Neukaledonien bietet außer faszinierenden Stränden auch superbe Wanderwege durch einen fast lautlosen Dschungel, erfüllt nur von Frosch- und Vogellauten.

Wenigstens plagen uns keine Mücken beim Aufstieg. Die Wanderwege im Parc de le Rivière Bleue, dem Park des Blauen Flusses, führen steil nach oben. Schwitzend kämpfen wir uns voran. Die Hauptinsel Neukaledoniens mit der Hauptstadt Nouméa entspricht so gar nicht dem klassischen Südseebild. Sie ist über 400 Kilometer lang und wird von einer Bergkette durchzogen, deren höchste Gipfel bis über 1600 Meter hinaufreichen.

Den mehrtägigen Wanderweg im Süden kennen nur wenige - und das, obwohl er nur eine gute Fahrstunde von Nouméa entfernt liegt. Der schmale Weg führt durch einen dichten und überraschend lautlosen Dschungel. Tropisches Grün erweckt normalerweise die Assoziation von Vogelgezwitscher, Froschquaken und böse surrenden Mücken. In Neukaledonien herrscht dagegen weitgehend Schweigen im Walde. Auf die entlegene Südseeinsel haben es im Laufe der langen Evolutionsgeschichte nämlich nur wenige Tierarten geschafft.

Einzig eine Geradschnabelkrähe begleitet uns laut krächzend, in der Ferne hören wir das dumpfe Rufen der Riesenfruchttaube. Beide Vogelarten kommen nur auf Neukaledonien vor und beide bieten einen Superlativ: Die Krähe kann aus Strohhalmen Werkzeuge bauen und soll angeblich die intelligenteste ihrer Art sein, und die hühnergroße Riesenfruchttaube ist die größte Taube weltweit.

Die Vielfalt, die die Tierwelt vermissen lässt, bietet dagegen die Flora des Landes. Fast jede Pflanze ist hier etwas Besonderes - die meisten Arten sind endemisch. Über Jahrmillionen haben sie sich an die harten Lebensbedingungen auf dem nährstoffarmen, metallischen Boden angepasst. Überall im Untergrund steckt Nickel: Das ist gut für die Menschen, die das Metall abbauen, aber schlecht für Pflanzen. Auf Neukaledonien gedeihen deswegen auch überdurchschnittlich viele fleischfressende Arten, denn die müssen sich die Nährstoffe nicht aus dem Boden holen.

Wir wandern an Wasserfällen entlang - perfekte Orte, um sich abzukühlen. Dann endlich, nach mehreren Stunden Aufstieg, erreichen wir das Gipfelplateau und treten aus dem Dschungel heraus. Wir blicken hinab auf weite Wälder und das Meer, aber auch auf die roten Wunden, die der Mensch gerissen hat - die Überreste alter Nickelgruben.

Die wirkliche Südsee beginnt wenige Flugminuten von der Hauptinsel entfernt auf der Île des Pins. Sie diente einst als Gefangenenkolonie fürs französische Mutterland. 1871/72 deportierte man die Anhänger der Pariser Kommune und algerische Aufständische hierher. Noch heute leben auf der Insel viele Einwohner mit arabischen Wurzeln. Wer einen ehemaligen Strafgefangenen im Familienstammbau vorweisen kann, trägt seinen Namen mit Stolz. Zumindest aus heutiger Sicht kann man sich schlimmere Orte vorstellen, auf die man verbannt werden könnte. Die Einheimischen gaben der Insel auch den durchaus treffenden Beinamen: "Die Insel, die dem Paradies am nächsten liegt."

Auf der Île des Pins geht das Leben seinen traditionellen Gang. In den acht Dörfern haben noch die Dorfchefs das Sagen. Ohne ihre Zustimmung dürfen die Bewohner nicht einmal heiraten. Die Chefs nehmen ihre Rolle als Bewahrer der Tradition auch auf andere Weise ernst: Vor einigen Jahren beschlossen sie, keine Kreuzfahrtschiffe mehr vor der Insel ankern zu lassen. Die damit verbundenen fehlenden Einnahmen waren ihnen egal. Ohnehin sind Touristen hier nur akzeptierte Gäste. Die Einheimischen lassen sich von deren Geschäftigkeit nicht stören. Denn Zeit hat man auf der Île des Pins genügend. Und auf die Idee, stundenlang einen Berghang hinaufzusteigen, käme niemand.