Einst “Paris des Ostens“, heute Ho-Chi-Minh-Stadt - wo Somerset Maugham sowie Graham Greene Weltliteratur und die USA Geschichte schrieben

Die Nummer 214 im Continental gehört zu einem Eckzimmer im zweiten Stock, nicht wesentlich anders eingerichtet als die übrigen 79 Räume dieses Hauses. Man schaut auf die Kreuzung mit dem Stadttheater, fast rund um die Uhr brandet der Verkehrslärm von der Dong-Khoi-Straße gegen die Fassade des Hotels. Und doch ist das kleine Balkonzimmer 214 stets über Monate im Voraus ausgebucht.

Es sind Literaturfans, Nostalgiker, Reisende mit Sinn für Lebensart und Legenden, die in diesem liebenswert-plüschig möblierten Raum - Schaukelstuhl, schwerer Schreibtisch, Mahagoni an den Wänden - wenigstens einmal gewohnt haben möchten. Denn hier hat Graham Greene den größten Teil seines Weltbestsellers "Der stille Amerikaner" geschrieben. Vor dem Hoteleingang, wo einst ein Straßencafé im Altpariser Stil für die besten Croissants der Stadt berühmt war, verkaufen jetzt Straßenkinder den Roman in Raubdrucken, bei denen zuweilen ein Drittel des Textes fehlt.

Zur Verklärung des alten Indochinas und seiner Charaktere hat auch der große Geschichtenerzähler William Somerset Maugham beigetragen, prägnant wie kein anderer. Er verglich um 1925 herum Saigon mit einer südfranzösischen Stadt mittlerer Größe, "charmant, unbekümmert und fröhlich". Auf seinen Reisen kreuz und quer durch den Fernen Osten ist er oft und gern im Continental abgestiegen. Hier (und im Oriental zu Bangkok, wo er so krank wurde, dass die Wirtin um die Miete fürchtete und um Vorkasse bat) schrieb er einige seiner schönsten Geschichten.

Zu seiner Zeit, und auch als Rabindranath Tagore, der indische Literaturnobelpreisträger, in den 1930er-Jahren in Saigon gewohnt und gedichtet hat, hieß die Hauptstraße Dong Khoi noch Rue Catinat. Sie war bis in zum Abzug der Franzosen die Flaniermeile im "Paris des Ostens". Unter den Bäumen stolzierten Damen - und weniger damenhafte Frauen. Sie nahmen am späten Vormittag den Pastis und einen Café au Lait im Café Brodard ein und tauschten den neuesten Klatsch aus.

Bis vor wenigen Jahren suchten altgediente Indochina-Reisende hier nach einem Hauch des Flairs von damals, eigentlich schon lange vergeblich. Dann wurde der Niedergang dieser Legende mit der Umwandlung des Brodard in eine Filiale der australischen Café-Kette Gloria Jeans konsequent abgeschlossen. Die Sophisticated Traveller, Reisegenießer aus aller Welt, verloren ein Stück Heimat, abgelöst von der Generation Laptop, die keine Bücher mit ins Kaffeehaus bringt, sondern sich fast pausenlos mit dem Handy gegenseitig fotografiert.

An der Rue Catinat lagen die allerfeinsten Geschäfte, die besten Teestuben und alle noblen Hotels, die heute wieder an die legendären Zeiten anzuknüpfen versuchen. Die Geschichte des Continental beispielsweise reicht ins Jahr 1878 zurück. Es wirkt angenehm verstaubt - das Interieur, aber auch das Personal. Nostalgiereisende freuen sich, dass noch der alte eiserne Fahrstuhl in die oberen Etagen rumpelt. Sie wundern sich, dass es noch Etagen-Concierges gibt, die freundlich grüßen, aber deren Aufgabe eher unklar ist.

Doch anders als zu Peter Scholl-Latours Zeiten, der von hier viele seiner Reportagen nach Hause kabelte, bewegt sich heute kein Kellner, kein Empfangschef mehr "... mit jener betonten, schauspielerhaften Eile, die äußerste Beflissenheit signalisieren sollte", wie der Altmeister der Vietnam-Berichterstatter die Atmosphäre jener Tage beschrieben hat.

Geblieben hingegen sind der herrschaftlich wirkende Treppenaufgang und der grüne Innenhof, ein Refugium unter Frangipani-Blüten. Die drei ausladenden Bäume, die diesem Patio Charakter geben, wurden 1880 gepflanzt, zwei Jahre nach der Eröffnung dieser Herberge. In den wilden 1920er- und 1930er-Jahren, als sich hier russische Großfürsten und französische Opernsänger einmieteten, führte ein Korse namens Franchini Matthieu dieses Haus. In der Chronik des "Conti", wie das Hotel bis heute von seinen Stammgästen genannt wird, wird dieser Monsieur Matthieu allerdings als "Gangster" beschrieben ...

Nur ein paar Fußminuten in Richtung Saigon River, und mit dem Grand Hotel ist das nächste Kolonialhotel erreicht. Auch über dieses Haus schreiben Gäste in die großen Bewertungsportale des Internets, dass sie hier einen Hauch vom "Charme vergangener Tage" gefunden hätten. Aber nur, wer einen der neun Räume im (renovierten) alten Flügel aus dem Jahre 1930 bewohnt, mag sich diesem Urteil anschließen. Die 55 Zimmer im gesichtlosen Hochhausanbau und ein Service, den man allenfalls "gleichgültig" nennen kann, verleiden dagegen manchem Gast die Suche nach der verlorenen Zeit.

Wie das Continental und das Grand wird auch das Majestic, das bekannteste Kolonialhotel der Stadt, von Saigontourist betrieben. Diese staatliche Einrichtung hat sich lange schwer damit getan, das Potenzial in der Geschichte der legendären Hotels zu erkennen. Auch ideologische Einwände standen einer Nostalgie-Vermarktung entgegen. Immerhin entsprechen Lobby und Lounge im Majestic heute dem Stil einer Ära, die nun wieder als die Blütezeit Saigons zelebriert werden darf. 1925 eröffnete der schwerreiche Vietnam-Chinese Hui Bon Hoa, genannt Onkel Hoa, an der Ecke Rue Catinat und Quai de Belgique das Majestic, mit Blick auf einen der quirligsten Häfen Asiens. Schon bald galt es als erstes Haus am Platze, in dem exotische Prinzen auf europäische Präsidenten trafen.

Nach vielerlei Um- und Anbauten trägt das Majestic seine fünf Sterne nun zu Recht, als einziges der übrig gebliebenen Hotels aus der Kolonialzeit. Den Anschluss an die Erste Liga, in der etwa das Raffles in Singapur, das Oriental in Bangkok und sogar das Metropole in Hanoi heute noch - oder wieder - spielen, hat das Haus an der Rue Catinat allerdings nicht mehr erreicht. Aber auch dort, in Somerset Maughams alten Lieblingsherbergen, wird die Zimmerrate natürlich längst jeden Tag per Computer ausgerechnet, auch dort sitzen kaum noch Gentleman-Reisende im weißen Tropenanzug in der Lobby.

Typisch Saigon, typisch Vietnam auch das Hotel Rex: durch Kriegsgeschichte(n) legendär geworden, heute ein Kultort für Touristen aus aller Welt und der beliebtester Platz zum Heiraten für Vietnamesen und Chinesen, kitschig und absolut in. Es war vieles, aber ein Kolonialhotel war es nie. Die Karriere dieser ungewöhnlichsten aller Herbergen in der Stadt begann als Autowerkstatt in der Franzosenstadt. Auf die Garage wurden 1959 ein paar Büro-Etagen geklotzt. Ab 1962 informierte dann das US-Militär von hier aus die Weltpresse, jeden Nachmittag und auch dann noch optimistisch, als längst alles verloren war.

Nach dem Sieg bauten die Vietnamesen "Uncle Sam's Lügenbude", wie nicht nur sie es nannten, zum Hotel um. Es ist Ritual geworden, nachmittags zur Dachterrasse hochzufahren und sich dort in eine herrlich-kitschige Gips-Menagerie zu setzen. Der bunt-flippige Cocktail hat aber auch hier den klassischen Gin Tonic zum Sonnenuntergang abgelöst.