Die kleine Kanaren-Insel La Gomera ist nicht unbedingt ein Ziel für Badeurlauber, aber umso mehr eines für naturinteressierte Wanderfreunde.

La Gomera ist die kleine Schroffe unter den Kanarischen Inseln und besitzt den größten zusammenhängenden Lorbeerwald Europas. Im vergangenen Sommer zerstörten Großbrände einen Teil des Waldes. Doch viele Urlauber stornierten ihre Winterreise grundlos.

Als er den Rauch oben am Berg sah, hatte Luis Garcia schon die trockenen Blätter im Garten beseitigt, die Gardinen abgenommen, die entzündbare Matratze und den Gaskocher in die Mitte seines Hauses geschleppt und seinen Rucksack gepackt. Dann rannte er los zur Fähre, die ihn in Sicherheit brachte. In nur zwölf Minuten fraßen sich die Flammen von einer Palme zur anderen durch das "Tal des großen Königs", züngelten im Halbkreis um sein Haus, nagten an den Maracujasträuchern und - drehten ab. "Ich hab großes Glück gehabt", sagt der 62-jährige Argentinier, "weiter oben hat der Brand das Haus einer Deutschen komplett zerstört." Entlang des Tals ragen noch immer Palmen wie abgebrannte Streichhölzer in den Himmel. Doch aus ihren strubbeligen Köpfen sprießt längst neues Grün.

Die kreisrunde Insel ist bekannt für steile Gebirgsketten und tiefe Schluchten, die in schwarzsandige Mini-Buchten münden. Für üppige Bananenplantagen, Obstgärten, und einzigartige Lorbeerwälder. An die Hänge schmiegen sich verschlafene Dörfer. Palmen rascheln im Wind, und jeden Morgen kräht irgendwo ein Hahn.

Ohne internationalen Flughafen ist La Gomera nicht unbedingt ein Paradies für Badeurlauber, aber umso mehr für Wanderfreunde. Die unumgängliche Fährschiff-Anreise über Teneriffa nehmen die Naturfans dabei gern in Kauf. Erst in den 1970er-Jahren, nachdem englische Aussteiger die Palmenwälder entdeckt und den Flecken Erde als Hippie-Insel bekannt gemacht hatten, entwickelte sich langsam der Fremdenverkehr. Doch vom Massentourismus ist die Kanarin bis heute weit entfernt.

Diesen Winter haben viele Urlauber wegen der Meldungen über die Waldbrände ihre Reise lieber abgesagt. "Ganz unnötig", findet Luis. Denn das Feuer hat nicht - wie oft dargestellt - die ganze Insel erfasst. Betroffen sind eher die jüngeren Anpflanzungen außerhalb des Nationalparks Garajonay.

Als Teenager war Luis fasziniert vom lässigen Leben im Valle Gran Rey. 20 Jahre später kam er wieder, um sich dort niederzulassen. Als Wanderführer begleitet er nun regelmäßig Gruppen auf Bergtouren. Dabei sprintet er die steilen Hänge rauf und runter wie eine Bergziege. Es geht vorbei an grünen Terrassen, wo einst Wein und Gemüse angebaut wurden. Am Wegesrand wachsen mannshohe Agaven. Unterwegs pflückt Luis mit zwei Stöckchen und einem Taschenmesser eine Kaktusfeige und zeigt, wie man sie schält, ohne sich an den Stacheln zu piksen.

Auf dieser Wanderung im Norden der Insel sind nirgendwo Brandspuren zu sehen. Stattdessen wuchert überall saftiges Blattwerk. Kein Wunder: Immer wieder öffnet der Himmel seine Schleusen und lässt einminütige warme Duschen niederprasseln. Ein Segen für die Natur. "Seit eineinhalb Jahren hat es nicht mehr richtig geregnet, zumindest nicht so wie jetzt", sagt Luis. Nun scheint Petrus alles nachzuholen. Es regnet mal vertikal, mal horizontal. Bei Letzterem wehen ganz zarte Schauer wie Gardinen waagerecht durch die Schluchten. Die Gomeros betrachten das nicht wirklich als Regen.

Im Lorbeerwald tropft es nicht vom Himmel, sondern aus den Kronen. "Die Bäume melken die Wolken", sagen die Einheimischen. Dazu huscht Nebel zwischen den knorrigen Stämmen. An deren krummen Ästen baumeln grüne Bartflechten wie Flokati-Teppiche. Der einzigartige Wald ist ein Relikt aus dem Tertiär und Weltnaturerbe. Hier wachsen allein 20 unterschiedliche Baum- und 80 Farnarten - einige davon zwei Meter hoch. Und er ist einziger Lebensraum der seltenen Lorbeertaube. Im Besucherzentrum des Nationalparks veranschaulicht ein Film das Ökosystem des Waldes, und Schautafeln zeigen, wie die Insel entstand.

Obwohl der Zauberwald von den Flammen weitgehend verschont blieb, sorgt sich Nationalparkdirektor Angel Fernandez Lopez: "Womöglich sind einige endemische Tier- und Pflanzenarten unwiederbringlich vernichtet", sagt er. Und die Täter hat man noch nicht geschnappt. Er ist sich sicher, dass Brandstifter am Werk waren, da das Feuer an drei verschiedenen Stellen ausbrach - immer in der Nähe von Ortschaften. "Die Natur macht so was nicht", sagt er "denkbar, dass Arbeitslose dachten, sie bekämen dadurch einen Job bei Aufräumarbeiten im Wald." Es gibt keine Industrie auf La Gomera, abgesehen von der Herstellung von Palmsirup. Und nicht jeder findet einen Job im Tourismus.

Luis führt seine Gäste bergauf und bergab über schmale Pfade, auf denen Bauern früher mit ihren Eseln von einem Dorf in das nächste gelangten. Es duftet nach Minze, Rosmarin und Thymian. Nur noch selten hallen Pfiffe über die Berge. Da die Wege mühsam waren, entwickelten Bauern die Pfeifsprache "El Silbo" ("das Pfeifen") und verständigten sich damit von Tal zu Tal. Heute hört man es eher in der Hafenstadt San Sebastian. Im Stadtpark steht Eugenio Darias, ein ehemaliger Lehrer mit Lausbubenlachen, auf dem Rasen und gibt eine Kostprobe: Er steckt den kleinen Finger in den Mund, drückt die Zunge damit hoch und hält die andere Hand als Schallschutz an die Wange. Wie Vogelgezwitscher fliegen die Silben durch die Luft. Eugenio hat die Pfeifsprache in der Schule unterrichtet. Damit die Tradition nicht verloren geht, ist sie inzwischen Pflichtfach. "Man braucht viel Übung", sagt Eugenio. "Meistens lernen Mädchen sie schneller als Jungen", fügt er lachend hinzu. Demnächst soll eine Pfeifschule eingerichtet werden, dann können sich auch Touristen darin üben.

Am Abend rascheln die Bananenstauden im Wind. Das Meer peitscht Gischt auf den Strand im Tal des großen Königs. Ein paar Musiker trommeln unter dem Applaus einer Schar Ökotouristen den Sonnenuntergang herbei. Bierflaschen klappern. Oben in den Bergen ist der Himmel verhangen. Der uralte Lorbeerwald schlürft wie immer seinen Drink aus den Wolken. Seit Millionen Jahren hat er alle Widrigkeiten gemeistert. Ein Feuer wie im Sommer bleibt da nur eine Episode, die vorübergeht.