Eigentlich dürfte es ihn gar nicht mehr geben. Sein Ende wurde oft vorausgesagt. Doch der Reisekatalog ist für viele Urlauber unverzichtbar.

München/Kiel. Es klingt ein bisschen verrückt: Jedes Jahr geben die Reiseveranstalter Millionen Euro für Kataloge aus, die in riesiger Auflage gedruckt, aber von den Kunden meist nur kurz genutzt werden. Sie sind schon beim Termin ihrer Auslieferung nicht mehr aktuell und haben oft nur Platz für einen Teil der Hotels und Flugangebote, die der Veranstalter im Programm hat. Gerade sind die Kataloge für den nächsten Sommer vorgestellt worden. Aber warum gibt es sie überhaupt noch, wenn vieles von dem, was dort drin steht, längst auch im Internet zu finden ist?

Der Kunde will es so. Und so gibt es jedes Jahr zweimal mit schöner Regelmäßigkeit das gleiche Ritual: Jeweils im Spätherbst kommen die Kataloge mit den Sommerprogrammen, jeweils im Frühsommer die mit denen für den Winter in die Reisebüros. Marktführer Tui hat kürzlich allein 28, die Konkurrenz von Neckermann und Thomas Cook Reisen jeweils 22 Kataloge vorgestellt.

„Es gab schon in den 90er Jahren die Vorhersage, dass die Kataloge bald verschwinden würden“, erinnert sich Prof. Torsten Kirstges. „Schon damals habe ich gesagt, dass sie nicht durch Onlinevarianten zu ersetzen sind.“ In der Zwischenzeit habe es zwar Veranstalter wie Touropa oder Alltours byebye gegeben, die auf Kataloge verzichten und ganz auf Onlinevermarktung setzen wollten. „Aber das hat in beiden Fällen nicht funktioniert“, so der Direktor des Instituts für innovative Tourismus- und Freizeitwirtschaft (ITF) an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven.

Warum nicht? „Ein Katalog aus Papier hat unschlagbare Vorteile“, sagt Kirstges. „Der Kunde hat etwas Dickes, Schweres in der Hand, das gibt ihm ein Gefühl von Sicherheit.“ Beim Internet sei er nie sicher, ob nicht morgen schon wieder verschwunden ist, was er dort heute gelesen hat. „Außerdem ist das haptische Gefühl, einen Katalog in die Hand zu nehmen, für viele einfach wichtig“, sagt Ury Steinweg, Geschäftsführer von Gebeco und Dr. Tigges. „Ein Katalog ist ein anderes Erlebnis als eine Website.“

Bei der Entscheidung über den Urlaub wolle man einfach auf der Couch sitzen und in Ruhe blättern. Daneben gibt es auch ganz pragmatische Gründe: „Reisebüros sind wichtige Vertriebspartner der Veranstalter“, sagt Steinweg. „Und Reisebüros mögen das Internet nicht.“ Mit ihren Kunden gucken deren Mitarbeiter lieber in den Katalog, als über Webseiten zu scrollen – und möglicherweise zu provozieren, dass die anderswo online buchen.

Die Möglichkeit, jedes Jahr zweimal neue Kataloge vorstellen zu können, hat außerdem noch einen Vorteil: „Neue Produkte muss man mit großem Paukenschlag im Markt präsentieren“, erklärt Steinweg. Wenn es keine Kataloge mehr gäbe, wäre das schwieriger.

„Ein Katalog ist aber auch eine enorm gute und einfache Form, überschaubare Informationen zu präsentieren“, ergänzt Michael Frese, Sprecher der Geschäftsführung von Dertour, Meier’s Weltreisen und ADAC Reisen. Kataloge spielten außerdem eine wichtige Rolle bei der Frage, was gebucht wird: „Wir hatten bis 2011 keinen eigenen Familienkatalog. Seit wir ihn haben, buchen deutlich mehr Familien.“ Das gilt auch für die Hotels: „Bei uns entfallen 90 Prozent aller Buchungen auf Häuser, die auch im Katalog stehen“, sagt Frese. Das sieht Ury Steinweg genauso: „Wenn wir Reisen nicht im Katalog vorstellen, gehen sie in der Masse im Internet unter.“

Deshalb sind Kataloge derzeit noch kaum wegzudenken: „Von deutschen Veranstaltern gibt es 3800 Katalogtitel im Markt“, sagt Kirstges, der das Thema im Rahmen einer Studie erst kürzlich untersucht hat. „Rund 70 Prozent der Veranstalter nutzen sie für den Vertrieb, meist nur die ganz kleinen verzichten darauf.“ Zwar liegt die Auflage bei drei Vierteln aller Kataloge unter 100 000 Exemplaren

- bei einigen allerdings erheblich darüber: „Bis in vielfache Millionenhöhe“, sagt der Tourismusexperte. Tendenziell geht sie allerdings zurück.

Und während die meisten Veranstalter 50 bis 200 Katalogseiten drucken lassen, sind es in der Spitze mehr als 7000. Die Zahl der Kataloge ist bei vielen Veranstaltern noch einmal gestiegen – weil mehr Zielgruppen mit einem eigenen Katalog angesprochen werden sollen. Die Katalogberge zu verteilen, sei nicht nur ein riesiger Logistikaufwand, sondern auch ein enormer Ressourcenverbrauch, erläutert Kirstges. „Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten wäre es natürlich besser, wenn die Kataloge verschwinden würden“, ergänzt Michael Frese.

„Trotzdem bleibt der Katalog unverzichtbar“, ist sich Ury Steinweg sicher – zumindest für die kommenden Jahre. Das sieht auch Guido Wiegand so, der bei Studiosus für die Katalogkonzeption verantwortlich ist. „Auch in 10 Jahren gibt es ihn garantiert noch, da würde ich jede Wette eingehen.“ Und in 20 Jahren? „Da würde ich nicht mehr wetten.“

Prof. Kirstges schätzt das ähnlich ein: „Ich bin überzeugt, dass der Katalog stark an Bedeutung verlieren wird – die Frage ist nur: wann?“ Sicher ist, der Katalog verändert sich: „In Zukunft wird es noch stärker eine Trennung geben“, sagt Kirstges: „Der Katalog übernimmt die Animation, die Detailinformationen ruft man online ab.“

Zum Informieren vor der Buchung habe das Internet schon enorm an Bedeutung gewonnen, sagt Michael Frese. Internet und Katalog würden inzwischen oft parallel genutzt: „Man guckt in den Katalog und anschließend bei Google Maps, wo der Ort genau liegt oder wie weit es zum Meer ist.“ Statt der Informationen selbst geben Kataloge in Zukunft Hinweise darauf, wo diese im Internet zu finden sind, prognostiziert Frese: „Einreisebedingungen, Gesundheitshinweise, Veranstaltungskalender für Städtereisen, Zusatzinfos wie zu Theater und Konzerten.“

„Der große Vorteil des Internets ist die Aktualität“, erklärt Guido Wiegand. Und man könne dem Kunden auf diesem Weg noch ganz andere Informationen zugänglich machen – ob bei einer Studienreise die Mindestteilnehmerzahl schon erreicht ist, zum Beispiel.

Der Marktführer hat solche Angebote mit dem Serviceportal „Meine Tui“ bereits ausgeweitet: Kunden loggen sich nach der Buchung unter meine-tui.de ein und rufen dort Informationen ab, die dann nicht mehr im Katalog zu stehen brauchen – über die Restaurants im Hotel und die erlaubte Gepäckmenge für den Flug bis zu Ausflugstipps am Urlaubsziel. Langfristig sollen 80 bis 90 Prozent der Kunden das Infoportal nutzen, so Tui-Manager Andreas Casdorff. Der Katalog der Zukunft könnte also deutlich schlanker sein.

Wenn sich Tablets wie das iPad auf breiter Front durchsetzen, könnte das außerdem dazu führen, dass das Blättern im Katalog sich auch in der digitalen Variante so anfühlt, dass es sofatauglich wird. „Tablets sind eine spannende Geschichte, weil sie beide Welten verbinden“, sagt Guido Wiegand. Das könnte einiges verändern – auch in der Welt der Reisekataloge.