Tübingen und Brügge zeigen sich in der Vorweihnachtszeit von ihrer Schokoladenseite - auf Märkten und Messen werden alle Sinne angesprochen.

"Keine Kalorien, bitte!" Wer so reagiert, ist fehl am Platz auf dem Schokoladenfestival "chocolArt" in der Universitätsstadt Tübingen. Zum sechsten Mal dreht sich Ende November sechs Tage lang alles ums "Hüftgold" - in flüssiger, cremiger und fester Form. Vom Rathaus über den Holzmarkt mit der Stiftskirche bis zur Neckargasse zieren mehr als 100 weiße Pagoden-Stände die historische Altstadt.

Am schönsten ist es, nach Einbruch der Dunkelheit über die Schokoladenpfade zu streifen. Dann wird der Markt illuminiert, und Lichtprojektionen an den alten Fachwerkhäusern sorgen für eine farbenprächtige Kulisse. Das schwäbische Tübingen ist eine junge, alte Kleinstadt - mit 80 000 Einwohnern und 25 000 Studenten.

Chocolatiers und Konditoren aus fast 15 Nationen wie Deutschland, Dänemark, Österreich, Italien, Frankreich, Holland und natürlich der Schweiz und Belgien zeigen ihre Kreationen. Auch Exoten wie Lettland, Griechenland und Ghana sind vertreten. Bekannte Schokoladenmarken präsentieren sich mit Konfekt aus Zartbitter-, Vollmilch- oder weißer Schokolade genauso wie kleine Manufakturen mit Variationen wie Nougatkastanien, Feigen-, Kiwi- oder Pistazientrüffel, afrikanischer Bushman-Schokolade, Schokolade mit Olivenöl, Thymian oder Kürbiskernen, Schokonudeln oder -maultaschen, Schokosenf und Nougatbier.

Dicke braune Schokobären und Nikoläuse halten am Stand von Barbara und Volker Müller nach Käufern Ausschau. "Wir haben eine kleine Bäckerei und Konditorei im fränkischen Hergolshausen", sagt Barbara Müller: "Mein Mann ist der Konditormeister. Ich bin fürs Marketing zuständig." Die neueste Kreation ist ein Schoko-Brotaufstrich namens Schoko-Painting. Die Gläser sind mit einem Pinsel verziert. "Geschmackvoll" - auch fürs Auge.

"Schokolade ist Genuss für alle fünf Sinne", erklärt Gerhard Madlon aus München ein paar Zelte weiter. Für seine Anti-Stress-Praline kreierte er eine ovale Form. "Denn gestresste Menschen greifen zuerst nach dieser", meint der Konditormeister. Ein Hörerlebnis habe man durch das Knacken beim Anbeißen der Praline. Man rieche und schmecke die zartbittere Schokolade und die Aromen von Pfefferminze, Blutorange, Zitronenmelisse und Rosenwasser, die eine entspannende, aber auch stimulierende Wirkung haben. Am Stand gegenüber findet das "Tübinger Kirschle" reißenden Absatz. Es basiert auf der weltbekannten Schwarzwälder Kirschtorte. "Diese hat in Tübingen ihren Geburtsort", erzählt Madlon: "Sie wurde 1930 im Café Walz von Konditormeister Erwin Hildenbrand zum ersten Mal gebacken." Also fertigte Confiseur Madlon eine Praline aus edler Bitterschokolade, Sahne und einer mit Schwarzwälder Kirschwasser beschwipsten Kirsche.

Doch auf der "chocolArt" kann man auch beim Pralinenmachen zusehen oder in der Schoko-Werkstatt eine eigene Schokoladensorte zaubern. Im "chocolate Room", der gläsernen Konditorei, produzieren und garnieren Eckbert Groß und seine Konditor-Kollegen den Tübinger Schoko-Taler, eine essbare Gedenkmünze, die den Tübinger Stocherkahnfahrer auf dem Neckar zeigt. Auch Schokoladen-Kultur wird geboten: "süßes" Theater, ein Schokoladen-Konzert, schokoladige Lesungen, Kakaomalerei und Kochkurse.

Im alten Empfangssaal des Tübinger Rathauses gibt der Schweizer Schoko-Experte Alois Immoos während seines Seminars "Whisky und Schokolade" sein Wissen preis - alles vom Rohkakao bis zur fertigen Schokolade. "Entscheidend ist die Kakaosorte, sie ist der Geschmacksträger. Und nur jemand, der weiß, was er schmeckt, kann das Echte von der Kopie unterscheiden und dann bewusst genießen."

Knapp 700 Kilometer nordöstlich von Tübingen liegt eine weitere Schokoladen-Hochburg - das belgische Brügge. Die Altstadt mit ihren mittelalterlichen Giebelhäusern, dem gotischen Rathaus, den verwinkelten Gässchen und verträumten Grachten steht seit dem Jahre 2000 als Weltkulturerbe unter dem Schutz der Unesco.

Rekordverdächtige 52 Chocolatiers und unzählige kleine Geschäfte, die hochwertige Schokoladenprodukte anbieten, zeugen vom Geschmack der 117 000 Einwohner. Die wohl größten Schleckermäuler Flanderns rücken die Schokolade im Rahmen des Festivals "Choc'in Brügge" noch bis zum 8. Dezember mit Schokoladenspaziergängen, Workshops, einer Schokoladenmesse, Wissenswertem zum Thema Schokolade und Schoko-Anwendungen in den Fokus.

"Schokolade löst Glücksgefühle aus", sagt Kristof Deprez über das kakaohaltige Lebens- und Genussmittel. Wie in 13 weiteren Speisetempeln der Stadt bietet der Spitzenkoch während des Festivals Schokoladen-Menüs in seinem Restaurant Mangerie an. Deprez, der sich bei Kochworkshops über die Schultern schauen lässt, serviert zum Beispiel Hummer mit Mango, Lauch-Soja-Mayonnaise, Kräutern und Zartbitterschokolade sowie mit Artischocken verfeinerten und in Kakaobohnen geräucherten Fasan an.

"Die Schokolade ist da wenig dominant, verleiht dem Essen aber eine raffinierte Note", so Kristof Deprez weiter. Im Bistro den Amand kommt Hirschkalbfilet mit Austernpilzen, Chicorée und Wildsoße mit Vanuatu-Schokolade auf den Tisch, während im Restaurant Patrick Devos marinierte Jakobsmuscheln mit Schokoladenpulver, einem Gurken-Mousse, Mangold, Algen und Fenchel gereicht werden.

Unter dem Titel "Choc! Around the Clock" vermitteln zweistündige Stadtrundgänge Wissenswertes und Überraschendes zum Thema Schokolade. So etwa, dass jeder Belgier im Mittel 8,7 Kilogramm davon pro Jahr vertilgt. "Wie es sich für eine Schokoladehauptstadt von Rang gehört, hat Brügge mit den Brugsche Swaentjes eine offizielle Stadtpraline", verkündet Führerin Anne De Meerleer voller Stolz.

Die von der Gilde der Brugse Chocolatiers entwickelte Praline enthält neben Teilen des Kletskop, eines in Brügge hergestellten Mandelkekses, vor allem Butter und Gruut, eine Kräutergewürzmischung nach geheimer Rezeptur. Natürlich können die Brugsche Swaentjes (Brügger Schwäne) während des Rundgangs getestet werden. Und auch bei ausgesuchten Chocolatiers wird Station gemacht, wo weitere Kombinationen gezeigt werden können. Die Angebotspalette reicht von Pralinen mit Teegeschmack bis hin zu solchen gefüllt mit Safran, Curry, Zwiebeln oder Schinken.

Stephan Dumon bietet in seiner Chocolaterie am Simon Stevinplein Schokoladeriegel mit Kräutern, Nüssen und Früchten sowie Trendpralinen mit einem Hauch Cuberdon, Yuzu, Grapefruit, Limoncello und Eisenkraut an. Nur einen Steinwurf entfernt, hält der gefeierte Dominique Persoone in seinem Geschäft The Chocolate Line Schokolade auf Sterneniveau vor. Der schaffensfreudige Chocolatier wird mit seinen Kreationen sogar im Michelin-Guide gelistet. So zeigte Persoone den Rolling Stones, wie man mit seinem selbst entworfenen Chocolate Shooter Schokolade schnupft, und er lieferte essbare Schokoladenfarbe an Aktionskünstler Spencer Tunick, der damit Hunderte nackte Brügger Körper für eine Kunstaktion bekleckste. Auch ein Schokolade-Lippenstift gehört zu Persoones Erfindungen.

Während in den Frühstücksräumen vieler Hotels sprudelnde Schokoladenbrunnen das Festival schon mit der ersten Mahlzeit des Tages in den Blickpunkt rufen, können sich Körperbewusste in sechs Kosmetikstudios und Schönheitsfarmen der Stadt mit Schokomassagen und -gesichtsmasken verwöhnen lassen.

"Wir nehmen dunkle Schokolade und mischen sie mit Honig, damit die Gesichtmaske nicht austrocknet und hart wird", verrät Sophie Tousseyn vom Beautysalon Xantippe, und fügt hinzu, dass auch Männer gern ihre Schokoladenseiten entdecken. "Dann nehmen wir weiße Schokolade mit Minze, da die Herren der Schöpfung ein anderes Hautbild haben", ergänzt Sophie Tousseyn. Wer möchte, kann sich mit der Zunge über die Lippen lecken, mit dem Finger etwas Schokolade aus dem Gesicht streichen und sich ausnahmsweise einmal selber vernaschen.