Die Hohe Tatra sieht jetzt im Winter märchenhaft aus und hat außerdem ein paar seltsame Geschichten zu bieten - Achtung vor Blutsaugern!

Vampire sind nicht totzukriegen, weder im Kino noch in der Fantasie. Auch wenn zwischen einem "Twilight"-Star von heute und einem Fiesling von früher Welten liegen, haben doch alle eines gemein: Ihre Geschichten eignen sich prima, um andere in Angst und Schrecken zu versetzen.

Wer bei Einbruch der Dunkelheit am Waldrand in der Hohen Tatra steht, eine Fledermaus entdeckt und weiß, dass sowohl Teile des Stummfilmklassikers "Nosferatu" als auch der 70er-Jahre-Version "Nosferatu - Phantom der Nacht" hier gedreht wurden, beginnt unweigerlich zu frösteln. Käme Hauptdarsteller Klaus Kinski mit blutverschmiertem Mund um die Ecke geflogen, wäre das kaum verwunderlich.

Keine Landschaft kann eine malerische und gleichzeitig gespenstische Szenerie besser verkörpern als die Hohe Tatra in der Slowakei. Mit ihrem Hauptkamm von nur 27 Kilometern Länge ist sie das kleinste Hochgebirge der Welt. Seit 1993 steht es unter besonderem Schutz und gehört zum Biosphärenreservat der Unesco. Flora und Fauna wird also nichts passieren. Von Menschenschutz steht auf den Hinweisschildern nichts. Plötzlich ergibt die Knoblauchsuppe, die mittags im Lokal trotz ihrer Auszeichnung als "Spezialität der Region" noch entschieden abgelehnt wurde, einen Sinn.

Auf der touristischen Landkarte Europas ist die sagenumwobene Bergwelt noch ein weißer Fleck, besonders jetzt, wenn der erste Schnee fällt. Zwar gibt es auch hier schon einige Skifahrer, die meisten jedoch brettern in Zakopane, das sich im polnischen Teil der Hohen Tatra befindet, zu Tale. Der Schnee auf den ebenfalls gut präparierten Pisten in der Slowakei liegt dagegen geradezu jungfräulich da. Die wenigen Skihütten sind so abgeschnitten von jeder Infrastruktur, dass alle Lebensmittel und sonstigen Gegenstände per Menschenkraft hochgeschleppt werden müssen. Die Träger werden hier wie in Nepal Scherpa genannt, ihr Job ist hoch angesehen. Viel Geld lässt sich damit nicht machen, aber es gibt immer wieder ruhmreiche Wettbewerbe, in denen die stärksten Männer Pakete bis zu 80 Kilo - manchmal auch Kinder - schultern und zu Wettläufen antreten.

+++Slowakei billigt jetzt doch den erweiterten Euro-Rettungsschirm+++

+++Gefahr durch betrunkene Bären+++

Ab und zu treffen sie auf etwas, das genauso gefährlich sei wie ein Vampir, erzählt Lucia Promesova und schreitet bei unserer Waldwanderung tapfer voran. "Ungefähr 200 Braunbären gibt es hier. Die beißen dich nicht nur in den Hals, wenn sie verärgert sind." Die 31-jährige Slowakin liebt die Natur, erst recht, seitdem sie viel mehr davon erkennen kann. 2004 gab es einen heftigen Orkan, der die Hälfte aller Bäume auf der slowakischen Seite der Hohen Tatra zerstörte. Die ungewollte Abholzung hatte jedoch auch etwas Gutes: Aus der Fichtenmonokultur entsteht nun nach und nach ein Mischwald. Und wo man sonst vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen konnte, bieten sich plötzlich tolle Panoramablicke. "Unsere Heimat ist dadurch etwas wärmer geworden", sagt Lucia. Trotz ihrer zahlreichen Bergtouren habe sie zwar noch nie einen Bären getroffen, dennoch seien die Tiere ganz eindeutig vorhanden.

Ob es sich so auch mit den Vampiren verhält? Zumindest ist man hier schneller als anderswo versucht, an seltsame Geschichten zu glauben. Denn wie der Schnee so auf den Gipfeln liegt, das sieht schon sehr märchenhaft aus.

Den Höhepunkt der Region bildet die Lomnitzer Spitze auf 2634 Metern. Früher wurde der Berg Dedo genannt, was übersetzt Großvater bedeutet, denn man nahm an, er sei der höchste in der Hohen Tatra. Doch auch das war ein Märchen. Der Blick hinunter ist dennoch spektakulär. Einige wenige machen sich die Mühe, den Gipfel zu erklimmen, obgleich es eine sehr praktische Seilbahn von Tatranská Lomnica hinauf gibt. Sehr beliebt sind auch Skitouren: zu Fuß hinaufsteigen und mit Brettern wieder abfahren. Da kommt Fitness auf! Es besteht übrigens auch die Möglichkeit, sich die Berge von innen anzugucken. Das Gebiet ist durchzogen von mehreren spektakulären Tropfsteinhöhlen wie zum Beispiel die über drei Kilometer lange Höhle Belianska. 866 Treppenstufen sind zu überwinden, dafür erlebt man neben den faszinierenden Stalagmiten, Stalaktiten und Stalagnaten richtige Gänsehautmomente: wenn der Guide ohne Vorwarnung das Licht ausmacht oder plötzlich aus dem Berginneren Musik ertönt. "Na, ist dir das Blut in den Adern gefroren?", fragt der Höhlenführer anschließend und lacht. Bei einer Temperatur von fünf Grad war es das ohnehin schon, aber das macht nichts, im Gegenteil! Ein idealer Schutz geradezu gegen die acht hier lebenden Vampir- beziehungsweise Fledermausarten.

Entkommen aus der Höhle atmen wir erst mal aus. Und ein. "Am besten ganz tief, denn diese Luft ist wie Champagner", sagt Gerd Ruge. Demnächst will er die prickelnde Luft in Dosen abfüllen, die Maschine dafür ist schon bestellt. Der Hamburger arbeitet seit 2010 in der Slowakei. Er ist General Manager des Kempinski Hotels High Tatras und darf mit Fug und Recht behaupten, ein modernes Dornröschen-Schloss zu führen. Nicht so verschlafen zwar, allerdings doch ruhig gelegen und dekoriert mit ein paar Türmchen, die jeder Prinz sofort erklimmen würde.

Fast täglich fotografiert Ruge die Berge: "Mal sind sie vom Nebel verhangen, mal dekoriert mit kitschigen Wolken oder der Wind wirbelt die Atmosphäre wild durcheinander wie daheim in Norddeutschland." Der 63-Jährige hat seine Ausbildung im Hotel Kieler Yachtclub gemacht und früh gelernt, den Himmel zu deuten. Nirgendwo sei er so spannend wie in der Hohen Tatra, erzählt Ruge, der für Kempinski viel herumgekommen ist: Istrien, Jordanien, Schweiz, Ibiza, London, Paris. Seine Basis befindet sich jedoch in Hamburg. Dort lebt seine Frau. Alle drei Wochen besucht sich das Paar, und in der Zwischenzeit spielt es Backgammon über Skype. Ein heimisches Gefühl kann sich Ruge fast überall aufbauen. "Aber ich brauche Wasser vor der Tür, das muss sein", sagt er. "Wenn ich hier dreimal um den See gehe, dann ist das wie zu Hause einmal um die Alster."

Der Tschirmer See, an dem das Kempinski Hotel liegt, entstand angeblich aus den Tränen eines Mädchens, das seinen Traummann nicht heiraten durfte. Der Größe des Sees nach zu urteilen, muss das arme Ding wirklich sehr, sehr traurig gewesen sein. Im Sommer rudert man in schicken roten Booten über die Tränen. Im Winter gefrieren sie, und auf der Fläche entsteht eine riesige Langlauf-Loipe. Die Skisprungschanze im Hintergrund ist jedoch eher Dekoration, sie hatte ihre beste Zeit während der Ski-WM 1970.

Alte Ansichtskarten mit eleganten Gästen beweisen, dass der See schon früh ein sehr exklusives Erholungsgebiet gewesen sein muss. Auch der Schriftsteller Franz Kafka kam 1921 als Patient bei einem Ausflug in den Höhenkurort Strbské Pleso. Es mag Zufall sein, aber nach seinem Aufenthalt in der Hohen Tatra schieb Kafka von gespensterartigen Wesen und anderen Nachtgestalten, die sich ihren Opfern in der Dunkelheit nähern. "Ob es hier Gespenster gibt? Ich meine zumindest, manchmal kleine Trolle unter den umgekippten Wurzeln zu sehen", sagt Gerd Ruge, dem die gruselige Aura durchaus zu gefallen scheint.

Wer auf Nummer sicher gehen will, flüchtet sich in eine der wunderbaren Holzkirchen, die in der Hohen Tatra erhalten sind. In Hervatov liegt beispielsweise die Holzkirche des Heiligen Franz von Assisi, die Ende des 15. Jahrhunderts gebaut wurde. Schön ist auch die gotische Kirche Allerheiligen in Tvrdosin, die als nationales Kulturerbe gilt, sowie die Kirche in Javorina an der Grenze zu Polen. Meistens steht man als Tourist zunächst vor verschlossenen Türen, doch wie von Geisterhand taucht sehr schnell ein riesiger Schlüsselbund an der Hand einer herbeieilenden Dame oder eines Herren auf und ermöglicht so den Weg zum Altar - und zur garantiert Vampir-freien Zone. "Gott nimmt es mit jedem Bösewicht auf, sogar mit Blutsaugern", sagt eine Kirchenangestellte und lacht laut. Außerhalb der heiligen Hallen müsse man dann nur noch ein Kreuz um den Hals tragen, um die Hohe Tatra garantiert unbeschadet wieder zu verlassen.

Und wer Ketten nicht mag, dem bleibt immer doch die Knoblauchsuppe.