Es gießt Bindfäden in Obersaxen im Kanton Graubünden. "Das ist nicht normal", schnaubt Gastwirt Caduff, "Wir haben hier sonst nur seichten Regen." Normal ist auch nicht, dass ein Wirt seine Gäste persönlich heimfährt, aber der letzte Postbus ist lange weg und Taxis sucht man in Obersaxen vergeblich. Im Winter, wenn die meisten Gäste kommen, verkehrt am Wochenende ein Bus zwischen Restaurants, Hotels und Ferienwohnungen. Im Sommer dagegen haben die Gäste in der Regel ein eigenes Fahrzeug dabei, um zwischen Golfplatz, Badesee und den Berggasthöfen hin- und herzupendeln. Und manche wandern auch gerne ein paar Kilometer - sofern es nicht gerade in Strömen regnet.

Das nächtliche Unwetter scheint den Motorradfahrern nichts anzuhaben, die meinen unfreiwilligen Chauffeur und mich rasant überholen. Wo wollen die jetzt noch hin, frage ich mich. Die Antwort gibt ein Plakat in dem Hotel Central, das mich beherbergt: "Obersaxen Hill Climbing European Championcup" lese ich und wundere mich ein wenig. Das Tourismusbüro hatte von einem Wanderparadies gesprochen, von einer grandiosen Naturlandschaft und einem neuen Kulturwanderweg, dem Walserweg, der in der Siedlung Miraniga beginnt. Genau da, wo morgen die Fahrer ihre getunten Maschinen den Berg hochjagen werden.

Gastwirt Caduff hat mir eine Menge Knoblauch ins leckere Bündner Essen getan. Aber es hilft nichts. Das hält die bösen Geister nicht fern. Sie fauchen, jaulen und blenden ins Hotelgemäuer. Entnervt reiße ich die Vorhänge auf, was in aller Welt ist das? Es ist erst ein fernes Brummen, dann ein Aufheulen, ein erstes Licht an der Kurve vor dem Hotel, dann ein weiteres: Wie an einer Lichterkette aufgezogen, jagen schwarze Reiter die Anhöhe hinunter, sie fauchen und feixen sich etwas auf die Nachtruhe, rattern im Dunkeln der pitschnassen Nacht dumpf und bedrohlich davon.

Ruhe ist, wenn der Lärm nachlässt. Ich stelle mir vor, dass die Truppe jetzt einen Ort weiter in Miraniga eingetroffen ist, sich nass und erschöpft zur Ruhe begibt, zur Vorbereitung auf das große Rennen morgen. Ich lege mich wieder hin, bis eine gefühlte Minute später erneut das ferne Grollen ertönt. Sie kommen wieder, immer wieder, drehen ihre Runden, drehen durch, machen sich einen Spaß. "Wie ein Aufzug von Panzern", bestätigt eine Wanderurlauberin die nächtlichen Erscheinungen. Wie lautet noch der Slogan der Motorsportler: "Steil ist geil." "Still ruht der Hill" wäre mir lieber.