Im Rantumbecken auf Sylt trifft Linda Schragl bei ihren Forschungen auf Vogelarten, die eigentlich in Island oder Schottland leben.

Sylt. Vogelzivis gibt es nicht mehr. Fort wie Wildgänse im späten Frühjahr. Und trotzdem haben Naturschutzorganisationen mehr als regen Zulauf von jungen Leuten, die monatelang mit Spektiv und Zähluhr an der Küste unterwegs sind und - Vögel zählen. Was nach Strafarbeit aussieht, ist heiß begehrt. Damals waren es Zivildienstleistende, heute bereiten sich Studenten auf ihren Traumberuf in der Öko-Branche vor. Wie Linda Schragl: Die 22 Jahre alte Studentin aus Eberswalde in Brandenburg verbringt ihr Praxissemester am Rantumbecken auf Sylt. Vier Monate lang zählt sie hauptsächlich Vögel.

"Ich wollte unbedingt an die Nordsee", erzählt die gebürtige Berlinerin, die Landschaftsnutzung und Naturschutz studiert, "die Ostsee kannte ich vom Urlaub aus Kindertagen, an der Nordsee war ich noch nie - dieses Wilde, diese Weite, für mich ist das pure Natur." Und so bewarb sich Linda Schragl beim Verein Jordsand um eine Praktikumsstelle und kam nach Sylt.

Aus anfänglicher Begeisterung ist längst Leidenschaft geworden. Vier Monate raus aus der Stadt, ans Meer - so weit, so wild, so wunderbar; für Linda ist jeder Tag etwas Besonderes. "Ich bin von der Vielfalt der Vögel total begeistert. Es gibt immer wieder neue Arten, die ich entdecke und noch nicht kenne."

Als der Sturm nachlässt, hat Linda das Spektiv aufgebaut, mit bis zu 60-facher Vergrößerung reicht der Blick übers Wasser, auf Enten, auf Schilfinseln. Verdichtet ist die Perspektive, es ist ganz schön viel los. "Für meine Zählungen schaue ich zuerst mit dem Fernglas erst mal grundsätzlich: Was ist wo? Also welche Arten sind überhaupt in dem Abschnitt, der untersucht werden muss. Dann teile ich mir in Gedanken das Suchfeld in fiktive Flächen ein, ich denke mir Linien von Anhaltspunkt zu Anhaltspunkt." In dieser festgelegten Fläche zählt sie dann die Vögel - beispielsweise auf einer Sandbank.

"Guck mal hier!" Linda hat etwas gesehen, und zwar nicht durchs Spektiv, sondern ganz nah: Ein paar Schritte hinter einer kleinen Gruppe an Urlaubern fliegen plötzlich zwei Vögel, groß wie Spatzen, auf. Munter, niedlich, mit weißem Bauchgefieder. Die Leute freuen sich, staunen still und schauen den schönen Vögeln zu. Und einer weiß es: "Das sind Schneeammern!" Die leben eigentlich auf Island, in Schottland und noch weiter weg und verbringen den Winter hier an der südlichen Nordsee.

Das Rantumbecken ist ein Vogelparadies. "Ich bin hier oft unterwegs, auch wenn ich keinen Dienst habe", sagt Linda, "mit meinem Fernglas und Bestimmungsbuch. Kürzlich habe ich Eiderenten gesehen. Die sind mir aufgefallen, weil sie im Prachtkleid waren - so habe ich sie vorher noch nie gesehen!"

Wetterfest angezogen und mit dem Wunsch, sich auf die Natur einzulassen, kann man hier Vögel entdecken, die es eben nicht überall zu beobachten gibt. Der Verein Jordsand bietet aber auch Exkursionen und Vogelbeobachtungstouren an. Denn auch Führungen und Öffentlichkeitsarbeit gehören zu den Aufgaben von Linda Schragl.

Die Studentin ist noch bis kurz vor Weihnachten auf Sylt, dann geht es zurück nach Eberswalde. "Ich bin von der Insel total begeistert", schwärmt Linda, "von dieser Vielfalt an Landschaften und Lebensräumen. Gerade jetzt im Herbst ist es besonders schön, wenn es so leer ist, wenn ich um die Hörnumer Odde oder auf dem Ellenbogen stundenlang wandern kann und fast allein in der Natur bin." Dann ist es an der Nordsee wieder richtig wild und wunderbar. Und dann kann aus Leidenschaft plötzlich ganz schnell Liebe werden.

Wer sich für begleitete Exkursionen und Vogelbeobachtung interessiert, wendet sich an: E-Mail sylt@jordsand.de oder Tel. 04651/92 61 65. Weitere Infos unter www.jordsand.de