Im südmexikanischen Bundesstaat sind die Nachkommen der Maya bestrebt, die Infrastruktur zu stärken - um vom Tourismus leben und die Umwelt bewahren zu können

Der Kirchenraum von San Juan Chamula ist voll besetzt. Auf dem losen Teppich aus langen Piniennadeln sitzen Hunderte von Menschen in kleinen Gruppen dicht beieinander. Sie singen, sprechen, gestikulieren. Zwei ältere Frauen tragen qualmende Kelche durch die Menge. Viele bewegen sich im Rhythmus der Musik. Der Patronatstag der Virgen del Rosario, der Jungfrau des Rosenkranzes, ist einer der wichtigsten Festtage des Mayavolkes der Tzotzilen. An diesem Sonntag pilgern mehrere Tausend Mitglieder der größten indigenen Volksgruppe des mexikanischen Bundesstaates Chiapas aus den Bergen nahe der Stadt San Cristóbal de las Casas in den Flecken Chamula.

Rund 200 Kilometer südöstlich, im Dorf San Nicolás unweit der berühmten Seen von Montebello an der Grenze zu Guatemala, streichelt Donja Soila ein Blatt der Orchidee "Herzensauge". Die 34-jährige Angehörige des Mayavolkes der Tzeltalen hat mit 30 weiteren Frauen die Kooperative Orquideario Cinco Lagos gegründet. Mitte der 1990er-Jahre hatte ein Großbrand einen großen Teil der Wälder an den Seen zerstört. "Wir sind damals in den Wald gegangen und haben Pflanzen gesammelt, um sie vor den Flammen zu retten", erzählt Soila. Jetzt bringen die Frauen die Orchideen zu den Beeten an einen dicht bewaldeten Hang über dem Dorf. Die Orchideen zu erhalten, sei ein Beitrag zur Rettung des Waldes. "Denn das ist unsere Aufgabe. Es ist auch unser Ziel, vom Wald zu leben, ohne ihn zu zerstören." Und das ist rund um den Lacandonenwald mit den geschützten Montes Azules, den Blauen Bergen, bitter nötig. Vor mehr als 200 Jahren haben die Menschen damit begonnen, diesen dichten Urwald im Osten von Chiapas erneut zu besiedeln und auszubeuten, nachdem die Mayas dort die Pyramidenstädte vor einem Jahrtausend verlassen hatten. Geht das Niederbrennen von Waldflächen in dem Tempo weiter wie bisher, hat der Lacandonenwald nur wenige Chancen zu überleben.

Die Probleme kennt auch Octavio Elias Albores Cruz, Bürgermeister von Ocosingo, Chef des flächenmäßig wohl größten Municipios von Mexiko. Ocosingo, auf halbem Weg zwischen San Cristóbal und den berühmten Pyramiden und Tempelruinen von Palenque, nennt sich "Das Tor zum Wald". Zu dem Municipio gehören echte Attraktionen. Neben den bunten Mayavölkern und dem Erbe ihrer Vorfahren, die Pyramidenstädte wie Yaxchilán, Toniná und Bonampak hinterlassen haben, sind es vor allem die Attraktionen der Natur: der Urwald mit seinen wilden Tieren, Lagunen und Höhlen. Aber das gebirgige Gelände ist schwer erreichbar. "Wir werden in den kommenden Jahren Straßen bauen, um die Gemeinden besser miteinander zu verbinden", sagt Octavio. "Wir wollen, dass mehr Touristen kommen, damit die Menschen Geld verdienen können." Der Wald solle dabei geschützt werden. "Das ist die Herausforderung: den Wald schützen, aber das Leben der Menschen verbessern." Dabei sollen die Mayas eine Rolle spielen: "Wenn wir die Infrastruktur bei den Monumenten stärken, werden die Nachfahren der Mayas davon leben. Und sie können die Umwelt bewahren."