Ein geklontes Stück Frankreich in Asien: Besucher staunen über Fachwerk unter Palmen, Flammekueche bei Karaoke und ein Schloss im Dschungel.

Geranien mögen keinen Monsunregen. Deshalb verkümmern die Blütenranken vor den Fenstern der Fachwerkhäuser. Eine kopfsteingepflasterte Gasse, zwei plätschernde Springbrunnen, terrakottafarbene Dachziegel, viele Giebel, Erker und Türmchen, und irgendwo klappert ein Fensterladen. Auf der Zugbrücke unter dem Burgfried begrüßen zwei in Elsässer Tracht verkleidete Asiatinnen kichernd die Besucher - authentisch bemüht mit einem französischen "Bienvenu", gefolgt von einem malaysischen "Selamatdatang", herzlich willkommen.

In einer "Boulangerie" mit Pariser Plakaten gibt es Croissants, Pain au Chocolat und Café au Lait, im Restaurant La Cigogne (Der Schwan) wird Elsässer "Choucroute" (Sauerkraut) und "Flammekueche" serviert. Im Burggraben unter der Zugbrücke schwimmen zwei importierte Schwanenpaare, die von Kindern gefüttert werden. Manchmal klauen Paviane die Brotkrumen.

"Incroyable!", schreibt ein französischer Tourist über dieses mittelalterlich wirkende Colmar. "Das ist hallucinant, wie eine Halluzination." Es wirkt von Weitem tatsächlich wie das berühmte Städtchen Colmar mitten im Elsass. Mais non, dies ist "Colmar Tropicale", ein geklontes Dorf. Es ist auch beileibe kein billiges Imitat aus Betonfertigteilen, sondern eine exorbitant teure Kopie des Originals mitten im malaysischen Dschungel, eine mit aus Frankreich importierten Dachschindeln und Mauersteinen erbaute Fachwerkstadt in den Berjaya Hills, 50 Kilometer von der Hauptstadt Kuala Lumpur entfernt.

Die Luftfeuchtigkeit ist hoch, jeden Tag gibt es kurze, aber heftige Monsunregen. Mitteleuropäer schwitzen bei 27 Grad Celsius und gefühlten 80 Prozent Luftfeuchtigkeit, Malaysier dagegen empfinden die 800 Meter hoch gelegene tropische Hügellandschaft als angenehm kühl im Vergleich zur brütenden Hitze unten in der Hauptstadt. Orchideen wachsen hier wie Unkraut, doch Weinreben wie im französischen Colmar würden nicht gedeihen.

Doch wie kommt dieses bizarre Colmar hierhin, 10.100 Kilometer vom französischen Elsass entfernt? In Frankreich würde man das als einen "service d'ami" umschreiben, einen Freundschaftsdienst. Auf gut Deutsch: Eine Hand wäscht die andere. Der damalige malaysische Premierminister Mahathir bin Mohamad war nach einer Europa-Reise mit seiner Frau von der Romantik der elsässischen Stadt so begeistert, dass er seinen Milliardärskumpel Vincent Tan, derzeit neuntreichster Mann Malaysias, überredete, im malaysischen Dschungel sein Colmar nachzubauen.

Entstanden ist, unter Anleitung des französischen Architekten Jean Cassou, eine Art Themenpark mit 235 Hotelzimmern. Jeden Sonnabend gibt es einen Wochenmarkt mit Karussells und chinesischer Akrobatik; jeden Abend Karaoke, und aus Lautsprechern dudelt ständig asiatischer Pop. Die Authentizität hat ihre Grenzen. So steht im tropischen Colmar ein Uhrenturm, ein "Tour de l'Horloge", dessen Original aus dem elsässischen Dörfchen Riquewihr stammt und mit dem echten Colmar nun gar nichts zu tun hat. So genau muss man es ja auch nicht nehmen. Und was hat bloß die hübsche Schwarzwälder Kuckucksuhr im malaysischen Elsass zu suchen? Auch die "Charcuterie", die typische elsässische Schweinsmetzgerei, wurde wegen akuten Kundenmangels im muslimischen Malaysia rasch durch "Le Pouletrôti", die Brathendl anbietet, ersetzt.

Um dem Elsässer Plagiat die Krone aufzusetzen, hat Milliardär Vincent Tan auf dem nächsten Hügel das prächtige Schloss Haut-Koenigsbourg kopiert, das in den Vogesen steht. Er kann es sich leisten, er ist Gründer der Berjaya Corporation Berhad, die als Franchisenehmer alle McDonald's- und Starbucks-Filialen sowie Hyundai-Autohäuser in Malaysia betreibt, des Weiteren Hotels, eine Fluglinie und TV-Sender besitzt. Die Hochkönigsburg ist das berühmteste Schloss im Elsass, die Festung wurde im 19. Jahrhundert wieder aufgebaut.

Geplant war sogar, ganz nach den Vorlieben des europabegeisterten Ex-Regierungschefs, auch noch die Alhambra von Granada, die Akropolis von Athen und das bayerische Neuschwanstein in den Dschungel zu kopieren. Doch dann kamen Neuwahlen, der Premierminister wurde abgewählt und die (unter Freunden) zugesagten gewinnträchtigen Spielcasino-Lizenzen im malaysischen Elsass nicht mehr genehmigt. Heute verstauben diese weiteren europäischen Sehenswürdigkeiten als Miniaturmodelle in einer Glasvitrine.

Aber ein Milliardär wie Vincent Tan, der sich inzwischen aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen hat, gibt nicht so rasch auf. In einem Interview sagte er der malaysischen Zeitung "The Peak" über sein elsässisches Traumprojekt: "Ich hoffe, dass mit der Unterstützung von Freunden und Gästen sich die Investition auszahlen wird. Da ich der größte Anteilseigner bin, kann ich mir es leisten, noch etwas länger zu träumen." 2013 stehen Neuwahlen in Malaysia an ...

Colmar Tropicale ist heute ein beliebtes Ausflugsziel für malaysische Familien, in den Fachwerkhäusern kann man übernachten, viele Zimmer haben Himmelbetten mit einem Baldachin. Auch der noch immer mächtige Ex-Premierminister spaziert am Wochenende gern mit seiner Familie durchs Dorf und speist am liebsten in der Boulangerie. Er sagte gerade der malaysischen Zeitung "The Sun": "Colmar ist wie ein echtes französisches Dorf, die Menschen in Malaysia brauchen für diese Erfahrung nicht nach Frankreich zu reisen."

Die tropische Hochkönigsburg nebenan mit Burgzinnen und Türmen ist vergangenes Jahr als "The Chateau", das erste Bio-Spa-Luxushotel Malaysias, eröffnet worden. Kinder sind hier unerwünscht. Im Hof steht ein Salzwasser-Swimmingpool; es gibt islamische Gebetsräume und einen 2000 Quadratmeter großen Spa-Bereich namens La Santé. Im Restaurant L'assiette zaubert selbstverständlich ein französischer Chef de Cuisine, Richard Choquet; es gibt französische Bio-Weine, aber auch frisch gepresste Obstsäfte.

Besonders beliebt ist das Chateau bei Gästen aus Asien, aber auch dem Nahen Osten, aus Syrien und dem Iran. Gerade war die jordanische Prinzessin Yasmine für ein paar Wochen da. Auch eine französische Familie bedankte sich im Gästebuch: "Was für ein schöner Aufenthalt". Sie war vermutlich auch über die Französischkenntnisse entzückt.

Denn Französisch wird sorgfältig gepflegt. Teh Ming Wah, CEO des Schlosshotels, die lange in Europa gearbeitet hat, achtet streng darauf, dass das Personal französische Wörter lernt. Einmal die Woche trommelt Guest Relations Manager José die Hotelmitarbeiter zusammen und hört 30 Französisch-Vokabeln ab: Bienvenu und Bonjour, Madame und Monsieur, Chambre und Santé, S'il vous plait und Merci beispielsweise. Hotelchefin Teh Ming Wah sagt: "Wir setzen auf europäische Spa-Qualität und asiatische Freundlichkeit in einem französischen Schloss."

Eindrucksvoll ist das Bio-Spa La Santé, auch wenn die Produkte nicht aus Frankreich kommen. Entspannt wird mit Voya-Algenprodukten aus Irland und deutscher Sante- und Logona-Naturkosmetik aus Niedersachsen.

Das tropische Elsass ist so skurril, dass ein Besuch auch für Mitteleuropäer lohnt. Nur der duftende Lavendel im Burggarten will in diesem Klima einfach nicht so richtig blühen, so sehr sich die Gärtner auch bemühen. Lavendel wächst nur da, wo er will.