In Plößberg in der Oberpfalz gibt es die wahrscheinlich schönsten Krippen der Welt. Die Miniaturkunstwerke kann man jetzt direkt bei den Schnitzern im Wohnzimmer besichtigen

Es ist immer wieder herrlich für eine Norddeutsche, mit einem Bayern verheiratet zu sein. Nicht nur wegen der vielen seltsamen Worte und Redewendungen, die ich schon kennenlernen durfte oder wegen der Kirchen und Wirtshäuser, in denen quasi sekündlich die Wandlung zelebriert wird. Besonders die ungewohnten Traditionen bedeuten einen ständigen Lernprozess, und so erlebte ich auch dieses Weihnachten beim Besuch der Schwiegereltern in der Oberpfalz eine unerwartete Verkündigung: "Lass uns nach Plößberg fahren und die Krippen anschauen", sagt mein Mann am 26. Dezember. Die seien sehr besonders und weit über die Region hinaus bekannt. Letztes Jahr habe es 20 000 Besucher gegeben, darunter sogar welche aus Amerika und Peru. Gerne, antworte ich, und freue mich auf das Museum oder den Ausstellungsraum, in dem ich die Kunstwerke vermute.

Als wir Plößberg erreichen, ahne ich jedoch schnell, dass es dergleichen hier nicht geben würde. Das Dorf der Miniaturmodelle besticht auch selbst durch eher kleine Ausmaße. Wenige Straßen, dafür einige Ställe - Maria und Josef wären auf jeden Fall fündig geworden. Wir halten vor einem Haus neben einer süßen Zwiebelturmkirche; ein Hund begrüßt uns wie ein leckeres Weihnachtsgeschenk. "Was machen wir hier?", frage ich leicht irritiert, als mein Mann das Klingelschild von Familie Gerl betätigt. "Hier ist die erste Station vom Krippenweg."

Die große Schau findet nur alle fünf Jahre im Kultursaal statt, in der Zwischenzeit besucht man die Schnitzer zu Hause. "Und die lassen Wildfremde einfach durch ihr Wohnzimmer latschen, um ihre Krippe anzuschauen? Sogar zu Weihnachten?" Die hanseatische Zurückhaltung will den sofortigen Rückzug ins Auto befehlen, doch da öffnet sich schon die Tür: "Grüß Gott! Kiamts eina!" Harald Gerl lacht, als kämen seine Lieblingsverwandten vorbei. Dabei sind es nur zwei Hamburger ohne Geschenk, die seinen Flur mit Schneematsch bekleckern, als sie ihm in den Raum mit der Krippe folgen. Und dann sind sie auch noch stumm wie Fische, als sie das Werk seiner Familie erblicken: Vier Meter lang und deckenhoch präsentiert sich eine Welt voller weltlicher und biblischer Motive wie beispielsweise die Bergpredigt, der Einzug nach Jerusalem, die heiligen drei Könige und natürlich im Mittelpunkt die Geburt Jesu.

Gebaut wird das Miniaturwunderland aus allem, was der Wald hergibt: Baumschwämme, Steinmoos, Wurzeln und Wacholderstauden. Darin stehen 600 Figuren, bis zu zehn Zentimeter groß, detailliert aus Lindenholz gefertigt von Ruth Gerl. "Meine Frau kann mit Schnitzwerkzeug umgehen, ich gehe mit der Axt spazieren und besorge die Materialien", sagt Gerl. Hört sich grob an, ist in Wirklichkeit aber Feinarbeit. An einer Figur arbeitet Ruth Gerl bis zu zehn Stunden, die größte Herausforderung ist der Gesichtsausdruck. Einem daumennagelgroßen Jesuskind ein friedliches Lächeln zu verschaffen verlangt neben handwerklichem Können viel Geduld und Freizeitopferung. Die Plößberger Schnitzer sind allesamt Laien, Geld verdienen sie nicht damit. "Sollte es im Dorf aber je brennen, würden wir als Erstes unsere Krippen retten", sagt Gerl. Die Kostbarkeiten seien jede Mühe wert, "wenn nämlich Leute wie Sie bei uns vorbeikommen und Bauklötze staunen".

Neben Familie Gerl beteiligen sich 15 weitere Familien am Krippenschau'n in Plößberg. Der Weg wird natürlich durch den Stern gewiesen. Er steht vor jedem Plößberger Haus, welches in der Zeit vom 26. Dezember bis zum 2. Februar Besuch empfängt. Dann, am vierzigsten Tag nach Heiligabend, feiert die Kirchengemeinde Mariä Lichtmess, auch Einführung Jesu in den Tempel genannt. Maria und Josef brachten ihren Neugeborenen laut Lukasevangelium an dem Tag in den Jerusalemer Tempel, wo er als Erlöser erkannt wurde. "Für viele umfasst die Adventszeit nur die vier Wochen vor Weihnachten, sie setzen sie mit dem Warten aufs Christkind gleich. Aber in Wirklichkeit bedeutet sie viel mehr. Für uns geht es nach der Geburt erst richtig los", erklärt Hubert Haubner, Chef der Krippenabteilung im Oberpfälzer Waldverein, der natürlich auch eine Station auf dem Plößberger Krippenweg gestaltet.

Sein Werk ist mit 14 Quadratmetern so groß, dass es in einem extra Raum neben seinem Wohnhaus untergebracht ist. Die Landschaft ist wie bei den anderen Plößberger Krippen klassisch geteilt in drei Bereiche: einen orientalischen, einen städtischen und einen dörflichen. Im Orient spielt das Leben Jesu, im Dorf wird das Oberpfälzer Leben dargestellt, "und in die Stadt stellen wir gerne mal Figuren, die nicht so beliebt oder gelungen sind, wie den Trunkenbold oder den Bettler".

Haubner war sechs Jahre alt, als er seine ersten Figuren fertigte. Inzwischen hat der 50-Jährige 450 Stück, darunter auch welche von seinen Vorfahren aus dem Jahr 1830. Die Schnitzkunst wurde in Plößberg von Generation zu Generation weiter gegeben. Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Tradition aus der reinen Not heraus. Damals lebten die Leute in der Region vom Glasofenbau. Im Winter jedoch waren sie arbeitslos, durch den Verkauf ihrer Schnitzfiguren auf Weihnachtsmärkten versuchten sie, ihr Überleben zu sichern. Krippenfiguren galten zu der Zeit sogar als zweite Währung. "Viele Zechen wurden damals mit Figuren beglichen", sagt Haubner. Kein Wunder, dass ein Wirtshaus im benachbarten Tirschenreuth eine der größten Sammlungen beherbergt. Die beliebtesten Figuren sind übrigens der Goaßreiter (also ein Junge, der eine Ziege mit einem Pferd zu verwechseln scheint) und der Baumrutscher (ein Kerl, der ängstlich über einen Ast rutscht). Das erscheint genau so seltsam wie die Sache an sich, aber kürzlich wurde ein Goaßreiter auf Ebay tatsächlich für 720 Euro versteigert.

Brauchtum ist eben kostbar. Und so erklärt sich Huber auch, warum immer mehr Menschen nach Weihnachten an den Plößberger Haustüren zum Krippenschau'n klingeln: "Die Leute sind es gewohnt, jederzeit überall hinfliegen zu können. Nur zu sich selber finden sie manchmal nicht mehr." Wer jedoch die Tür von Wildfremden findet, der hat schon viel gewonnen.