Im Norden Israels führt ein Weg durch Galiläa, der den Spuren Christi folgt. Die Tour soll arabische und jüdische Gemeinden in der Region verbinden und Besuchern zugleich die Geschichte Israels nahebringen

Verschmitzt grinst der kleine Junge die Wanderer an und winkt ihnen zu. Das Mädchen, das ihm aus der Toreinfahrt folgt, übt gleich sein holpriges Englisch: "Willkommen, wie heißt du?", will die kleine Palästinenserin wissen. Die Wanderer - eine Dänin, ein Amerikaner und ein Deutscher - antworten freundlich und setzen ihren Weg fort.

Eine Weile winken die Kinder ihnen noch nach. Spontane Kontaktaufnahme ist nicht selten auf dem Jesus Trail im Norden Israels. Die Einheimischen scheinen sich ehrlich über die Touristen zu freuen, die durch ihre Dörfer ziehen und das Heilige Land von einer neuen Seite kennenlernen wollen - zu Fuß. Der Jesus Trail von Nazareth bis Kapernaum am See Genezareth entstand 2007 auf Initiative des israelischen Unternehmers Maoz Inon und des amerikanischen Wanderspezialisten David Landis. Sie hatten sich kennengelernt, als Landis Informationen über Wanderrouten in Israel suchte. Da trug Inon schon die Idee mit sich herum, einen Weg entlang israelischer und arabischer Ortschaften auszuarbeiten, der sowohl christliche Pilger als auch geschichts- und kulturinteressierte Touristen anziehen könnte.

"Viele Menschen pilgern nach Santiago de Compostela, doch hier in Israel haben wir die Originale", sagt Inon. Der 32-Jährige, Inhaber der Herberge Fauzi Azar Inn in Nazareth, merkte schnell, dass sich kaum Touristen in das arabische Zentrum der Stadt verirrten. Der Jesus Trail sollte das ändern und nicht nur mehr Besucher nach Nazareth holen, sondern auch in die umliegenden Gemeinden. "Wir wollten etwas tun, um Touristen anzuziehen", sagt er. "Jeder Wanderer bringt auch positive Energie mit, die wir hier dringend brauchen."

Touristen wie Einheimische sollen vom Jesus Trail profitieren. Für die Israelis und Araber in der Region ist er eine Verbindung zwischen ihren Kulturen. "Wenn Wanderer eine Nacht in einem arabischen Ort schlafen und am nächsten Tag in einem Kibbuz, dann haben beide Orte ein gemeinsames Interesse, nämlich, dass es dem Wanderer gut geht und er wiederkommt", sagt Inon. Auch für die Wanderer ist diese Abwechslung ein Erlebnis. "Vier Nächte bei Juden, Muslimen und Christen - wo ist das sonst möglich?", fragt Inon.

Der Weg beginnt an der Verkündigungskirche in Nazareth, wo ein Engel Maria von ihrer unerwarteten Schwangerschaft berichtet haben soll. Durch die engen Gassen der Altstadt führt er 406 Stufen hinauf, aus Nazareth hinaus, aufs freie Feld. Grüne Wiesen und fruchtbare Felder breiten sich bis an den Horizont aus, gesprenkelt von Mohn und Alpenveilchen. In Kafr Kanna, wo Jesus dem Johannesevangelium zufolge Wasser in Wein verwandelt hat, endet die erste Etappe.

"Als ich den Weg zum ersten Mal ging, war ich ein Pilger", erzählt der Amerikaner Andrew Marcou. Der 34-Jährige begleitet jeden Sonnabend Interessierte auf der ersten Etappe des Weges. Kafr Kanna ist die letzte biblische Station auf dem Jesus Trail, bis der Weg am See Genezareth auf Tabgha stößt, wo Jesus Fische und Brot vermehrt haben soll. Der Jesus Trail ist nicht nur ein Pilgerweg, er ist vor allem ein Weg durch 2000 Jahre israelische Geschichte. An Moscheen, Synagogen und Kirchen vorbei führt der Jesus Trail auch zu einem Heiligtum der Drusen, einer Religionsgemeinschaft, die sich im 11. Jahrhundert aus dem Islam heraus entwickelte. Von hier aus windet sich der Weg einen kleinen Hang hinab - und die Wanderer betreten eine andere Welt. Eben noch in einem Tempel aus weißem Marmor, stehen sie jetzt zwischen den Ruinen eines arabischen Dorfes, das 1948 zerstört wurde.

In Israel sind Vergangenheit und Gegenwart, Politik und Religion, so sehr miteinander verflochten wie in kaum einem anderen Land. "Hier vermischt sich alles", sagt Inon. "Das macht die Schönheit des Weges aus."

Seit 2009 ist der Jesus Trail auf 65 Kilometern vollständig markiert. Im vergangenen Jahr machten sich rund 3000 Wanderer auf den Jesus Trail - für 2012 erwartet Inon schon 5000.