Die Zeit ist reif für einen Besuch auf der dänischen Nordsee-Insel Rømø, die nur einen Steinwurf von Sylt entfernt liegt, aber ganz anders ist.

Die alte Weißhaarige, die schon hierher kommt, seitdem sie denken kann, sagt, wenn Rømø ein Mensch wäre, wäre es wahrscheinlich eine Dame vom Lande, mittleres Alter, grundsolide, sportlich, aufgeschlossen. Vielleicht, meint die Alte, wäre sie ein bisschen unmodern, das schon, aber nett auf jeden Fall. Sie würde Wert legen auf Natürlichkeit. Und sie würde Krabben essen, für die Rømø bekannt ist. "Aber Austern würde sie verschmähen", da ist sie sich sicher, "die schmecken zu sehr nach Sylt."

"Rømø ist eine gute Insel." Denn Rømø verspricht nichts, was es nicht halten kann, es enttäuscht nicht. Es ist einfach eine Insel, platt wie eine Flunder. Die Häuser stehen kreuz und quer über das Eiland verteilt, hier ein paar und dort ein paar, schöne Häuser. "Wahre Prachtstücke gibt es hier", sagt die Alte und nickt bedächtig. Dörfer lassen auf den ersten Blick keine Struktur erkennen, haben keinen Platz, auf dem man sich treffen könnte. "Hier wohnt ja auch kaum noch jemand."

Das stimmt. Knapp 600 Einwohner sind übrig geblieben auf Rømø, "vor zehn Jahren waren es noch mehr als 2000", erinnert sich Bodil Glistrup Thomsen, Tourismus- und Entwicklungschefin der kleinen, dänischen Insel, die gerade mal zwei Kilometer nördlich von Sylt liegt. "Aber es ist wie auf vielen kleinen Inseln, die Jungen gehen nach der Schule aufs Festland, studieren, machen eine Ausbildung. Und kommen selten zurück."

Dabei ist Rømø eine Insel wie aus dem Bilderbuch. Zwölf Kilometer lang und fünf breit und mit dem breitesten Strand gesegnet, den es in ganz Nordeuropa gibt. "Er ist so breit wie euer Schulweg lang ist", hatte ich meinen Kindern Tim, Nora und Jakob auf dem Damm erzählt, der Rømø mit dem Festland verbindet. Ganz genau: bis zu vier Kilometer breit. "Aber keine Angst, die müsst ihr nicht laufen." Denn Rømøs Strände dürfen befahren werden.

Und genau das tun wir als erstes. Wir fahren vom Damm aus geradeaus, weiter bis nach Lakolk, dorthin, wo die Straße endet; weiter über den festen Sand und durch das Meerwasser, das in ein paar Rinnen stehen geblieben ist und in dem sich Wolkenfetzen spiegeln. Drehen ein paar Kreise. Fahren durch ein paar größere Pfützen bis in eine versteckte Ecke inmitten der Dünen, die in den kommenden Tagen unser Lieblingsplatz werden soll.

Rømø ist ziemlich überschaubar. Es dauert nicht einmal 24 Stunden, dann wissen wir, wo sich was befindet. Wir haben die einzige Straße, die diese Bezeichnung auch verdient, befahren, haben die Wiesen an den Autofenstern vorüberflitzen sehen, die vielen Schafe, die Islandpferde und die knorrigen Kiefern. Wir haben die Handvoll Dörfer entdeckt, Juvre und Toftum im Inselnorden und Kongsmark, Kirkeby und Havneby.

Rømøs Kapital, sagt die drahtige Tourismuschefin Bodil Glistrup Thomsen, ist die Natur, sind die Dünen, der endlose Strand, die Heide, die Kiefern, die stille Landschaft. Kein Freizeitpark, keine Shoppingmeilen. Animation? "Fehlanzeige." Abgesehen vielleicht von dem, was das Naturcenter Tonnisgaard anbietet: Exkursionen in den erst 2010 gegründeten Nationalpark Wattenmeer, Austernwanderungen zum Beispiel, Wattwanderungen, Vogeltouren, Kutschfahrten. Und jede Woche kann man sich auch einen Vormittag lang den Bernsteinen widmen, die man auf Rømø mit etwas Glück finden kann. Glück? Bente Krog Bjerrum, Leiterin des Naturcenters Tonnisgaard, lächelt milde, sagt, Glück sei auch dabei, aber man müsse wissen, wann und wo Bernsteine zu finden seien. "Man muss nach einem Sturm zwei Tage warten und sich dann unmittelbar nach der Flut auf die Suche machen. Dann kann man sie finden, inmitten von Muscheln, Seetang und sonstigem Angeschwemmten - wenn man Glück hat."

Wir haben zwar Herbst, aber keinen Sturm, leider, und so werden wir wohl auch keine Bernsteine finden. Zum Bernsteinschleifen kommen wir aber dennoch - im Naturcenter. Nora und Jakob suchen sich ein milchiges, unscheinbares Steinchen aus einem großen Eimer und folgen den Anweisungen: Erst grob schleifen, immer kreisförmig, bis sich alle Ecken und Kanten verflüchtigt haben. Dann fein schleifen. Und zuletzt mit Zahncreme polieren - bis die Steine tatsächlich glänzen und funkeln.

Der Wind hetzt weiße Wolken über den dänischen Himmel. Die Sonne wärmt immer noch leicht. Und so wandern wir bei dem schönen Herbstwetter durch die Dünen, essen Fischbrötchen, Krabben, Hotdogs und typisch dänisches Softeis. Und fahren immer wieder über Rømøs Strand, der meinen Sohn sogar zu ersten kurzen Fahrübungen verleitet. "Darf man das?", frage ich meinen Mann, als der unseren Ältesten in Kupplung, Gas und Bremse einweist. Der zuckt mit den Schultern und deutet auf ein entgegenkommendes Fahrzeug, hinter dessen Steuer ein eindeutig Minderjähriger klemmt.

"Der Oktober ist die perfekte Zeit für einen Besuch auf Rømø", sagt Bente Krog Bjerrum am nächsten Morgen und stapft los - zur Wattwanderung. Das Wasser hat sich zurückgezogen, die Sonne durchbricht die letzten Nebelschwaden, die grünen Gummistiefel der jungen Umwelttechnikerin schmatzen im Watt. Sie läuft zielstrebig los, obwohl in diesem feucht-matschigen Gelände eigentlich kein Ziel auszumachen ist. Sie sticht die Mistforke ins Watt und holt einen kapitalen Wurm ans herbstliche Sonnenlicht, 25 Zentimeter lang. Sie erzählt von den Alpenstrandläufern, die zu Tausenden gerade wieder hier Station machen. "Sie fliegen von Sibirien hierher, rennen den ganzen Herbst auf ihren kleinen Streichholzbeinchen durchs Watt und picken nach Würmern. Und wenn sie sich satt gefressen haben, fliegen sie nach Westafrika, 4500 Kilometer weit." Das kühle Meer plätschert in kleinen Rinnsalen, Nora lauscht gebannt, Jakob fängt einen Krebs. "Und hier sind die Austern", sagt Bente Krog Bjerrum irgendwann und hält zwei, so groß wie meine Hände, in die Höhe. "Die sind gut", schwärmt sie. Kramt nach ihrem Messer, kratzt ein wenig an der Schale und bricht sie auf. "Möchte jemand probieren?"

Austern gehören inzwischen zu Rømø wie die struppige Heide. Aber sie sind nicht das Wichtigste auf dieser Insel, darauf besteht man hier. Viel wichtiger sind die Seehunde und die Wale, die hin und wieder vor der Küste auftauchen. Die zauberhaften kleinen Alpenstrandläufer. Das Wattenmeer, über das eine Ausstellung im Entstehen ist, die einen tiefen Einblick ins Watt und seine Bewohner geben soll. Und natürlich der Hafen im Süden der Insel, Havneby, den man gerade einer "Frischzellenkur" unterzogen hat. "Er ist hübsch geworden und vor allem größer und tiefer", erzählt Tourismuschefin Bodil Glistrup Thomsen. "Wir haben viel gearbeitet, an Konzepten gefeilt und Touren für die Besucher geplant. Ab dem kommenden Jahr können sogar Kreuzfahrer hier festmachen."

Ob Kreuzfahrer tatsächlich dieses bodenständige, natürliche Inselchen anlaufen werden? Die Tourismuschefin zuckt mit den Schultern und sagt, "ich hoffe es sehr. Schließlich ist Rømø wunderschön." Da hat sie recht. Rømø ist wunderschön - und natürlich, ehrlich und aufgeschlossen.