Im Herzen Marrakeschs betreibt eine Hamburgerin ein feines Gästehaus - am Fuß des Atlasgebirges wird ihr Wunschhotel, so Gott will, bald fertig sein

Die Sache mit den Palmen hätte nicht sein müssen. Es war alles bereit auf der Baustelle, 15 Minuten von Marrakesch entfernt. Neben dem Rohbau des unverputzten Haupthauses warteten die am Boden liegenden Palmen darauf, eingepflanzt zu werden. Allein der lehmige Boden war zu hart, um mit der Schippe ein Loch zu graben. Der Gärtner wusste nicht weiter. Und was taten die marokkanischen Bauarbeiter mit ihren Baggern? Nichts. Denn in Marokko helfen Bauarbeiter Gärtnern nun mal nicht. Punkt.

Ina Krug schüttelt den Kopf und lächelt zugleich, während sie diese Anekdote erzählt. So sei das eben, wenn man hier ein Hotel eröffnen wolle, sagt die 35-Jährige. Vor vier Jahren zog Krug von der Alster in die "Perle des Südens", wie Marrakesch auch genannt wird. Zuvor hatte sie sechs Jahre lang in Hamburg als Managerin im Gastronomie-Tempel Süllberg gearbeitet.

In dieser Zeit verliebte sie sich, und das gleich doppelt. Zunächst in Christian Krug, Chefredakteur einer in Hamburg erscheinenden Zeitschrift und Marrakesch-Fan. Einige Zeit später, als sie mit ihrem neuen Freund und einem Motorrad durch die marokkanische Wüste düste, war es ein weiteres Mal um sie geschehen. Ina Krug, die damals noch ihren Mädchennamen Tibke trug, und ihr heutiger Mann verguckten sich in ein Stück Brachland, welches sie durch Zufall entdeckt hatten. Am Horizont erhob sich das Atlasgebirge mit verschneiten Gipfeln über dem Braun der Wüste.

"Ich hatte schon lange den Traum, ein Hotel in Afrika zu bauen", sagt die Frau mit den Locken, "als ich dieses Stück Erde sah, wusste ich endlich, wo es stehen sollte." An jenem Herbsttag des Jahres 2007 wurde die Idee zum Hotel "The Great Getaway" geboren.

Ina und Christian Krug schmiedeten damals einen Plan. Sie wollten eine Oase errichten auf dem trockenen, rund drei Hektar großen Flecken Wüste, der sich an einer alten Karawanenstraße befindet. Die Gäste sollten die Wahl haben zwischen komfortablen Doppelzimmern mit eigener Terrasse, einer Lodge in einem Orangenhain und großen Luxuszelten mit Fußbodenheizung. Kokospalmen sollten den Pool überragen, das Restaurant von Olivenbäumen umgeben sein. Dazu Hammam, Spa und ein Privatfahrer, der die Gäste am Flughafen abholt, ins Atlasgebirge bringt oder auf die neue Pferderennbahn. Etwa 20 Zimmer - im gehobenen Preissegment. Das war der Plan.

Bei Investoren sammelten die Krugs die nötigen zwei Millionen Euro ein und legten im Oktober 2009 los. Seitdem ist viel Zeit vergangen. "The Great Getaway" ist immer noch nicht fertig. Alle Häuser stehen zwar mittlerweile, auch alle Palmen, Rosen, Datteln und Agaven wurden gepflanzt sowie 4000 Quadratmeter Rollrasen verlegt. Von außen ist alles fertig. Nur innen nicht.

Warum dauert das so lange? "Man darf keine deutschen Standards anlegen", sagt Ina Krug und erzählt davon, wie sie anfangs von den männlichen Beamten der Baubehörde ausgelacht wurde, wenn sie, die Frau aus Deutschland, von ihrem Plan erzählte, im arabischen Marokko ein Hotel zu errichten.

Auch auf der Baustelle hat Ina Krug es nicht immer leicht. Als Marokkos König Geburtstag hatte, blieb eine Woche lang alles verwaist. Und genauso war es während des vierwöchigen Ramadans. Auf die Idee, ihr vorher Bescheid zu sagen, war keiner gekommen. Und als die Bauherrin ihren Vorarbeiter fragte, wann der Pool endlich ausgegossen werde, antwortete der mit dem Satz, den er meistens benutzte, wenn Ina Krug drängelte: "Nächste Woche", sagte er, "in scha'a llah, so Gott will."

Trotz all der Verzögerungen glaubt Krug an ihr Projekt. Denn Marrakesch, dem schon lange der Ruf vorauseilt, ein Ziel für anspruchsvolle Globetrotter zu sein, ist immer noch "in". Das Attentat im Herzen der Altstadt, welches im April 2011 das bei Ausländern beliebte Restaurant und Kaffeehaus Argana zerstörte sowie fast 20 Menschenleben forderte, war ein Rückschlag, von dem sich die Stadt genauso erholt zu haben scheint wie London und Madrid nach ähnlich fürchterlichen Vorfällen.

Nicht überraschend verlief der Arabische Frühling, der Länder wie Libyen, Syrien, Tunesien und Ägypten ins Chaos stürzte, in Marokko relativ undramatisch. Der moderate König war bereit, rechtzeitig Reformen einzuleiten. Juristen arbeiteten eine neue Verfassung aus, die im Juli 2011 bei einer Volksabstimmung angenommen wurde, im November 2011 gab es dann Neuwahlen. Die demokratisch legitimierte Regierung hat nun zumindest auf dem Papier mehr Spielraum, und Monarch Mohammed VI. wird von den meisten Landsleuten weiterhin verehrt.

Ob das Modell tatsächlich zukunftssicher ist, hängt vor allem von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes ab. Und dabei spielt der Tourismus, den der König stark ausbauen will, eine dominante Rolle. Insofern ist es für ihn wichtig, dass zahlungskräftige Ausländer weiterhin die noblen Hotels Marrakeschs bevölkern. 2012 sind mit dem Palais Namaskar, dem Mosaic Palais Aziza, dem Selman, dem Delano und dem Taj Palace in der Palmerie gleich fünf Luxushäuser neu an den Start gegangen. Die meisten von ihnen hatten allerdings ebenso wie Krugs Projekt Verspätung - das Taj Palace zum Beispiel sollte eigentlich zwei Jahre früher öffnen und ist selbst jetzt noch nicht ganz fertig.

Doch warum soll man als Urlauber eigentlich nach Marrakesch, das weitab vom Meer liegt, fahren? Weil der Stadt noch immer ein ganz besonderer Zauber innewohnt. Und weil sie es versteht, ihre Reize zu dosieren. "Marokko", hatte uns ein einheimischer Stadtführer mit auf den Weg gegeben, "ist ein Land, das sein Wesen nur jenen offenbart, die sich Zeit nehmen, Wasser zu schöpfen und eine Kanne Tee zu trinken."

Das Gleiche gilt für Marrakesch, das wohl schon manchen eiligen Besucher, der nur ein paar Stunden bleiben konnte, mehr verwirrt als begeistert hat. Denn natürlich ist es ein Unterschied, statt über einen Markt in Nordeuropa über einen echten orientalischen Basar zu schlendern, wo man ständig angesprochen wird - und wo bestaunte oder gar fotografierte Darbietungen aller Art tunlichst mit etwas Bakschisch belohnt werden sollten, will man sich nicht den Zorn der Einheimischen zuziehen.

Weniger Schein als Sein ist, bis auf wenige Ausnahmen, ansonsten das Leitmotiv in dieser Stadt. So mag man als Fremder zunächst gar nicht an die ganze Pracht der Gebäude glauben, wenn man sie von außen sieht. Vor allem in der Medina, umgeben von der mittelalterlichen Stadtmauer, deutet selten irgendwo etwas auf ein besonderes Interieur hin. Umso größer dann die Überraschung, wenn sich hinter der Eingangstür plötzlich eine kleine Luxus-Oase auftut.

Ina Krug ging es in der Wüste Marokkos irgendwann nicht mehr schnell genug. Sie wollte endlich Hoteldirektorin sein statt Dauer-Bauherrin einer Endlos-Baustelle. Also pachtete sie vor anderthalb Jahren ein Riad, ein Atriumhaus mit Innenhof, im Herzen von Marrakesch. "The Great Getaway Medina", so der Name, ist gewissermaßen die kleine Version von Krugs Traum, mitten in den bunten, lauten Gassen gelegen. Mehr als 1500 solcher oft noblen Minihotels und Gästehäuser gibt es in Marrakesch, viele sind inzwischen in der Hand von Europäern, die mit Liebe und einer Menge Geld renoviert haben.

Als Anfang der 1980er-Jahre vermehrt Marokkaner von der vermeintlich rückständigen und für Autos nicht zugänglichen Altstadt in die moderne Neustadt übersiedelten, begannen zunächst vor allem Franzosen damit, Riads zu übernehmen, umzubauen und für anspruchsvolle Gäste zu öffnen. Manchmal wurden später noch einige Häuser in der Nachbarschaft aufgekauft, sodass sich die Anlagen Stück für Stück zu richtigen Hotels mit Schwimmbad, Spa und Restaurant vergrößerten. Ein besonders gelungenes Beispiel hierfür ist die Villa des Orangers, die sich direkt mit dem Taxi anfahren lässt und von der aus man binnen weniger Minuten und ohne große Orientierungsprobleme zum Djemaa el Fna kommt, dem zentralen Marktplatz in Marrakesch. Dort, auf dem "Platz der Gehenkten", ließen die Sultane einst Menschen hinrichten und die abgeschlagenen Köpfe zur Schau stellen. Heute ist es ein großer Tummelplatz der Gaukler, Schlangenbeschwörer, Saftpresser und Garküchenbetreiber. Schon 2001 wurde der Djemaa el Fna, über dem ab Nachmittag ein unglaublicher Geruch von Gegrilltem liegt, als erster Ort in die Unesco-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen.

Gleich um die Ecke liegen die Eingänge zu den berühmten und über viele Kilometer verzweigten Souks, in denen so ziemlich alles angeboten wird, was man sich in einem solchen Land nur vorstellen kann - von Gewürzen, Backwaren und billigem Kitsch über gefälschte Markenkleidung und Schmuck aller Art bis hin zu wirklich wertvoll gearbeiteten Lampen oder gar um ihr Leben gackernden Hühnern. Wie weit man auf dem Platz und in den Souks in typische Touristenfallen tritt, hängt vor allem davon ab, wie überzeugend man ein "la shukran" (nein danke) formulieren und den Blick abwenden kann. Marokkos König hat seine Landsleute schon vor Jahren ermahnt, es im Umgang mit Fremden nicht zu übertreiben. Wer schon andere arabische Länder besucht hat, kann feststellen, dass die Anweisung eine gewisse Wirkung zeigt.

Nach dem Bummel durch die Souks ist die Rückkehr in ein Riad wie das Eintauchen in eine andere Welt. Vom Straßenlärm draußen ist auch bei Ina Krug nichts zu hören. Der Innenhof und das benachbarte Kaminzimmer wirken geradezu meditativ, so still ist es. Räucherstäbchen fluten die Luft mit Jasminduft, im sternenförmigen Brunnen treiben Rosenblätter, Papageien zwitschern in der handgeschmiedeten Voliere. Die Lampen sind aus Messing, die Kerzenständer aus Horn, als Blumenvasen dienen Hammamschalen, große, alte Bleche. Wer sich einmal mit einem Glas Wein auf einen der vielen Poufs auf dem Berberteppich vor den Kamin gelegt hat, will nicht wieder aufstehen.

"Der Stil des Hauses ist wie ich: modern im Kopf mit einem ausgeprägten Hang für die Romantik des Orients", sagt Krug, als sie auf der 300 Quadratmeter großen Dachterrasse steht. Die Sonne scheint, der Blick erstreckt sich über die ganze Stadt. Irgendwo dort drüben, hinter der berühmten Koutoubia-Moschee, von der der Muezzin fünfmal am Tag zum Gebet ruft, wartet ihr Hotel mit dem Blick aufs Gebirge und den Zelten im Garten darauf, eröffnet zu werden. Was wird aus der Dauer-Baustelle, Frau Hoteldirektorin? Ina Krug runzelt die Stirn. "Es wird schon werden", sagt sie, "in scha'a llah."