Tausende “Glücksvögel“ rasten wieder in Vorpommern - Günter Nowald weiß fast alles über sie. Jedes Jahr lockt das Schauspiel mehr Zuschauer an.

Was für ein Schauspiel: Zuerst reißen nur die charakteristischen Schreie der großen Vögel die Stille in der Schilflandschaft auf. Und dann fliegt auch schon trompetend und mit lautem Flügelschlag das erste Geschwader in niedriger Höhe ein: 150 oder 200 Kraniche in Keilformation. Noch eine Rechtskurve, damit jeder ein Foto mit dem rötlich eingefärbtem Abendhimmel im Hintergrund machen kann. Und dann - Achtung: Anschnallen, Luft anhalten, staunen - der Landeanflug.

Es ist wieder Kranichzeit im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Zwischen Pramort an der Ostspitze der Halbinsel Zingst und der Westküste von Rügen sammeln sich vor dem Weiterflug in den Süden einige Zigtausend der majestätischen Vögel. Hochsaison für Günter Nowald und sein Team aus dem Informationszentrum in Groß Mohrdorf bei Stralsund. Jedes Jahr lockt das Naturwunder mehr Zuschauer an, die den Kranichen mit Booten, Ausflugsschiffen, zu Fuß und mit dem Auto so nahe wie möglich kommen wollen.

Günter Nowald versucht die Interessen beider "Kurzzeit-Gäste" in der ansonsten so ruhigen Region auszugleichen. Er zeigt viel Verständnis für die Touristen, die sich vom Zug der Vögel in den Bann gezogen fühlen. Auch er hatte als junger Biologie-Student bei einer Exkursion auf Gut Sunder in der südlichen Lüneburger Heide Gänsehaut gespürt, als er zum ersten Mal Kraniche in großen Mengen gesehen und die Duettrufe eines Brutpaares gehört hatte.

+++Stille Wasser sind schön+++

+++Kraniche gegen die Not in Japan+++

Inzwischen hat er Tausende Tiere beringt und mit Kleinstsendern ausgestattet, hat Hunderte von Vorträgen gehalten, hat sich mit den vielen Sagen beschäftigt, die sich seit der Antik um den "Vogel der Götter", den "Glücksvogel", den "Sonnenvogel" ranken. Und doch "packt" es ihn jedes Jahr wieder, wenn Anfang September die ersten Vögel aus dem Norden Skandinaviens in der Boddenlandschaft rund um sein Zentrum eintreffen.

Über Monate hat er zuvor mit Landwirten aus der Nachbarschaft gesprochen. Er versteht auch ihre Skepsis. Kraniche sind Allesfresser, sie mögen Frösche und Insekten aus dem Flachwasser, sie lieben aber auch den Samen, die Wurzeln und die Gräser der Felder und Wiesen. Ihre Rastzeit fällt mit der Zeit der Ernte und der Aussaat zusammen.

Günter Nowald stammt aus dem Ruhrgebiet, hat in Osnabrück studiert und promoviert. Als Wissenschaftler hat er sich internationales Renommee erworben, sieht sich aber auch als Moderator und Mediator. Das Informationszentrum leitet der 49-Jährige seit der Gründung im Jahr 1996. Jedes Jahr kommen etwa 15 000 Besucher, die meisten davon im September und Oktober. Der sympathische Chef hat Jugendgruppen geführt, Landräte, Politiker und einmal auch Prinz Philip von England, der in seiner Heimat als Kranichfan bekannt ist.

Nowalds Frau Anja, von Haus aus Zoo- und Umwelttechnikerin, leitet das Büro des Zentrums, kümmert sich um Buchhaltung, Einkauf, die Betreuung neuer Ausstellungen, und sie hütet das umfangreiche Bildarchiv. Das wächst auch deshalb so rasant, weil Günter Nowald leidenschaftlicher Hobbyfotograf ist, der zu jeder Tages- und Jahreszeit mit seinen Kameras und Teleobjektiven auf die Pirsch geht. Die Kinder des Paares, obwohl erst sechs und drei Jahre alt, begleiten dabei den Vater nur zu gern in die "Wildnis".

Noch sind es jedes Jahr zwischen 50 000 und 70 000 Vögel, die auf dem Weg nach Spanien und Nordafrika vor Nowalds Haustür Kraft und Futter bunkern - bis etwa Ende Oktober. Aber Naturschützer in aller Welt bangen um die Zukunft der Großvögel. Die Verdrahtung und Verspannung der Landschaften, die geringer werdenden Naturflächen, all das lässt Skeptiker befürchten, dass in spätestens 100 Jahren zumindest in Mitteleuropa nur noch die Legenden vom Kranich übrig bleiben.

Damit die Tiere möglichst ungestört einfliegen, rasten und ihren berühmten Tanz aufführen können, empfiehlt Günter Nowald motorisierten Touristen, nicht gleich heftig auf die Bremse zu treten und ihren Wagen zu verlassen, sobald sie ein paar Kraniche auf dem Acker sehen: "Autos werden von den Kranichen nicht als Feind gesehen. Aus dem Fahrzeug heraus lassen sich die Tiere besser beobachten als vom Straßenrand. Kraniche nähern sich einem Auto bis auf knapp 100 Meter, zwischen sich und einen Menschen legen sie hingegen eine deutlich größere Distanz."

Der tolerante "Kranichpapst", wie sie Günter Nowald im Nordwesten liebevoll nennen, interessiert sich auch für andere seltene Vögel. Den Kea, eine Papageienart, liebt er, weil er ihn für "mindestens so intelligent wie den Kranich" hält. Und auch Greife aller Art mag er, Adler, Falken, Habichte: "Die haben mit den Kranichvögeln das Mythische, das Magische, das Majestätische gemeinsam."