Die Atacama im Norden Chiles ist die trockenste Region der Erde. Sie bietet die besten Bedingungen für Astronomen. Auch Touristen mögen die Wüste.

Das Lama heißt Madonna, benimmt sich aber gar nicht madonnenhaft. Es rumpelt in den Souvenirladen von Toconao, schubst mit seinem kräftigen Hinterteil Touristen weg und schnappt sich aus einem Sack eine Packung Kekse. Dann stampft es wieder vor die Tür des Ladens und versucht, das Zellophan aufzureißen. Das gelingt dem zotteligen Tier nicht, obwohl sein Gebiss Furcht einflößend ist. Also erbarmt sich jedes Mal ein Tourist und reißt die Packung auf, um dann zu fotografieren, wie Madonna bis zum letzten Krümel alles verschlingt.

Nach 30 Packungen pro Tag muss es schlimm stehen um den Cholesterinspiegel des Lamas. Aber die Indio-Verkäuferin lacht, und wenn sich kein Tourist traut, öffnet sie für das Tier die Packung und tut, als wenn sie entsetzt wäre, dass kurze Zeit später wieder seine Hufe im Laden scharren.

Madonna ist eine Attraktion im 2500 Meter hoch gelegenen Toconao, sie lockt Busgruppen und Rucksackreisende an und ist Umsatz steigernd. Wer im Laden die Lama-Statuetten im Häkelkleid sieht, Schals und Mützen aus warmem Lamafell und dazu allerhand Nippes, der greift zu.

Die braunhäutigen Atacamenos seien ein ganz eigenwilliger Menschenschlag, sagt unser Führer Ricardo, ein Ethnologe. Hippies mit eigener Kleidung, ihre Dörfer archaisch, ihre Häuser aus Kaktusholz und Adobe, kalkweiß gestrichen und in Würfelform. Die Atmosphäre ist unkonventionell, und gehen die Geschäfte gut, hat sie auch etwas Herzliches. Hinter den Kulissen sehe es etwas anders aus, weiß Ricardo, und deutet Gewalt an, Macho-Verhalten und sexuelle Übergriffe. Um ihr Temperament zu zügeln, hielten sich die Einheimischen, deren Kultur auf die 11 000 Jahre alte Cunza-Geschichte zurückgeht, an drei Vorgaben: nicht lügen, nicht stehlen, nicht töten. Es sei gut gewesen, so Ricardo, dass der Katholizismus hier zwangskolonisierte, er biete vielen Indios mit der Filzmelone auf dem schwarzblauen Haarschopf eine andere Ausrichtung.

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Renitent sind sie trotzdem. "Schaut euch ihre Kreuze auf und in den Kirchen an." Tatsächlich, sie sind alle schräg verankert. Nirgendwo in der Atacama sieht man aufrecht installierte Kreuze. Der Indio-Anarchismus wird von der Katholischen Kirche hier als lokale Besonderheit akzeptiert.

Durch die Atacama auf Geröllpisten zu fahren, mutet an wie eine Fahrt durch den Hades (Unterwelt der griechischen Mythologie). Die trockenste und am höchsten gelegene Wüste der Welt liegt im Norden Chiles, wo sie an Bolivien und Peru grenzt. Die Sand- und Felswüste ist seit Jahrmillionen Wind und Sonne ausgesetzt und damit auch der ständig fortschreitenden Erosion. Alles bröckelt, hobelt, fräst, raspelt und sandet zwei Flugstunden nördlich von Santiago de Chile. Über dem Trockenheitskorridor ist der vom Pazifik kommende kalte Humboldtstrom als ständiges Hochdruckgebiet präsent, aber die Wolken können nicht die Barriere der bis zu 6000 Meter hohen Anden überwinden. Staub und Geröll des Korridors, durch den sich Schotterpisten ziehen, werden nur einmal pro Jahr zur Regenzeit heftig "gewässert". Dann bekommt die Wüste für einige der mehr als 320 Sonnentage einen anderen Glanz. Der Rio Grande, sonst ausgetrocknet, schäumt und tritt über die Ufer, reißt Betonbrücken um und Indiohäuser weg.

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Danach ist die einzige Asphaltstraße mit Steinen übersät, Gips und Ton liegen herum, geplatzte Autoreifen, Haushaltsgegenstände und Tierkadaver. An den Pisten gibt es "Animitas", Kapellen für Unfallopfer, und kleine Friedhöfe. Die Region wird "Llano de la Paciencia" genannt, Ebene der Geduld. Geduld ist für die Fahrer großer Trucks, die wertvolle Bodenschätze wie Lithium, Kupfer und Schwefel transportieren, neben dem Wasservorrat und dem Rosenkranz in der Hand das Wichtigste auf ihrem Weg durch die Wüste. Aber geduldig sind sie eigentlich sowieso, die Wüste ist ihre Pachamama, die Mutter Erde. Der begegnet man mit Anstand und, wenn die Höhenluft dünn wird, mit einer Handvoll Cocablätter, eingespeichelt als dicker Klumpen neben der Zunge liegend.

Die Landschaft ist von surrealer Größe, das Licht ein Maler, der sämtliche Farben aus seiner Palette ins Aquarell tuscht. Grau die Geröllberge, ockerbraun die Pisten, die Hänge der Mehrtausender schimmern mal rosa, mal pink, dann wieder kobaltblau und beim Sonnenuntergang rötlich und golden. Schwefelablagerungen über einigen Vulkangipfeln sind purpur. Das Valle de la Luna, das Tal des Mondes, leuchtet in allen Gelbnuancen. Und die Laguna Verde auf 4600 Metern - die höchste Lagune der Erde - ist natürlich grün, eingebrannt in die Bergwelt wie ein riesiges Schmuckstück.

Die El-Tatio-Geysire dagegen, das höchste Geysirfeld der Welt, auf 4300 Meter Höhe, zeigt sämtliche Wasserfarben und -formen, wie zum Beispiel Eis bei minus 15 Grad in der kalten Morgenluft. Und während des Tages als brodelndes Thermalwasser, das bis zu 80 Grad heiß ist.

Chiles kräftigstes Farbenspiel durchbricht sogar die Gläser der Sonnenbrille. Und nachts bestrahlen Sterne am wolkenfreien Himmel und bei trockener Luft die wüste Landschaft. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es bessere Bedingungen für Astronomen, kein Streulicht stört. Deshalb werden auch Sterntouren angeboten, mit einem Laserpointer Sternbilder erläutert und Galaxien durch Teleskope studiert.

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San Pedro de Atacama war über Jahrhunderte ein verstaubter Ort, bis er vor 20 Jahren von Rucksacktouristen "erobert" wurde - von denen einige auch nie wieder abreisten. Die stille Oase von einst ist nur noch am Morgen zwischen acht und neun Uhr zu erleben, dann, wenn die Kirche ihr Portal öffnet und die stumme Karnevals-Maria im Hochzeitskleid im Glaskasten um das eine und andere gebeten werden kann. Dann, wenn die Jalousien von Läden und Kneipen in der Caracoles hochrasseln. Um diese Uhrzeit kriechen kettenbehängte Schamanen aus ihren Häusern, wird die Pfefferbaum bestandene Plaza gekehrt, dass der Staub in Wolken aufsteigt, Hunderte streunende Hunde ziehen durch die Gassen, und gegen Mittag, wenn sich schwere Hitze auf das 2500-Einwohner-Dorf mit jährlich 150 000 Gästen legt, stehen auch die Urlauber auf.

Nachts ist viel los in beiden Hauptstraßen. Inzwischen sind auch Fünf-Sterne-Reisende hier, ihre Luxus-Resorts befinden sich an der Peripherie des Ortes, hinter Adobe-Mauern in Oasen-Grün gebettet, mit Ställen voller Pferde und Mountainbikes, schicken Bars und Restaurants, in denen ein Menü mehr kostet, als ein Indio als Tagelöhner im Monat verdient.

In klimatisierten Kleinbussen werden Gäste zur Salar de Atacama chauffiert, dem größten Salzsee Chiles mit seinen Flamingos, einbeinig auf der salzigen Kruste und mit angeberisch gespreiztem Gefieder. Dort ist er nicht, der ärgste Feind der Atacamenos, der mythische Fabelhund Chupacabra, der allen Lebewesen in der nicht sonderlich ausgeprägten Flora und Fauna das Blut aussaugte, aber vor den Touristen mit ihren Sonnenhüten längst Reißaus genommen hat. Der ist der Verlierer in der Ebene der Geduld.