Peak fährst, um aus 552 Meter Höhe hinunter auf die Stadt zu blicken. Es war übrigens sehr clever von dir, dass du die Tickets vorher im Internet gekauft hast, was dir langes Anstehen erspart. Überhaupt solltest du alle Tickets vorab im Netz buchen, zum Beispiel für die Seilbahn hoch zum Großen Buddha auf der Insel Lantau, wo du auch den Tempel des Po-Lin-Klosters besichtigen kannst.

Hongkong wird vom Geld regiert, doch das die Stadt umgebende Land besitzt noch ein zweites Gesicht. Dieses Gesicht ist traditionell. Es ist chinesisch, es ist grün, es ist meditativ, und so kannst du dich in einem der zahlreichen Parks, einem Tempel oder während einer Teezeremonie - beispielsweise im Lok Cha Teahouse (290b Queen's Road Central, Sheung Wan) - von den Superlativen der Megacity erholen.

Auf jeden Fall lohnt es sich, die umliegenden Orte zu erkunden, vor allem Stanley, direkt am Meer gelegen, mit seinem pittoresken Markt sowie das Murray-House, ein historisches Zollgebäude, das 1982 in Central abgetragen und wieder aufgebaut wurde und heute das Maritim Museum beherbergt.

Recht spät beginnt Hongkong seine (Kolonial-)Geschichte (wieder) zu entdecken. Und seine Natur. Mittlerweile sind mehr als 100 Kilometer Wanderwege erschlossen, Kolonialbauten werden wiederhergerichtet, und sogar die Chinesische Oper, für westliche Ohren äußerst gewöhnungsbedürftig, ist jetzt Standard-Touristenprogramm. Zur Natur Hongkongs gehören auch die vielen schönen Strände, vor allem die Buchten hinterm Victoria Peak auf Hongkong Island. Hier kannst du Menschen beobachten, die in Straßenkleidung über den Strand spazieren. Manche von ihnen hocken sich hin, tauchen ihre Finger ins Wasser, lutschen sie ab und kreischen vor Vergnügen. "Das sind Touristen aus den weit entfernten Westprovinzen Chinas", sagt Anne, "die haben in ihrem Leben noch nie das Meer gesehen."