Viele Großsegler bieten die Möglichkeit, als Trainee ein paar Tage mitzureisen - das ist Arbeit, Abenteuer und Entspannung zugleich.

Alarm! "All hands on deck", dröhnt es über den Bordlautsprecher. Alle rennen und hantieren mit den Tauen. Nur die Landratten, die "Trainees", wie die Seeleute auf Zeit heißen, wissen nicht so recht, wo sie ziehen sollen. Mitreisen auf einem Großsegler, das ist Entspannung, Arbeit und Abenteuer zugleich.

Manch einer der Mitreisenden - so gestehen sie einander später - ist mit mulmigen Gefühlen die Gangway heraufgeklettert. Was, wenn ein Sturm aufzieht? Und dann auch noch ein historisches Segelschiff? Die 90-jährige "Sedov", der heute zur Technischen Universität Murmansk gehörende Viermaster, ist mit fast 120 Metern Länge zwar das größte noch fahrende traditionelle Segelschiff der Welt. Aber eben doch kein schaukelfreier Kreuzfahrtriese. Außerdem ist es kein Schiff gewordenes Grandhotel, sondern eine schwimmende Jugendherberge.

Die "Sedov" läuft aus. Mit tuckerndem Diesel und noch ohne Segel. Die anderen Schiffe im Kieler Hafen grüßen tutend. Wir tuten zurück. Über die Lautsprecher erklingt "Conquest of Paradise". Als fernes Paradies fungiert diesmal das nahe Kopenhagen. Die Passagiere schleichen neugierig umher, schauen in alle Luken, Türen und Klappen, legen den Kopf in den Nacken, um den Ausguck zu entdecken, bewundern das Steuerrad, suchen die Funktionsweise der Geräte zu ergründen - und einander kennenzulernen. Man ist von vornherein, unter Seeleuten selbstverständlich, per Du.

Am nächsten Morgen der erste Alarm. Der Lautsprecher krächzt ein paar energische Sätze auf Russisch. Die meisten von uns Gästen brauchen länger, um das zu interpretieren, sich aus den Kojen zu hieven, ins Bad zu huschen, sich wetterfest anzuziehen und an Deck zu klettern.

Dort hat allerdings keiner auf das Erscheinen der verschlafenen Landratten gewartet. Die Segel blähen sich schon im Wind; die Matrosen und Kadetten sind mit den letzten Handgriffen beschäftigt. Auch eine ehrgeizige Handvoll Trainees hatten mit angepackt. Womit wir bei der Hierarchie an Bord wären. Es gibt den Kapitän und die Offiziere, die Matrosen der Stammbesatzung, eine alle paar Monate wechselnde Truppe Kadetten und die Trainees - das sind wir, die Lehrlinge für ein paar Tage. Aber so verbissen sieht das keiner. Während die Stamm-Mannschaft auf kleineren Segelschiffen nur aus einem halben Dutzend Profis besteht und der Törn nicht funktionieren würde, wenn nicht auch die Gäste mit zupacken, darf der Trainee auf der "Sedov" auch mal den Passagier raushängen lassen.

In die Takelage muss keiner, der das nicht unbedingt will. Für Jobs wie Ruderwache, Küchendienst, Rost-Klopfen oder Streichen kann sich beim morgendlichen Verlesen der anstehenden Arbeiten durch den Trainee-Offizier melden, wer Lust hat. Vorausgesetzt wird nur, dass man sein Bett selber bezieht, sein Geschirr abräumt und auch ansonsten nichts herumstehen lässt, was bei Seegang umherpoltern könnte.

Nicht schwänzen darf selbst der bequemste Trainee die Sicherheitseinweisung. Die macht Gregor, "the best man on bord", wie er sich vorstellt. Kompliziertester Teil der Erklärungen: Das Anlegen eines Rettungsoveralls, eines orangen Ganzkörperschutzes mit zahllosen Reiß- und Klettverschlüssen und einer Haube gegen die Angriffe gieriger Seevögel.

Neben den Arbeiten an Bord kann man auch in vergangene Tage eintauchen: Die "Sedov" ist nämlich ein Museum, in dem man studieren kann, wo überall das Schiff im Laufe seines langen Lebens herumgekommen ist. Die Alte, die im Bauch noch einen Leninsaal und auf der Brücke schon eine Ikone hat, kann Geschichten erzählen.

Bald haben sich alle eingelebt. Man weiß, an welche Stelle der klemmenden Toilettentür man schwungvoll treten muss, um sie aufzubekommen. Man weiß, wo man den Matrosen und Kadetten mehr im Wege steht und wo weniger. Man weiß, wo man auf den steilen Treppen den Kopf einziehen oder rückwärts steigen muss.

Auch einen gewissen Argwohn gegenüber perfekt glänzenden Flächen hat man sich antrainiert; es gibt halt kein Schild, das warnt, wenn etwas frisch gestrichen wurde. Auch seinen Lieblings-Sitzplatz an Deck hat jeder gefunden: auf Tau-Rollen oder Kisten, irgendwelchen Decksaufbauten oder schlichtweg auf den Planken. Liegestühle? Für die ist kein Platz, wenn es in jedem Moment sein kann, dass bei Alarm Dutzende Matrosen und Kadetten umherrennen und in langen Reihen an den Tauen zerren.

Heimreise. Endlich liegt das Schiff mal im Wind. Der Horizont ist links unter und rechts über der Reling zu sehen. Wer es nicht glaubt, dass wir schief liegen, bekommt das spätestens beim Mittagessen zu spüren: Die Suppe droht über den Tellerrand zu fließen - sofern man sie nicht schon beim torkelnden Rückweg von der Essensausgabe verschüttet hat. Große Wellen, geschweige denn richtigen Sturm hat es auf der Ostsee nicht gegeben. Einige der anfangs Kleinlauten fordern den jetzt kühn ein.

In den späten Abendstunden nähern wir uns wieder der Kieler Bucht. Ohne Lampen, sodass wir die Sterne sehen können. Aber wir sind nicht mehr allein auf dem Meer. Auf Sichtweite fahren mehrere hell beleuchtete Kreuzfahrtschiffe. "Dort legen sie jetzt gerade die Krawatte für das Dinner an", sagt einer. Es klingt mitleidig. Und auch ein bisschen Überlegenheit schwingt mit. Wir sind gesegelt wie die Altvorderen, wie Kolumbus.