Mit seinem Klima hat sich Madeira zu einem Gewächshaus entwickelt. Wer über die Insel läuft, erlebt eine botanische Wanderung.

Aguir Nunes ist eine Respektsperson, auch wenn er das wohl nie zugeben würde. Der distinguiert wirkende grauhaarige Herr im dunklen Anzug, Chef-Concierge im weltberühmten Reid's Hotel, begrüßt seit 47 Jahren Fürsten und Filmstars ebenso herzlich wie Urlauber, die zum ersten Mal das legendäre Haus beehren. Er kennt alles und jeden auf Madeira.

Francisco Pereira hält den Schwarzen Degenfisch geduldig hoch. Eine Gruppe deutscher Kreuzfahrttouristen bestaunt und fotografiert eifrig das schlangenähnliche Monstrum, das typisch ist für einen der kulinarischen Hochgenüsse dieser Insel. Francisco ist Fischhändler in der Markthalle von Funchal, der Inselhauptstadt, und das seit 35 Jahren schon.

Francisco Albuquerque gehört zum "Who is Who" der portugiesischen Exklave, die weit draußen im Atlantik ein selbstbewusstes Eigenleben pflegt. Er ist gerade aus Amerika zurück, wo er Gourmets und Gastronomen mit einem Süßwein der Jahrgänge 1832, 1868 und 1872 beeindruckt hat. Albuquerque, Chef der Madeira Wine Company, freut sich über das weltweit zunehmende Interesse an Madeira und dem Dessertwein, der auf den ersten Schluck wie Port schmeckt - und dann doch ganz anders.

Drei Männer, die für Traditionen und Lebensart einer Insel stehen, der in den Reisekatalogen als Urlaubsziel viel weniger Beachtung geschenkt wird als beispielsweise den benachbarten Kanaren. Dabei ist Madeira ungleich vielfältiger und spannender, obwohl - oder vielleicht gerade weil - sie kein Strandziel ist.

In der Begegnung mit diesen und anderen Charakteren, wie mit einem Gärtner aus den botanischen Parks und Gärten mitten in Funchal, wären wir der Seele Madeiras bereits ein gutes Stück näher. Aber da warten ja noch, wenige Kilometer von der Hauptstadt entfernt, wildromantische Landschaften auf Entdeckernaturen: neblige Hochplateaus, steile Hänge, die seit Jahrhunderten mit Terrassenfeldern kultiviert sind, dschungelähnliche Regenwälder oder ein Lorbeer-Biotop, das von der Unesco als Weltnaturerbe ausgezeichnet wurde.

Einmal mit dem Mietwagen vom Süden in den Norden fahren, über Serpentinen und durch Tunnel, von denen es aus dem Felsen auf die Fahrbahn tropft; Rast machen in Bergdörfern, in denen alte Männer um die Kirche sitzen und Karten spielen. Oder in der Casa de Pasto o Boleo in Camacha, abseits vom Rummel, eine Cozido genießen, einen Eintopf aus fetter Wurst, Schweinefleisch und Kartoffeln, der mit einem Aguardente, dem regionalen Feuerwasser, serviert wird.

+++Von Bremen aus nach Madeira oder Lanzarote+++

+++Insel im Atlantik+++

Oder aber zu Fuß an den Levadas entlang, jener kunstvoll angelegten Wasserwege im Gebirge, die ebenfalls typisch für Madeira sind. Es sind im wahrsten Sinne Gratwanderungen auf schmalen Pfaden, die an den Lebensadern der Wein- und Gemüsebauern vorbeiführen, oftmals über den Wolken und hinter den Kaskaden der zahlreichen Wasserfälle.

Dennoch sind die Kontraste auf kleinem Raum - Madeira ist gerade mal so groß wie Hamburg - zuweilen hart und schmerzhaft: eben noch die baumlose Einsamkeit auf der Paùl da Serra eingesogen, einer Hochebene, die an Schottland erinnert, dann 20 Autominuten weiter südlich über Betonklötze geärgert, die das Idyll des ehemaligen Fischerdorfes Camara de Lobos verstellen - Winston Churchill hat einst diesen Ort gemalt und berühmt gemacht.

Bausünden gibt es auch im Hotelviertel von Funchal, am südwestlichen Stadtrand. Und doch hat sich die Metropole, in der fast die Hälfte der 250 000 Insulaner leben, ihren kompakten Charme bewahrt. Vor allem in der Altstadt, rund um die eindrucksvolle Kathedrale Sé, treffen lokale Gelassenheit und ein Tourismus, der sich stark aus den Kreuzfahrtflotten speist, aufeinander. Enge Gassen schlängeln sich durch das Viertel, und schlagfertige Kellner versuchen die Besucher an die eng gestellten Tische zu locken.

Auf halbem Wege zwischen Funchal und Camara de Lobos, hoch über einem Meerwasserpool, liegt allerdings ein Restaurant, in das sich selten Touristen verirren. Das Doca do Cavacas ist ein Lieblingstreff sowohl der älteren, englisch gekleideten Herren aus der Hauptstadt, die auch bei 28 Grad im Schatten ihr Sakko nicht ablegen, als auch der Generation Smartphone im Polohemd.

Im Doca do Cavacas - so werden auch die in den Felsen geschlagenen Bassins genannt, die vom Ozean überspült werden, bringt Wirt Carlo leckere Meeresfrüchte auf den Tisch. Lapas, sogenannte Napfschnecken, mit viel Knoblauch in der Pfanne geröstet und auf einem heißen Stein serviert, eröffnen am frühen Abend ein kulinarisches Freudenfest, gefolgt von Lulas, Calamaris und Langostinos. Dann der in Teig gebackene Degenfisch, den man sich an Carlos Kühltheke selber aussucht, so wie es in den Strand- und Küstenlokalen üblich ist. Niemand sollte die Insel verlassen, ohne diesen Espada probiert zu haben - oder, für Leute, die sich an Fisch nicht gewöhnen mögen, Espetada: Rindfleisch am Spieß, mit reichlich Lorbeer und Knoblauch eingerieben.

Und während für einen gelungenen Abschluss noch eine Bica serviert wird, die portugiesische Variante des Espresso, setzt die untergehende Sonne am Horizont Meer und Himmel in "Brand". Kurz darauf wechselt das Publikum vom Doca do Cavacas oder auch von der legendären Terrasse des Reid's Hotel, auf der man den High Tea bis in den frühen Abend verlängert hat, in die Bars im Zentrum der Stadt, schlürft exotische Cocktails oder die Poncha, den lokalen Zuckerrohrschnaps, mit Honig und Zitronensaft "veredelt".

Duarte da Silva ist Direktor und Mitbesitzer des schönsten Herrenhaus-Hotels der Insel, der Quinta Jardins do Lago. Heute sind die meisten Quintas Oasen kultivierten Lebensstils, mit Gärten umgeben, in denen botanische Wanderungen durch die Welt möglich sind. Der Blütenrausch stammt meist von weither, mitgebracht aus Südafrika, Lateinamerika, Ostasien oder den mediterranen Ländern: Palmen, Protea, Aloe vera, die Kaktuskönigin der Nacht und die duftende Orchidee. Madeira, gesegnet mit einem subtropischen Klima, hat sich zum Gewächshaus der Welt entwickelt.

Durch den Garten von Duarte da Silvas feiner Quinta bewegt sich in angemessener Alterswürde Colombo, die Hausschildkröte. Sie ist nach Kolumbus benannt, der kurze Zeit auf Madeira gelebt hat. Colombo gibt heute den Rhythmus vor in dieser Oase gepflegten Müßiggangs. Nur ein Gast war vor sieben Jahren hier auffallend fleißig: Altkanzler Helmut Schmidt hat in Zimmer 303, einer kleinen Suite mit dem schönsten Ausblick, ein Buch zu Ende geschrieben. Zur Abwechslung soll er jeden Morgen einen Spaziergang durch den Garten gemacht und dabei stets ein paar Minuten bei Colombo verweilt und die Entschleunigung geübt haben.