Pamplona, die Hauptstadt Navarras, ist berühmt für ihre Stierhatz. Doch das Spektakel ist zunehmend umstritten

Aus, vorbei. Antonio Sagarra, Barkeeper im Café Iruña an der Plaza del Castillo im Zentrum von Pamplona, ist froh, dass das Fest zu Ehren San Fermins, des Schutzpatrons der Hauptstadt von Navarra, wieder einmal vorüber ist. Nicht, weil die vielen Tausend Touristen, die sich noch Mitte Juli durch die Gassen der nordspanischen Stadt drängten, wieder abgereist sind und die Tage im Iruña, der berühmtesten Bar Pamplonas, wieder ruhiger geworden sind - nein, seine Freude gilt vor allem der Tatsache, dass die "Encierra" in diesem Jahr so glimpflich verlaufen ist, jene berüchtigte Stierhatz, bei der zu Beginn der Fiesta die jungen Kampfstiere, angefeuert von einer johlenden Menschenmeute, durch die engen Gassen Pamplonas getrieben werden. "Zum Glück gab es keine Schwerverletzten wie in den Jahren zuvor", sagt Antonio, "nur blaue Flecken und Schürfwunden. Aber daran sind diese Idioten doch selber schuld."

Antonio Sagarra lebt vom Tourismus, dennoch gehört er seit zwei Jahren zu einer spanischen Tierschutzorganisation, die ein Ende des Stierkampfes in Pamplona fordert. "Diese grausamen Massenveranstaltungen müssen endlich verboten werden", sagt er und verweist auf Barcelona und die Nachbarregion Katalonien, wo das Parlament schon im letzten Jahr ein totales Stierkampfverbot verabschiedet hat.

Antonio weiß, dass er sich mit dieser Forderung nicht nur Freunde macht. Denn noch immer hat das makabre Schauspiel auf der Iberischen Halbinsel zahlreiche Anhänger. Er erklärt: "Viele Menschen sind davon überzeugt, dass die Corrida zu Spanien gehöre wie der Flamenco und die Tapas. Außerdem glauben sie, der Stierkampf sei eine folkloristische Attraktion, die Touristen anlockt. Das ist aber Quatsch. Umfragen haben ergeben, dass sich kaum noch Spanienurlauber für dieses Spektakel interessieren. Auf den kanarischen Inseln sind Stierkämpfe schon seit 20 Jahren untersagt. Und sind etwa dort die Touristenzahlen seitdem gesunken?"

Egal, ob Stierkampf-Fan oder -Gegner - der bärtige Mann, der in dem kleinen Nebenraum im Café Iruña lässig an der Theke lehnt, wird von allen Einwohnern Pamplonas gleichermaßen verehrt: Ernest Hemingway. Schon seit Jahren hat er dort seinen festen Stammplatz - genauer gesagt, seit 1923, als er zum ersten Mal nach Pamplona kam und im Iruña seine Lieblingsbar entdeckte. Insgesamt soll er Pamplona mehr als 20-mal besucht haben. Verständlich, dass die Stadtväter und Barbesitzer dem Schriftsteller im Iruña ein bronzenes Denkmal setzten. Schließlich hat Hemingway der Stadt zu ungeahnter Popularität verholfen, als er sie zum Schauplatz seines ersten großen Romans machte: "The Sun Also Rises", auf Deutsch unter dem Titel "Fiesta" erschienen, der Geschichte einer Gruppe junger Freunde, deren Lebensgefühl zum Spiegelbild einer ganzen Generation wurde, der "verlorenen Generation".

Auch Johannes, ein 26-jähriger Student aus Würzburg, und seine Freundin Stefanie, hatten den Roman von Hemingway im Reisegepäck, als sie vor zwei Jahren zum ersten Mal nach Pamplona kamen. Dieses Mal führt sie ein anderer Grund nach Spanien. An ihren Rucksäcken baumelt die Jakobsmuschel, Zeichen dafür, dass sie auf Pilgerreise sind. Navarra und das benachbarte Baskenland sind wichtige Durchgangsstationen auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela.

Ich treffe Johannes und Stefanie in der Espoz y Mina, einer winzigen Seitengasse unweit der Avenida Carlos III., dem betriebsamen Geschäftsboulevard Pamplonas. Vor der Bar Gaucho haben sie ihre Rucksäcke an die Weinfässer am Eingang gelehnt und stärken sich für die Weiterreise mit einer Spezialität, für die Navarras Hauptstadt ebenso berühmt ist wie für die Fiesta - mit Pinchos, einer besonders fantasiereichen Form der spanischen Tapas.

Jedes Jahr im Juli und August findet in den Kneipengassen der Häppchenhochburg ein Wettbewerb statt, bei dem die leckersten Pinchos-Kreationen prämiert werden. Und die Bar Gaucho hat dabei seit 2003 regelmäßig den ersten Preis gewonnen.

So schmackhafte Kost wie den modernen Pilgern wurde den Wallfahrern vergangener Tage wohl nicht geboten. Küche und Refektorium (heute Diözesan-Museum) am Kreuzgang der Kathedrale, einem gotischen Gotteshaus mit neoklassizistischer Fassade, erinnern daran, dass Pamplona schon im 14. Jahrhundert eine wichtige Station auf dem legendären Camino nach Santiago bildete. Damals war Navarra noch ein mächtiges Königreich, regiert von Carlos III., der den Beinamen "der Edelmütige" trug und noch heute eine beinahe mythische Verehrung genießt. Zusammen mit seiner Gemahlin Leonore ruht er in einem prächtigen Alabaster-Grabmal vor dem Hochaltar der Kathedrale, einem der eindruckvollsten Kunstwerke Nordspaniens.

Seine Residenz hatte der Monarch rund 50 Kilometer südlich von Pamplona - in Olite, einem winzigen Städtchen, in dem sich das mittelalterliche Stadtbild bis heute unverändert erhalten hat. Störche nisten auf den Kaminen, und über den roten Ziegeldächern thront die Burg wie ein spanisches Neuschwanstein. 15 Wehrtürme sollen sie bewacht haben, bevor sie 1813 im Kampf gegen napoleonischen Soldaten in Trümmer fiel.

Dennoch: "Walt Disney war selbst vom Anblick der zerstörten Burg so überwältigt, dass er sie zum Vorbild für sein Cinderella-Schloss nahm", erzählt Jana, eine junge Studentin aus Deutschland. Und dass die Burg schon seit 1937 restauriert wird. Jana zog vor zwei Jahren von Marburg nach Pamplona - der Liebe wegen. Inzwischen kennt sie alle Geheimnisse in König Carlos' Märchenschloss: Dass es mit Gold geschmückte Wände gab und arabische Malereien von Pflanzen und Tieren, prunkvolle Bäder und sogar den Luxus einer Warmwasserheizung.

Vom höchsten Turm der Burg reicht der Blick weit ins Land. An klaren, sonnigen Tagen könne man fast bis zur den Pyrenäen schauen, sagt Jana. Die würden, ebenso wie Olite, noch im touristischen Dornröschenschlaf liegen, aber gerade das mache ihren Reiz aus. Die Pyrenäen sind das "grüne Herz" Navarras, mit Buchen- und Eichenwäldern, mit sonnigen Bergwiesen und Weingärten. Mit Tälern, in denen noch Gämse und Steinadler zu beobachten sind. Wie im Baztan-Tal, das nur wenige Kilometer nördlich von Pamplona beginnt und sich bis nach Zugarramurdi erstreckt, fast schon an der französischen Grenze. In Serpentinen windet sich die Straße am Flüsschen Bidasoa entlang, über bewaldete Hügel, durch Täler und Schluchten. Rehe, Fasane und Rebhühner kreuzen den Weg, über dem Eichen und Kastanien zu einem grünen Tunnel zusammenwachsen. Und an den Berghängen in der Ferne leuchten die weißen Villen der "Indianos", jener spanischen Auswanderer, die es im 19. Jahrhundert in Süd- und Mittelamerika zur Reichtum und Wohlstand kamen und sich nach ihrer Rückkehr im Baztan-Tal ihre prachtvollen Herrenhäuser bauten.

Auch Hemingway soll das Baztan-Tal geliebt haben. Denn es waren nicht nur die Fiestas, die ihn immer wieder nach Navarra lockten - noch mehr begeisterte er sich für das Forellenangeln in den wilden einsamen Bergbächen der Pyrenäen.