Reise zwischen den Zeiten: Die Rub al-Khali ist die größte zusammenhängende Trockenwüste der Erde. Sie bedeckt etwa ein Viertel der Arabischen Halbinsel.

Beim Abendessen in den Dünen gibt es nur noch zwei Geräusche. Das eine ist das Knistern des Lagerfeuers, das andere der Klang der Saiten einer Oud, eines bauchigen traditionellen Musikinstruments. Tagsüber hörte man dagegen nichts als ein Rauschen wie im Laubwald, obwohl es in der Wüste Rub al-Khali gar keine Blätter gibt. Es war wie das Plätschern eines Wasserfalls, obwohl es hier außerhalb der Liwa-Oasen kein Wasser gibt. Allein der Wind war schuld. Ständig sortierte er die Sandkörner neu, brachte sie zum Tanzen, saugte sie in den Himmel und ließ sie wieder fallen. Nun ist es still.

Ali al-Mansouri lauscht den tiefen Klängen der Oud, schaut versonnen in Richtung Feuerstelle und stochert mit einem Stock in der Glut. Der Mann mit dem schwarzen Viertagebart erinnert sich noch gut daran, als seine Eltern mit Kamelen und Zelten durch die Wüste zogen - und er in diesem riesigen Sandkasten im Hinterland von Abu Dhabi mit seinen Brüdern spielte und Tiere beobachtete: "Es gibt hier Gazellen, sogar Echsen. Die Wüste ist voller Leben. Du brauchst nur den Blick dafür und musst wissen, wo sie sich aufhalten."

Die Rub al-Khali ist die größte zusammenhängende Sandwüste der Erde mit gut 650 000 Quadratkilometern Gesamtfläche. Sie reicht von den Emiraten bis hinein nach Saudi-Arabien, erstreckt sich in den Oman und nach Jemen und bedeckt etwa ein Viertel der Arabischen Halbinsel. Am Morgen fühlt sich der Sand noch kühl, fast ein bisschen klamm an; aber schon kurz danach wird er warm und ist am Nachmittag zu heiß, um barfuß zu laufen. Er wirkt wie geharkt, gepflegt wie ein mit der Nagelschere gestutzter englischer Rasen: So akkurat hergerichtet, dass man die Dünen anfangs gar nicht betreten mag, um das schöne Muster nicht zu zerstören. Dabei malt der Wind es beständig neu und überpinselt jede Fußspur in Minuten, radiert jeden Pfad einer Dromedar-Karawane binnen weniger als einer Stunde für immer aus.

Ali al-Mansouri fährt sich mit der rechten Hand über den Bart, nimmt noch einen Schluck Minztee mit viel Zucker, zupft seine schneeweiße Djellaba zurecht und erzählt: "Diese Wüste ist mein Zuhause - früher ganz und gar, heute zumindest auf Zeit. Und immer im Geiste. Jedes Mal ist es genauso wie damals, wie vor 30 Jahren an der Seite meiner Eltern. Als ich klein war und im Sand aufwuchs. Wir spielten Fangen zwischen den Dünen, fuhren Achterbahn - der Wagen war der eigene Körper -, wenn wir Anlauf nahmen und die Sandberge mit Schwung hinunterrutschten."

Er hat den extremen Zeitsprung, den seine Heimat in anderthalb Generationen gemacht hat. miterlebt. Nomaden gibt es hier im Hinterland der Emirate-Hauptstadt Abu Dhabi nicht mehr. Die Einheimischen sind längst in klimatisierte Häuser umgezogen. Die Orientierung verloren hat Ali al-Mansouri dabei nicht - nicht als Mann der Wüste, der es gewohnt ist, keine Spuren zu übersehen und überall einen Weg zu finden. Aber auch den zwischen den Zeiten. Seine zwei Handys sind immer griffbereit, sein Zelt steht in der Wüste, seine Villa mit Pool in Abu Dhabi Stadt.

Wenn er die Welt aus Sand verlässt, steigt er in seinen 600er-Mercedes, den er am Rande der Asphaltstraße auf dem Grundstück einer Überland-Raststätte geparkt hat. Wenn er zu seiner Kamelfarm zwischen den Dünen will, sitzt er im Toyota Landcruiser. Und wenn er weiter hinein will in diese gewaltige Wüste, dann steigt er wieder um auf den Rücken eines Kamels.

Jene Täler dieser fast roten Dünen in der Rub al-Khali, übersetzt bedeutet der Name "das leere Viertel", waren einst das Wohnzimmer der Ahnen. Navigiert haben sie auf ihren Reisen zwischen all dem Sand wie auf dem Meer. "Wir haben die Karawanen anhand der Sterne gelenkt", sagt Ali. "Wenn du dich auskennst, dann ist die Farbe des Sandes eine Hilfestellung. Und die Grenze zu Saudi-Arabien erkennen wir an einer Pflanze, die nur dort wächst und die wir al-Haz nennen."

Am meisten freut es Ali, dass "jetzt auch Fremde von weither unsere Wüste entdecken. Wie sie vorsichtige Schritte in den Sand machen. Wie sie die Körnchen durch ihre Finger rinnen lassen. Sie sind zart zur Wüste, weil sie beeindruckt sind von der Kraft dieser Landschaft."

Was Ali al-Mansouris Eltern heute wohl am meisten erstaunen würde? Dass jetzt Tag für Tag Kinder in Badehose an der Stelle in einem gemauerten Swimmingpool spielen, wo sie einst ihr Lager aufschlugen. Scheich Khalifia bin Zayed al-Nahyan, Herrscher von Abu Dhabi, ließ mit Multi-Millionenaufwand genau dort ein Fünf-Sterne-Hotel errichten, wo man am wenigsten damit rechnen würde: zwischen bis zu 200 Meter hohen Dünen, ganz im Stil einer alten Beduinen-Festung aus Lehm, mit Wachtürmen, Torbögen, mit kühlen Gängen und Brunnen. Und abweichend von der Tradition mit allem Luxus.

Wenn es ruhig ist auf der Kamelfarm, dann ist Ali al-Mansouri hier zu Besuch: um den Fremden von damals zu erzählen, als er in der Wüste aufwuchs. Manchmal begleitet er sie auf Ausflüge, setzt sich mit ihnen ans Lagerfeuer, isst mit ihnen gegrillte Lammspieße - und erzählt weiter. Ist denn diese Wüste anders als andere? "Ja", sagt er. "Nur diese ist meine." Er lacht. "Und sie ist leerer, einsamer. Härter. Schöner." Wenn er sich entscheiden müsste zwischen gestern und heute, zwischen Zelt oder Villa, Wüste oder Stadt. Was wäre ihm lieber? "Beides", sagt er und schaut erst in die Glut des Lagerfeuers, dann auf die SMS im Displays seines Handys.