Eine Glosse von Helge Sobik

Wo er so plötzlich herkommt? Wo er sich versteckt hielt? Vor allem: Wo er all die zusammengefalteten Mini-Regenschirme mit einem Mal herhat, die an Schlaufen über seinem rechten Arm baumeln? Urplötzlich poppte der Asiat auf, als hätte es ihn aufs Stichwort exakt zu Beginn des Platzregens vor der Kathedrale von Palma de Mallorca hydraulisch aus dem Boden gehebelt. 15 Meter weiter stehen noch zwei, ein paar Treppenstufen tiefer nicht weit vom Parkhaus zwei Afrikaner mit genau denselben dunklen Karo-Regenschirmen: Als hätten sie geahnt, dass es jetzt aus heiterem Himmel losprasseln würde.

Sie sprechen jeden an, der ihnen halbwegs nahe kommt - auf Deutsch und auf Englisch, zwei Wörter in Endlosschleife: "Schirm? Umbrella? Umbrella? Schirm?" Und nach einer kleinen Pause: "Fünf Euro, five Euros!"

Sie leben von der Überraschung und vom schlechten Wetter - davon, dass die Leute in T-Shirts und kurzen Hosen im Hotel losgefahren sind und nicht ahnten, dass es in der Inselhauptstadt einen Schauer geben würde. Blitzschnell sind sie von Urlaubern umringt, denen fünf Euro für den Billigschirm fair erscheinen, um nicht völlig durchnässt zum Shoppingbummel oder Museumsbesuch zu starten.

Je schneller es am Horizont heller wird, desto rasanter fällt der Preis der restlichen Schirme. Plötzlich soll jeder nur noch vier Euro kosten. 30 Meter weiter ruft der Verkäufer bereits drei Euro aus, weil ein erster Sonnenstrahl herauskam - und ist offen für ein Gegengebot: "Zwei", sagt ein nass geregneter Tourist. "Zwei Euro für jeden, wenn du zwei Schirme nimmst", antwortet der Asiat. "Zweifünfzig für einen", erwidert der nasse Mann. "Wenn du feilschst, bis der Schauer vorbei ist, nützt uns das Ding nichts mehr", wirft dessen Frau ein. So macht der Asiat das Geschäft für drei Euro.

Darauf verlässt er kurz seinen Pflaster-Quadranten, ein Kastenwagen fährt vor, ein anderer Asiat hat schon von innen die Laderaumtür aufgeschoben und reicht eilends 20 Schirme Nachschub raus. Warum er nicht einen Karton in Reserve beim Kollegen lässt? "Zu viel", ruft er. "Wenn Leute sehen, dass viele Schirme da sind, kaufen nicht. Wenn Leute denken, anderer könnte letzten nehmen, geht Geschäft schnell." Das klingt schlüssig.

Ob die Schirmherren aus Asien und Afrika traurig sind, wenn über Mallorca Sonne scheint? Womöglich wochenlang? Wo sie auf Regen warten? Wie sie es schaffen, in perfekter Choreografie mit Idealabstand zueinander bei den ersten Tropfen an den Touristen-Drehkreuzen zu stehen? So viele Fragen. Und keine Antworten. Nur eine mag der freundliche Mann mit den Karo-Schirmen beantworten: Wo er so plötzlich hergekommen sei? "Aus Laos", sagt er und hängt sich eilig noch ein paar Schirme über den Arm. Wahrscheinlich stimmt das sogar.