Tagesausflüge in der Türkei werden oft zur reinen Verkaufsveranstaltung - mit extrem überhöhten Preisen für die Ware

Die "Türkei erleben", so werben die Prospekte, die Cavide Pehlivan gerade verteilt. "Im Rausch der Farben" heißt eine Yachtreise, "Harmonie der Elemente" die Segeltour in der Dämmerung. Wir wollen an Land bleiben und wählen "Mitten im Leben". Eine Tagestour zum Alltag und Brauchtum der Dorffrauen. Für 15 Euro pro Person dürfen wir gemeinsam Brot backen, Wolle verspinnen, färben und knüpfen, Erkenntnisse zu Religion und Leben gewinnen. So lautet das Programm. Das klingt günstig und umfangreich, ein Angebot für die ganze Familie.

Am Ausflugstag wartet ein Bus vor der Ferienanlage an der Ägäis. Süleyman am Steuer, Mehmet am Mikro. Mehmet hat die Deutsche Schule in Istanbul besucht und spricht die Sprache fehlerfrei. Wir erreichen den ersten Halt: Im Dorf Çiftlikköy erklärt der Reiseführer eine Ölmühle. Blitzblank geputzt ist die moderne Anlage und noch nicht in Betrieb - die Olivensaison beginnt erst in ein paar Wochen. Aber aus der vergangenen Saison haben die Besitzer Öl, Seifen und selbst gemachten Honig aufgebaut. Die Frau reicht Brot und Oliven zum Kosten, der Mann kassiert. Ein Verkaufskonzept, das aufgeht: Fast jede Familie kehrt mit einer Tüte in der Hand in den Bus zurück.

In Sazköy besuchen wir eine Moschee und trinken Tee. Das Teehaus ist nichts weiter als eine Steinterrasse vor einem gut gefüllten Krämerladen. Wir prosten den Männern auf den Holzbänken zu, kosten Erdnüsse oder in Zucker gewälzte Sirupstückchen mit dem schönen Namen "rahat lokum". Für die Kommunikation mit den Dorfleuten reicht das Wörterbuch nicht. Für den Einkauf schon: Die Urlauber versorgen sich mit Süßigkeiten oder blauen Glasaugen, den Nazar-Amuletten, die auch vorne im Bus vor einem bösen Blick schützen sollen.

Aber wo sind die Dorffrauen? Mehmet führt uns durch einen Hof mit knorrigen Olivenbäumen, auf denen Hühner übernachten und ihre Eier in Baumkörbe legen, zu einer älteren Frau an einem noch älteren Webstuhl. Nichts weiter als bunte Wollfäden, ein Messer und eine Menge Geduld benötigt die Teppichknüpferin für eine Reihe Knoten im Grundgewebe. Dann drückt sie die Knoten mit einem Kamm kräftig runter, zieht einige Schussfäden ein und beginnt mit der nächsten Reihe.

Was für ein mühseliges Geschäft auf so einem kleinen Schemel, denken wir und fragen den Reiseführer: "Wie lange kann sie so sitzen?""So lange, bis Sie wieder gehen." Mehmet lacht. Teppiche seien hier in der Region noch vor zehn Jahren von der Scherung der Schafe, dem Färben und Spinnen der Wolle bis zum Knüpfen ein echter Broterwerb gewesen. Jetzt sind sie Freizeitbeschäftigung und Touristenattraktion. Schlagartig wird uns klar, warum es zu dem Programmpunkt "Wolle verspinnen und färben" wohl nicht mehr kommen wird. Dies hier ist bestes Touristentheater, und es muss schnell gehen. Daher wird es auch nichts mit dem nächsten Punkt, dem Brotbacken: Die Gastgeber haben die Dachterrasse schon gedeckt, wir sitzen auf Teppichen und essen Kichererbsen, gegrillte Auberginen und Salat. Bis Ercan, der Sohn der Knüpferin, die ersten Teppiche ausrollt und Mehmet übersetzt.

"Ein handgemachter Teppich kann zwischen 40 000 und einer Million Knoten pro Quadratmeter haben." Je mehr Knoten, umso detailreicher das Muster und umso höher der Preis. Vor allem bei den Seidenteppichen, die Ercan jetzt ausbreitet. "Oh, der ist wunderschön", sagt eine Bochumerin. Doch Günther, ihr Mann schüttelt den Kopf: "Wir kaufen ganz bestimmt keinen Teppich. Das wird hier ja immer mehr zu einer Verkaufsveranstaltung."

So wie Günther denken einige Gäste. Nur zwei Schweizer Ehepaare kaufen kleine Teppiche - als Bettvorleger. Mehmet und Ercan drängeln nicht, niemand wird überredet. Keine Spur von den drastischen Methoden auf den Gratistrips nach Denizli, Antalya oder Pamukkale, vor denen auch die Stiftung Warentest warnt: Die Gäste werden bei dem kleinsten Interesse separiert, die Verkäufer sind charmant und eloquent, der Verkaufspreis extrem überhöht: "Es ist den Gästen nicht möglich, den Preis so herunterzuhandeln, dass er angemessen ist", sagt Rechtsanwalt Kemal Karaman. "Das schafft einfach keiner."

60 000 Euro hat gerade erst wieder einer seiner Klienten für zwei echte handgewebte türkische Teppiche "herausgehandelt" und bezahlt. Den Kauf muss der Spezialist für deutsch-türkischen Rechtsverkehr jetzt wieder durch den Tatbestand der Wucherei und arglistigen Täuschung rückgängig machen - die Teppiche waren billige Importe aus China. "Grundsätzlich keinen Schmuck und keine Teppiche im Urlaub kaufen", rät Kemal Karaman.

Auch Mehmet kennt die Gratistouren nach Pamukkale, die meist in einer Teppichmanufaktur enden, und warnt: "Die Reimporte, also die Rückkehrer aus Deutschland sind der Schlüssel zu den Touristen." Solche ehrlichen Aussagen tragen zur Vertrauensbildung bei - ebenso wie das gemeinsame Mittagessen im Privaten. Aber auch der sympathische Guide kommt nicht ganz ohne Verkaufsargumente aus: "Der Händler vom Land hat keine Lagerkosten, daher sind seine Teppiche günstiger."

Günther jedenfalls ist misstrauisch geworden, weil auch schon der Tagesausflug nach Bodrum, ins "türkische Saint-Tropez", in einem Schmuckgeschäft endete. Agentin Cavide bittet um Verständnis: Ohne Teppichhändler auf dem Land oder Schmuckverkäufer in Bodrum würden die Exkursionen viel teurer. Dass aber das gemeinsame Brotbacken unter den Teppich gekehrt wurde, regt auch sie auf. "Darum werde ich mich sofort kümmern." Vermutlich kann Günther lange darauf warten. In drei Tagen fährt er zurück nach Bochum, ohne Teppich und ohne Schmuck, aber mit einer Menge türkisblauer Träume im Kopf.