Die einen fahren mit der Seilbahn auf den höchsten deutschen Berg, die Zugspitze. Andere schaffen es aus eigener Kraft - und fühlen sich überlegen.

Mehrere Routen führen auf den Gipfel der Zugspitze in 2962,06 Meter Höhe. Da sich Deutschland und Österreich den Grenzberg teilen, beginnen die Aufstiege entweder in Bayern oder in Tirol. Eine der einfachsten, aber auch längsten Touren, führt vom Tiroler Ehrwald auf 994 Meter Höhe rund um das Wettersteinmassiv über den Grenzpass Gatterl und die Knorrhütte über die Westflanke zur "Spitze der Zugspitze". Um das Ziel zu erreichen, genügen gute Kondition, Trittsicherheit und am Ende auch Schwindelfreiheit.

Nie hätte ich geglaubt, Deutschlands höchsten Berg jemals zu Fuß zu erklimmen. Damals, als ich per Seilbahn von Garmisch-Partenkirchen hinaufschwebte und den grandiosen Ausblick von der Plattform genoss. Nur das allerletzte Stück, einen durch Drahtseile gesicherten hochalpinen Miniklettersteig, hatte ich mich trotz peinlich touristischer Aufmachung in Turnschuhen bis zum Gipfelkreuz hochgehangelt. Und wünschte mir, einmal die gesamte Strecke vom Tal aus aufzusteigen, um den berühmten Berg zu knacken. Erst dann wäre das eindrucksvolle Gipfelerlebnis auch wirklich verdient.

+++Alpenpanaroma und Adlerhorst+++

+++Niederländer wollen hoch hinaus: Ein Berg soll her+++

191 Jahre nach der ersten amtlich nachgewiesenen Besteigung am 27. August 1820 durch Leutnant Josef Naus, der im Auftrag des "Königlich Bayrischen Topographischen Bureaus" für den Atlas von Bayern das Werdenfelser Land vermessen sollte, ist es so weit. Mein Aufstieg steht bevor.

Majestätisch thront die Zugspitze über Ehrwald. Nackte, schroffe Felsen, die endlos in den Himmel ragen. Da sollen wir hinauf? Als ungeübte Berggänger aus dem platten Land? Unmöglich! Thomas Bader, 49, staatlich geprüfter Bergwander- und Naturführer, beruhigt uns. Bisher habe er noch jeden hochgebracht. Sechs bis acht Stunden würde die reine Gehzeit betragen, entspannter sei die Planung von anderthalb Tagen mit Übernachtung auf der Knorrhütte und vielen Naturbeobachtungen an der Wegstrecke.

Mit höchstem Respekt vor Deutschlands höchstem Berg atmen wir tief durch und beginnen die gewaltige Tour. An der alten Talstation widerstehen wir heroisch der Versuchung, mit der Tiroler Zugspitzbahn eine Stunde Aufstieg bis zur Ehrwalder Alm zu sparen - Ehrensache in Ehrwald! Die ersten zwei Drittel der Route bestechen durch abwechslungsreiche Landschaft. "Die beiden schönsten Aufstiege führen von Tirol auf die Zugspitze", versichert Thomas. Über den Wiesenweg geht es hinauf bis zum Berggasthof Ehrwalder Alm, wo es zum Stempel in den Hüttenpass frische Milch von glücklichen Alpenkühen gibt.

Über grüne Almen und durch Lärchenwälder, über denen Bussarde und Turmfalken kreisen, und später ab der Baumgrenze durch Haine niedriger Latschenkiefern steigt der Weg nun stetig bergan. Er führt zur Pestkapelle im Gaistal, die 1634 von den Ehrwaldern aus Dankbarkeit für erfolgreiche Seuchenabwehr gebaut wurde, bis zur nächsten Einkehr in die Hochfeldern Almhütte. Dort werden die ersten Blasen an den Fersen versorgt, der Bergführer hat alles dabei, woran der unerfahrene Wanderer nicht gedacht hat. "Einmal", so schmunzelt er, "kam mir einer auf Socken entgegen, dem habe ich erst mal die Schuhsohlen festgeklebt."

Doch nicht immer geht es aufwärts, leider verlieren wir ab und zu auch wieder ein paar wertvolle Höhenmeter, die es danach zurückzuerobern gilt. Macht nichts, für Ablenkung von der Mühsal sorgt Thomas. Ausgestattet mit Präzisionsferngläsern und einem Teleskop, legen wir uns immer wieder auf die Lauer. Zoomen grasende Geißen und unglaublich fette Murmeltiere heran, die sich den Bauch mit Alpengräsern und -blumen für den bevorstehenden Winterschlaf vollgefressen haben. Und lernen vom Naturführer: "Murmeltiere pfeifen nicht, sie schreien." Wie ein Indianer versteht der Tiroler die Fährten der Alpenfauna zu lesen: "Gemse, Kalb, alte Kuh ..." Wir sind beeindruckt. Dann müssen wir die volle Aufmerksamkeit auf den schmalen Steig richten, der sich zum "Gatterl" hinauf zieht. Zum Glück ist die ausgesetzte Passage, wie jene Steige genannt werden, von denen fast senkrecht der Hang abfällt, an ihrer steilsten Stelle durch Steighilfen gesichert. Eine Gedenktafel am Gatterl, dem schroffen Grenzkamm zwischen Österreich und Deutschland, zeugt davon, dass hier im Winter 1952 vier Zollbeamte und ein Zivilist durch eine Lawine ums Leben kamen.

Ein Gewitter zieht auf, beängstigend hallt der Donner von den umliegenden Bergwänden wider. Thomas treibt zur Eile. Fast im Laufschritt hasten wir - nun auf bayerischer Seite - über Steinbrocken und Geröll hinüber zur Knorrhütte am Abbruch des Zugspitzplatts. Knallvoll ist die Hütte des Deutschen Alpenvereins. Schneller und lauter klopft das Herz wegen der ungewohnten Höhe von 2051 Meter, dazu verhindern Geräusche und Gerüche, von Schlafenden im fensterlosen Mehrbettzimmer produziert, den eigenen Schlummer. Ausgerechnet vor der letzten Etappe, dem steileren und unwegsameren Stück der Bergwanderung.

Die Karawane zieht weiter. Schon am Abend war der Gipfel der Zugspitze von der Hütte aus zu sehen gewesen. Am Morgen gleicht er einer Fata Morgana, zum Greifen nah, doch seltsam distanziert. Immer dichter liegen jetzt die Schneeteppiche, immer stärker müssen wir auf dem Geröllpfad darauf achten, nicht auszurutschen. Quasi im Moonwalk - zwei Schritte vorwärts, einen zurück - kämpfen wir uns in der kargen Mondlandschaft bergaufwärts. Kalt und zugig ist es auf der ungeschützten Fläche. Erinnerungen kommen auf an das Unglück beim jährlichen Zugspitz Extremlauf, bei dem die Teilnehmer genau die gleiche 17,9 Kilometer lange Strecke in Rekordzeit zurücklegen und die Schnellsten den Höhenunterschied von rund 2000 Metern in gut zwei Stunden von Ehrwald bis auf den Zugspitzgipfel überwinden. 2008 sind dabei wegen eines überraschenden Kälteeinbruchs zwei Teilnehmer erfroren.

Wir setzen lieber die Politik der kleinen Schritte fort, vorbei am Gletscherrestaurant SonnAlpin nähern wir uns gemächlich der kleinen Kapelle Maria Heimsuchung. Nirgendwo sind Bergwanderer dem Himmel näher als in Deutschlands höchstem Gotteshaus am Fuße des schmelzenden Schneeferners. Vor genau 30 Jahren von Joseph Kardinal Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI. geweiht, findet dort am 11. Oktober ein besonderer Jubiläumsgottesdienst statt.

Noch rund 300 Höhenmeter, dann ist es ist geschafft! Auf dem Gipfelplateau vermischen sich Touristen, die mit den drei Seilbahnen hochgefahren sind, und Bergsteiger. In unserer schweren Ausrüstung fühlen wir uns allen Plastiklatschen- und Kuriertaschenträgern haushoch überlegen.

Gewaltig wie der hochalpine Aufstieg ist der Blick vom Gipfelkreuz. Nichts versperrt den Blick vom isoliert stehenden Superaussichtsberg. Grenzenloses Gipfelglück mit grenzenlosem Weitblick auf die Schweizer, deutschen, österreichischen und italienischen Berge. "Faszination Zugspitze" heißt das Erlebnismuseum auf Tiroler Seite. Und es gibt niemanden, der sich dieser Faszination zu entziehen vermag. Erst recht nicht, wenn er den höchsten Berg Deutschlands aus eigener Kraft bestiegen hat. Was für ein Gefühl!