Frank Gutzke vom Naturschutzverein Jordsand kümmert sich um das Wohlergehen der Seehunde auf der Nordseeinsel - seit fast acht Jahren.

Frank Gutzke lächelt zufrieden, wie ein Magier auf der Bühne nach einem besonders gut gelungenen Zaubertrick: "Und da haben Sie auch schon Ihr erstes Robbenbaby." Er zieht es nicht aus dem Zylinder (Gutzke trägt wegen der Kälte eine dicke schwarze Wollmütze), sondern deutet ein paar Meter den Weg voraus.

Da liegt ein gurkenförmiger, fetter Flatschen von einem Tier, etwa 50 Zentimeter lang, mit zwei dunkel glänzenden Glotzaugen an einem Ende, die uns ganz offensichtlich äußerst neugierig mustern. Aha, so sieht also ein Robbenbaby aus. Angst scheint es nicht zu haben, und auch die null Grad Lufttemperatur sowie ein steifer Ostwind scheinen sein Wohlbefinden nicht merkbar einzuschränken.

Witzigerweise rekelt sich das Robbenbaby direkt unter einem Schild, das an die Naturschutz-Regeln der Düne erinnert. Gutzke ist zu sehr Naturschützer, um sich über diese Ironie zu amüsieren. Jedenfalls will er sich mit dem Tier auf keinen Fall zusammen fotografieren lassen, weil er ihm sonst zu nah kommen würde. Dabei sind wir dem unförmigen Urviech jetzt schon viel zu nah: knapp zwei Meter statt der (auf besagtem Schild) vorgeschriebenen 30 Meter. Aber das Robbenbaby hält sich ja auch nicht an die 30-Meter-Regel: Es liegt direkt neben der Landebahn von Deutschlands kleinstem Verkehrsflughafen.

Vermutlich räumt es niemand weg, weil nur zweimal pro Tag ein Flugzeug von der Helgoländer Düne startet. Schon nach ein paar weiteren Schritten lerne ich, dass die 30-Meter-Regel auf der Düne vollkommen akademisch ist. Denn hier sind Robben häufiger vertreten als auf der Hauptinsel die Schnapsläden. Sie (die Robben, nicht die Schnapsläden) liegen einfach überall scheinbar ganz zufällig herum, und dank ihrer Fleckentarnung sieht man sie oft erst unmittelbar bevor man auf sie treten würde.

Das wäre schlecht, denn Robben können ziemlich gut beißen. Im Sommer bekommt das gelegentlich mal ein dummer Badegast zu spüren, der so einen niedlichen Fellklumpen unbedingt streicheln zu müssen glaubt. Passen Robben und Menschen zusammen? Frank Gutzke hofft das jeden Tag aufs Neue: Im Helgoländer Natur- und Vogelschutz-Verein Jordsand ist er zuständig für die Robbenkolonie auf der Düne, die sich direkt neben dem Badestrand befindet.

Im Sommer aalen sich dort Badegäste vom Festland und Robben Fuß an Flosse in der Sonne. Schmerzhafte Begegnungen (zumeist für Menschen) nicht ausgeschlossen: "Die sind ja neugierig, schwimmen dann mal herüber, und da kann es schon vorkommen, dass eine neben Ihnen auftaucht oder Sie von unten beim Schwimmen mit der Nase anstupst."

Die Robbenkolonie wächst in erstaunlichen Dimensionen: Als Gutzke 2005 anfing mit der Arbeit bei Jordsand, kam im Herbst etwas über ein Dutzend Robbenbabys zur Welt.

2010 waren es über 100, in diesem Winter schon vor Silvester 156 Jungtiere, die sich am Strand der Düne - ja, was tun sie dort eigentlich? Von "tummeln" kann nicht die Rede sein. Eher sieht es so aus, als litten sie an einer kräftezehrenden Krankheit: Scheinbar apathisch liegen die fetten Massen in der Gegend herum, drehen sich mal auf die Seite, mal auf den Rücken. Tatsächlich fühlen sich die Viecher pudelwohl.

"Die Babys entwickeln jetzt ihre Fettschicht, die sie später im Wasser gegen die Kälte schützt." Die Jungtiere liegen also umher, schauen dröge in die Gegend und werden einmal pro Tag von der Mutter gesäugt, die sich ansonsten recht wenig um ihr Baby zu kümmern scheint. Dafür umso mehr die Touristen - selbst jetzt, bei düster-grauem Himmel und eisigem Ostwind.

Noch sind die Robben in der Überzahl, aber die Besucherschar wächst ebenfalls von Jahr zu Jahr. Das Einzige, was nicht wächst, ist die Düne. Warum die Robben auf Helgoland so gut gedeihen, weiß Gutzke noch nicht genau. "Wir vermuten, dass es auch an den Tangwäldern liegt, die vor der Westküste der Insel am Meeresgrund wachsen." Der Tang ist natürliches Rückzugsgebiet der Robben und sehr jodhaltig. "Wenn die da durchschwimmen, heilen ihre Verletzungen viel schneller", erklärt der Insulaner später beim Grog auf der Hauptinsel.

Vor 20 Jahren gab es praktisch keine Robben auf Helgoland, die Folge von Jahrzehnten intensiver Bejagung durch die Fischer. "Die Fischer sind heute noch keine großen Freunde der Robben." Ihren Gram müssen sie für sich behalten: Vorläufig sind die Tiere gesetzlich geschützt. Wie groß die Gemeinde noch wachsen kann, werde sich zeigen: "Wir entwickeln Pläne für den Fall, dass die Population zu stark wird", sagt Gutzke. Im Interesse der Robben.