Im Winter trifft sich Frankreichs Haute Société in Megève am Fuß des Mont Blanc

Baronin Noémie de Rothschild hatte im Winter 1916 von St. Moritz endgültig genug. Frankreich brauche eine eigene Winterfrische in den Alpen, forderte die patriotische Adlige. Noch in der Schweiz beauftragte sie ihren norwegischen Hof-Skilehrer Trygve Smith, einen adäquaten Ort zu finden mit angenehmem Klima, einem offenen Tal, atemberaubendem Panorama und einem guten Ski-Berg. In den Savoyer Alpen wurde Smith in Sichtweite des mächtigen Mont Blanc fündig. Das Dorf Megève erschien perfekt. Mit Smiths visionärem Blick und den Millionen der Rothschilds wurde Megève zum Ziel der Schönen und Reichen, das bis heute die Genießer unter den Wintersportlern magisch anzieht.

Bereits 1921 eröffneten die Rothschilds ihr Hotel Mont d'Arbois Palace. Bis heute thront das Luxushotel über dem Ort. Die ersten Gäste ließ die Baronin von den Bauern des Ortes in Pferdeschlitten zum Hotel hinaufbringen. Damals waren die Kutschen das einzige Transportmittel in schneereichen Wintern. Heute stehen sie für romantische Touren durch das historische Zentrum von Megève am Kirchplatz bereit. Gelenkt werden die Pferdekutschen heute wie vor über 90 Jahren ausschließlich von den Bauern des Ortes. Trotz feiner Hotels, Gourmet-Restaurants und dem jährlichen Schaulaufen der Pariser Haute Société hat Megève seinen bodenständigen Charme behalten.

"Dieser Mix aus bäuerlicher Kultur, einem historisch gewachsenen Ort und modernen Top-Hotels macht den besonderen Charme von Megève aus", sagt die Direktorin des Chalet Zannier, Line Février. Megève hat zum Glück so gar nichts gemein mit den Retortenorten in den französischen Alpen. Statt Bettenburgen prägen Chalets das Bild. "Unser Kirchplatz ist der schönste aller französischen Ski-Orte", sagt Stefan Laude. Und dabei untertreibt der junge PR-Mann des Ortes noch. Das Zentrum von Megève ist eines der schönsten in den Alpen. In den Lokalen steigt am Nachmittag der Après-Ski. Abends strömen die Ski-Urlauber in die Top-Restaurants wie das Flocons de Sel. Hier verwöhnt der mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnete Emmanuel Renaut seine Gäste mit einer virtuosen Küche mit fast ausschließlich regionalen Produkten.

Der leidenschaftliche Skifahrer gehört zu den ganz großen Starköchen Europas, in seinem Gourmet-Restaurant aber geht es eher unprätentiös zu. Auch die Preise sind ziemlich moderat. Für sein dreigängiges Mittagsmenü verlangt Renaut gut 40 Euro. "Bei mir sollen schließlich ganz normale Leute zum Essen kommen können", sagt der 43-Jährige, dessen deutsche Frau Kristine sich um das gemeinsame Chalet-Hotel kümmert.

Der Nachbarort Chamonix ist dagegen berühmt für seine großartigen und anspruchsvollen Pisten und Gelände-Abfahrten. Das quirlige Bergsteigerstädtchen, in dem 1924 die ersten olympischen Winterspiele stattfanden, zieht gute Skifahrer und Tourengeher aus der ganzen Welt an. Allein für die Freeride-Abfahrt Vallée Blanche von der Aiguille du Midi im Schatten des Mont Blanc lohnt sich schon die Reise nach Chamonix. Rund um den mit 4810 Metern höchsten Berg Europas bietet Chamonix ein Ski-Areal von mehr als 400 Pistenkilometern. Den schönsten Blick auf das 1035 Meter hoch liegende Städtchen unter Europas Bergriesen hat man vom Brévent-Flégère-Skigebiet, von dem aus die Paraglider zu ihren Flügen über das Tal starten.

Die Sportler sind in Chamonix, die Genießer in Megève. Dort sind die meisten Pisten leicht bis mittelschwer. Von den 221 markierten Abfahrten sind 43 grün, 64 blau, 80 rot und nur 34 schwarz gekennzeichnet. Sanft gewellte Hänge und schöne Waldabfahrten prägen das Bild. Zwischen 1113 und 2353 Höhenmetern erstrecken sich rund um Megève aber immerhin 445 Pisten-Kilometer, auf denen man sich auch in der Hochsaison problemlos aus dem Weg gehen kann.

Auf die riesige Terrasse der Idéal-Hütte brennt die Sonne vom tiefblauen Himmel herunter. Vis-à-vis ragt das imposante Massiv des Mont Blanc in die Höhe. "Ein ordentliches Mittagessen dauert hier schon zwei Stunden", meint Skilehrerin Helene, und dann lässt sie auftischen: Salat mit Lachs, Forellen-Filets, Pasta mit Trüffel, Lammfleisch vom Grill und schließlich Crème brûlée. Dazu gibt es natürlich Wein aus der Region Savoyen. "Ein Gläschen Wein ist wie Wachs für die Ski", sagt Helene.

An den Nachbartischen wird wild gestikulierend erzählt, laut gelacht und heftig geflirtet. Eine junge Frau hat es sich zum Mittagessen bequem gemacht. Die Skischuhe und Socken hat sie ausgezogen und die nackten Füße in die Sonne gestreckt. Das sündhaft teure Designer-Skijäckchen mit Pelzkragen hängt mitsamt dem Pullover über der Stuhllehne, auch im Yachthafen von St. Tropez könnte sie kaum weniger anhaben. Erst am Nachmittag löst sich das amüsante Schauspiel auf der Terrasse der Idéal-Hütte auf. Beschwingt gleiten die Genießer leichte Pisten hinunter zum Plateau du Mont d'Arbois. Das letzte Stück führen die Abfahrten direkt über den Rothschild-Golfplatz, auf dem seit 2002 das Snow-Golf-Turnier von Megève ausgetragen wird. Das Golf-Turnier ist neben dem traditionsreichsten Winter-Polo-Cup Frankreichs einer der gesellschaftlichen Event-Höhepunkte der Wintersaison.

Hochsaison ist Promi-Zeit in Megève. Auch Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy kam mit Carla Bruni gern zur Winterfrische. "Auf den Pisten wird es aber auch in der Hochsaison nie zu voll", sagt Stefan. Gerade die französischen Hochsaison-Gäste starten spät am Morgen, essen lange zu Mittag und beginnen den Après-Ski früh am Nachmittag. An Neuschneetagen findet man so selbst dann noch unberührte Hänge, wenn unten im Tal Hochbetrieb herrscht.

Und wenn es wirklich mal voll werden sollte, bleibt immer noch der Weg hinaus ins Gelände. Abseits der Pisten hat auch Megève einiges zu bieten. "Das Genießer-Skigebiet hat auch eine sportliche Seite", versichert Stefan. Und der muss es wissen. Fast jeden Tag bricht er in seiner Mittagspause zu einer kleinen Skitour auf. Zurück ins Büro fliegt der passionierte Paraglider dann mit dem Fallschirm.

Zu den spektakulärsten Hängen zählen die extrem steilen Rinnen am Aiguille-Croche-Massiv über dem Cote-2000-Gipfel. Dank Stefan und seinem Kumpel Matthias Giraud ist die imposante Felswand in der Extrem-Skiszene weltberühmt. Giraud ist einer dieser Ski-Base-Jumper-Stars, die auf Skiern auf Abgründe zurasen, in die Tiefe springen und dann am Fallschirm ins Tal schweben. Bei einer gemeinsamen Tour an der Aiguille Croche löste der 28-Jährige kurz vor seinem Absprung eine Lawine aus. Als die Tonnen von Schnee die Wand hinunterstürzten, flog Giraud der Lawine davon.

Stefan schwebte mit seinem Fallschirm über der gespenstischen Szene und filmte Giraud. "Das war wahrscheinlich der beste Sprung meines Lebens", sagte Giraud, der in Salt Lake City lebt, aber aus Megève stammt. Das Video seines tollkühnen Wahnsinnssprungs wurde im Internet mehr als zwei Millionen Mal angeklickt. Die Baronin Rothschild wäre sicherlich entzückt gewesen, hätte sie diesen ungeplanten PR-Coup für ihren Skiort noch miterlebt.