Katar mal nicht modern: Unterwegs im Souk Waqif von Doha, der nach den Kindheitserinnerungen von Scheich Hamad neu errichtet wurde.

Die Bauarbeiter waren noch gar nicht ganz gegangen, da bröckelte bereits der Putz im neuen Souk Waqif von Doha. An den Häuserecken schien Lehm von den Zwischendecken aus Barasti-Stroh zu bröseln. Auch die weiße Fassadenfarbe in dem Basar war seltsam ungleichmäßig aufgetragen und schien an manchen Stellen von der ersten Sekunde an ausgeblichen. Die Balkendecken mit ihren grau angelaufenen Hölzern wirkten renovierungsbedürftig, kaum dass der letzte Zimmermann seine Sachen eingepackt hatte und nach Hause gefahren war.

Ein seltsamer Anblick in den Emiraten am Golf, wo alles neu und gestylt ist, alles möglichst edel sein und teuer aussehen soll. Ein sehr ungewöhnlicher Eindruck in einer Gegend, wo Herrscher Sand zu Gold und Wüste zu Geld werden ließen und niemals an Farbe oder Putz sparen würden. Ein kleines Wunder in einer Region, wo jeder täglich die Schneewittchenfrage nach dem Schönsten, dem Reichsten, dem Mächtigsten neu stellt - und jeder sehen soll, was man hat. Und vor allem, was man sich leisten kann.

Im Souk Waqif von Doha ist alle vermeintliche Vergänglichkeit deshalb in Wirklichkeit nicht nur Absicht, sondern Auftrag. Der Basar im Zentrum der Hauptstadt von Katar ist zwar weitestgehend auf dem Reißbrett entstanden - aber entworfen und zu großen Teilen errichtet nach den Kindheitserinnerungen des Herrschers Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani. Der milliardenschwere Mann hatte einen sentimentalen Moment und vermisste die Vergangenheit in seiner ansonsten supermodernen Hauptstadt aus Beton, Stahl und Glas. Vom Basar seiner Jugend waren nur halb verlassene Ruinen geblieben.

In Rekordgeschwindigkeit war ebenso wie in Dubai und Abu Dhabi fast alles Alte verschwunden. Es ging auch deshalb schneller als anderswo in der Welt, weil es vor dem Boom rund um Öl und Gas in dieser Gegend kaum etwas anderes als ein paar Zelte, einige einfache Hütten, das eine oder andere Lehm-Fort und ein paar Kaimauern gab. Jede Erinnerung an diese Zeit der materiellen Armut schien seitdem unschicklich - bis die Machthaber in den Emiraten eine gewisse Traurigkeit darüber packte, dass alles Erbe verleugnet und das Gestern von mächtigen Bulldozern überrollt wurde.

Heute verkauft Fereidoun Arbabi Jagdfalken in seinem Laden im Souk Waqif - und Lederhäubchen, Handschuhe, Ausrüstung für die edlen Vögel. Wie das Geschäft läuft? Er lächelt und nickt. "Gut" soll das heißen, denn sogar die Mitglieder der Herrscherfamilie kaufen bei ihm ein und berappen umgerechnet bis zu 50.000 Euro für einen ausgebildeten Falken, das Statussymbol der Oberschicht am Golf.

Ein paar Schritte weiter türmen sich Gewürze, eine Querstraße davon Stoffe und Kleider, und noch eine Gasse weiter handelt Saad Ismail Khalifa al-Jassim mit Austern aus dem Persischen Golf - und mit ihren Perlen. Früher hat er sie selber als Taucher vom Meeresboden ans Tageslicht befördert: "Das war damals, als es den alten kleinen Souk noch gab, der dem heutigen so ähnlich sieht. Es war damals, als Scheich Hamad noch ein Kind war und sein Vater Khalifa herrschte", sagt er: "All das ist lange her."

Manchmal gibt es bei ihm als kostenlose Zugabe Geschichten vom Damals, aus der guten alten Zeit, als Doha noch ein Dorf war: "Damals gab es hier bereits einen Basar. Er war alt, er war viel kleiner als heute, aber er sah tatsächlich fast genauso aus. Und vor allem: Er fühlte sich genauso an - bis er verfiel, die Geschäfte schlossen und niemand mehr kam. Jetzt sind Menschen zurück, weil sie hier ihre Geschichte zurückbekommen haben."

Er dreht und wendet eine polierte Muschelschale zwischen den Fingern, während er spricht. Der über 70 Jahre alte Mann mit dem Burnus hat recht. In Katar ist der Spagat beim Souk Waqif gelungen: etwas neu zu bauen, das wirklich alt anmutet und nicht nach Plastikwelt aussieht. Das wenige Alte zu integrieren und zugleich etwas zurückzuholen, ohne es nach Disneyland aussehen zu lassen.

Der Erfolg liegt auch darin begründet, dass die Katarer selber den neuen Basar in Sichtweite des von Star-Architekt I. M. Pei aus New York errichteten Museums für Islamische Kunst vom ersten Moment an angenommen haben. Sie schlendern durch die engen Gassen, spazieren über die kopfsteingepflasterten Plätze, kaufen in den winzigen Geschäften für den Alltag ein, speisen in den libanesischen und indischen Spezialitätenrestaurants und treffen sich bei Einbruch der Dunkelheit zum Wasserpfeiferauchen auf den Plätzen vor den vielen Cafés wieder.

Nach ihnen kamen die Fremden, die Touristen ebenso wie manche Gastarbeiter, und taten dasselbe - weil alles so authentisch wirkt. Doha hat seitdem einen neuen Dreh- und Angelpunkt. Einen mit Charme und sogar ein bisschen Magie. Die sachliche, kühle und ultramoderne Hauptstadt mit ihren Schachbrettstraßen hat plötzlich ein Herz. Weil der Herrscher seine Kindheitserinnerungen bauen ließ - und weil die Planer ihn richtig verstanden haben und nicht etwa einen der im Mittleren Osten so weit verbreiteten Carrefour-Supermärkte mit auf alt getrimmter Fassade in die Innenstadt gossen.

Im Gegenteil: Für die Geschäfte im Souk Waqif gelten Regeln, die noch vor Jahren im Drang nach Moderne und in der Marken-Sehnsucht der Emirate-Araber undenkbar gewesen waren. Leuchtwerbung ist in diesem Gassengewirr so gut wie verboten, Logos dürfen bestimmte Größen nicht überschreiten. Und die gesamte Anmutung eines Ladens muss der eines Basars entsprechen, der über Jahrhunderte gewachsen ist - wie in Istanbul oder Kairo oder Tunis. Und verkauft werden soll dort nicht vorrangig, was es auch in den Shopping Malls gibt, sondern das, was schon immer zum Alltag gehörte. Und so gibt es winzige Läden, die nichts als jemenitischen Honig oder ausschließlich einfache Küchengeräte ohne Elektrik und Schüsseln anbieten.

Eine ganze Gasse ist Zoogeschäften vorbehalten. Auf der Straße verkaufen die Händler dort Wellensittiche und Papageien, Stroh, Sonnenblumenkerne und Hundefutter. Und am schönsten ist all das, wenn die Sonne gerade hinter dem Horizont abgetaucht ist, die Muezzine zum Gebet rufen, die Dämmerung alles Neue drum herum kaschiert und die Kulisse mit abnehmendem Licht immer zeitloser wird. Manchmal flaniert dann einer durch den Souk, der hier schon als Kind gewesen ist und von den meisten Touristen gar nicht erkannt wird: Scheich Hamad. Manchen Abend hält er zum Plaudern bei Perlentaucher al-Jassim, manchmal geht er mit einem neuen Falken nach Hause - gerade erstanden im Souk Waqif, ganz aus einer Laune heraus.