Nach Kimberley zu gelangen ist ohne zu fliegen kaum möglich. Dafür begeistert die Region mit Ursprünglichkeit und dem Erbe der Aborigines.

Es wäre untertrieben zu sagen, dass die Sonne sticht. Vielmehr scheint sie sich mit jedem einzelnen Strahl in die Haut einzubrennen und jeden Schweißtropfen sofort in Luft aufzulösen. Wer aber diese Strapazen während einer Wanderung in der Kimberley-Region im nördlichen Westaustralien auf sich nimmt, wird mit Dingen belohnt, die es in Deutschland nicht gibt. Landschaften, die so unwirklich scheinen, als kämen sie von einem anderen Stern, als hätte ein Riese das Sediment- und Vulkangestein mit seinen Händen zu einer rauen Hügellandschaft geformt. Völlige Stille, die nur durch das Schreien der gelegentlich vorbeifliegenden Rabenkakadus unterbrochen wird. Totale Abgeschiedenheit von jeglicher Zivilisation, die dazu führt, dass die Wandergruppe automatisch besser aufeinander achtgibt - man möchte sich nicht verlieren in dieser unwirtlichen Einsamkeit. Statt einer Klimaanlage verspricht eines der vielen natürlichen Wasserlöcher Abkühlung. Dass auf den Steinen ringsum sich sehr wohl auch ein Krokodil in der Sonne wärmen könnte, spielt in diesem Moment keine Rolle. Bikini und Badehose sind hier nicht vonnöten - in voller Montur geht es ins badewannenwarme Wasser. Nach ein paar Schritten über glühend heiße Steinbrocken ist die Kleidung fast wieder schranktrocken.

Die ganze Kimberley-Region ist zwischen April und Oktober, im australischen Winter, ein einziger staubiger Freiluft-Trockner. Die Temperaturen klettern bis auf 38 Grad, es fällt eigentlich nie Regen. Dass hier trotzdem noch einige wenige Pflanzen gedeihen und es Wasserlöcher gibt, hat der heißeste Teil Australiens der Regenzeit zu verdanken. Von November bis März fällt monsunartiger Regen, 90 Prozent des gesamten jährlichen Niederschlags kühlen die heiße Erde und bahnen sich den Weg in reißenden Strömen durch das 200 Millionen Jahre alte Kimberley-Plateau. Die Wassermassen ergießen sich in zahlreichen Wasserfällen wie vom Mitchell-Plateau. In dieser Zeit steigt die Luftfeuchtigkeit auf 80 bis 90 Prozent - es ist dann nicht nur heiß, abenteuerlustigen Wanderern drückt die Schwüle auch auf den Kreislauf. Deshalb - und weil die Regenmassen ab November so manche Straße unpassierbar machen können - sollte die Kimberley-Region nur in der Trockenzeit ab April besucht werden. Und ohne einen kundigen Führer kann das Erkunden auf eigene Faust zu einem gefährlichen Unterfangen werden.

"Ein kleines Stück von dieser winzigen Beere kann euch töten", erklärt Guide Sam und hält eine tatsächlich mickrige, aber knallrote Beere in seiner Hand: die Paternostererbse. Die Aborigines, die australischen Ureinwohner, hätten sie trotzdem manchmal eingenommen - zumindest die Frauen. "Die Aborigines leben nach den ungeschriebenen Gesetzen der Traumzeit. Ist eine Frau schwanger, und es gibt keinen Traum zum Kind in ihrem Leib, durfte das Kind nicht geboren werden", so Sam. Da aber niemand weiß, wie viele man von den roten Beeren zu sich nehmen müsse, erfolge die Abtreibung auf eigene Gefahr. "Entweder das ungeborene Kind starb oder die Mutter - oder beide", sagt Sam.

Die Kultur der Aborigines lässt sich auch während der vielen und durchaus notwendigen Pausen im Schatten der Gesteinswände betrachten. Bis zu 30.000 Jahre alt sind die frühen Kunstwerke der Ureinwohner. Bestehen konnten sie trotz der starken Regenfälle, weil sie oft durch Felsvorsprünge von oben geschützt werden. Eine Gefahr der anderen Art bedroht jedoch die mit Gesteinspasten gemalten Kunstwerke. Wildschweine und andere Tiere reiben sich gern an den schroffen Felswänden die Parasiten von der Haut- die empfindlichen Malereien fielen diesem Genuss schon mancherorts zum Opfer.

Eine Wanderung in den Kimberleys muss nicht lang sein, sie kann sich durch die Hitze und das unwegsame Gelände aber in die Länge ziehen. "Für ein Strecke von 4,3 Kilometern kann man hier draußen schon mal vier Stunden brauchen", sagt Sam, "und wer nicht regelmäßig Pause macht und ununterbrochen Wasser trinkt, bekommt schnell einen Kreislaufkollaps." Die Wasserfälle des Mitchell-Plateaus lassen sich für weniger Lauffreudige allerdings auch aus der Luft betrachten. Es gibt in der Region mehrere Anbieter von Hubschrauber-Rundflügen.

Einsam sind auch die Strände Westaustraliens. Rund um die Lodges sind zwar ein paar vereinzelte Jogger oder Spaziergänger - ein gutes Stück entfernt von der Wasserlinie - am Strand zu sehen. Die Abschnitte dahinter sind aber wie leer gefegt. "In Westaustralien gibt es fast 21.000 Kilometer Küste. An den meisten Stellen liegt feiner, weißer Sand, es sind Strände wie aus dem Paradies", so Jodie, Geschäftsführerin der Berkeley River Lodge. Dennoch seien nach wie vor wenige Menschen an alle Orte dieser weitläufigen Region vorgedrungen und es ein Leichtes, einen Strand zu finden, den noch niemand betreten habe.

Nach diesem Ausflug in die Wildnis der Kimberleys wird es irgendwann wieder Zeit, in die Zivilisation zurückzukehren. Die Fortbewegung zu und von diesem Ort ist schon das halbe Abenteuer. Nutzt man zum Beispiel das Wasserflugzeug, startet man holprig auf einem der großen Flüsse, die sich in die Timorsee ergießen, und landet vergleichsweise geschmeidig auf dem Flughafen von Kununurra - auch wenn die Bestürzung beim Anflug auf eine asphaltierte Landebahn erst groß ist. Doch die Australier wissen, dass man in dieser rauen und vielfältigen Landschaft anpassungsfähig sein muss. Das gilt auch für das Fluggerät: In seinen Kufen verstecken sich Räder, die bei Bedarf einfach ausgefahren werden.

Aus der Luft wird auch erst deutlich, wie weitläufig und verlassen die gesamte Region wirklich ist. So groß wie Deutschland und Österreich zusammen, beherbergt der sogenannte Hitzepol Australiens nur etwa 40.000 Einwohner, der Großteil von ihnen sind Aborigines. Ausgangspunkte für Erkundungstouren der Kimberleys sind sowohl die Küstenstadt Broome als auch Kununurra. Jeeps mit Allradantrieb, Cessna-Flugzeuge oder eben Helikopter bringen Touristen dann zu ihrem jeweiligen Camp, um von dort aus Touren in die Umgebung zu starten.

Nach einem langen Tag in der Hitze ist die kalte Dusche am Abend mehr als eine Wohltat. Der erholsame Schlaf wird in der Nacht im Zweifel nur von unbekannten Frosch- und Vogellauten unterbrochen. Viele Camps in dieser unwirtlichen Gegend bieten ihren Gästen Schlafzelte an. Wobei das Wort Zelt mancherorts vielleicht untertriebene Vorstellungen weckt. Neben gewöhnlichen Campingplätzen gibt es auch Camps mit festen Zelten, die auf einem Holzsockel stehen, mit richtigen Betten ausgestattet sind und, meist hinter einer Holztür verborgen, ein vollständiges Bad beherbergen.

Kühles Nass sucht man im nördlichen Teil Westaustraliens vergeblich. Erfrischend ist allenfalls die Brise, die einem an der Küste ins Gesicht weht. Zu vielen der Lodges an der Timorsee gelangt man eigentlich nur mit dem Schiff, dem Wasserflugzeug oder einem Helikopter. Denn direkte Straßenverbindungen gibt es hier oft nicht. Tauscht man das Meeresklima gegen das Kontinentalklima, ändert sich nicht nur die Luft. Die Geräuschkulisse erinnert weiterhin daran, dass jegliche Zivilisation weit weg ist. Bis auf den brausenden Ozean ist es still.

An ein Bad in diesen Wellen ist aber gar nicht zu denken. "Wenn ihr mit Salzwasserkrokodilen, Haien oder giftigen Quallen schwimmen wollt, nur zu", so Guide Oliver. Er rate aber dringend davon ab. Die "Salties", wie die bis zu acht Meter langen Krokodile hier genannt werden, lauerten dicht am Strand auf Beute. Weiter draußen schwimmen sie selten. Denn hier warten die einzigen Feinde der Reptilien: Haie. Die empfindlichen Bäuche stellen die Krokodile ihren Jägern deshalb lieber nicht zur Schau, sondern ruhen auf flachen Sandbänken nahe am Ufer. Die Salzwasserkrokodile treiben nicht nur im Meer ihr Unwesen. Diese Krokodilart ist die einzige, die sowohl im Salz- als auch im Süßwasser leben kann. Bis weit ins Landesinnere sind deshalb auch in Flüssen wie dem Berkeley River die riesigen Reptilien zu finden.

Dieses Biotop lässt sich während einer Bootsfahrt gut erkunden. Vom sicheren Wassergefährt aus ziehen die verschiedensten Vogelarten und die vergleichsweise winzigen Felskängurus vorbei. Die Fellbälle hüpfen geschickt entlang der imposanten Gesteinswände, die ihr schroffes Gesicht von Jahrtausende anhaltender Erosion erhielten. Wer hier trotz der vielen Krokodile ein erfrischendes Bad nehmen will, muss seine Kletterkünste unter Beweis stellen. Denn die Reptilien können geringe Höhen ohne Wasserzugang überwinden. Ortskundige Guides kennen krokodilfreie Wasserlöcher, die erst nach einer kleinen Kletterpartie zwischen den Felswänden erreichbar sind und in der Regenzeit mit Süßwasser gefüllt werden. Hier hat die Natur ein natürliches Spa geschaffen: Kleine Wasserfälle massieren den Rücken, während der Rest des Körpers in den flachen Tümpeln abkühlt.

Nur eine verrostete Cola-Dose erinnert daran, dass dies wohl nicht der erste Besuch eines menschlichen Wesens an diesem unwirklichen Ort ist.