Es hat sich möglicherweise noch nicht allgemein herumgesprochen, aber: Man kann auch mit der Deutschen Bahn verreisen. Es ist gar nicht so übel, meistens bequem, und alle damit verbundenen Fährnisse und Unzulänglichkeiten, denkt man, hat man irgendwann durch, und nichts kann einen mehr überraschen.

Aber von wegen. Leipzig 10 Uhr 10, Ankunft aus Hamburg. Um 10 Uhr 28 fährt laut Plan der Zug nach Zwickau von Gleis 16 ab. Doch auf Gleis 16 steht kein Zug, wartet kein Mensch, ist die Anzeigentafel leer.

"Nach Zwickau wollen sie?", fragt die freundliche ältere Frau am Informationsschalter. "Ach, der Zug ist heute mal früher gefahren, wegen Bauarbeiten. Schauen wir mal: Um 10 Uhr 10 genau ist er weg. Und was finden wir jetzt für Sie Passendes? Ab 10 Uhr 56 über Werdau - wären Sie damit einverstanden?"

Als sie sieht, wie sich eine Art ungläubigen Erstaunens auf dem Gesicht des Reisenden auszubreiten beginnt, fügt sie mütterlich tröstend hinzu: "Für einen Zoobesuch reicht es sicher nicht. Aber jetzt haben Sie immerhin mal Zeit, unsere wunderbare Bahnhofspassage kennenzulernen."

Und während der Reisende sich mit seiner Tasche zwischen Ständen mit giftgrünen Kerzen und rosa Plüschpferden, Dresdner Stollen, erzgebirgischen Räuchermännchen und Zollstöcken mit Namensaufdruck - Verzeihung: "Lasergravur" - durchdrängt und versucht, andere Zwickau-Fahrer anhand ihres zornroten Kopfes zu identifizieren, keimt ein schrecklicher Verdacht in ihm auf.

Was ist, wenn das nur ein Testlauf war, und er und die anderen nur Versuchskaninchen sind? Wenn die Bahn künftig immer mal wieder bundesweit Züge vor der Zeit abfahren lässt, um auf ganz unkonventionelle Weise den Absatz von Bratnudeln, Duftseifen, Hochglanzmagazinen und Billigschuhen in ihren Hallen anzukurbeln? Die Bahn. Man lernt einfach nie aus.