Auf den Nördlichen Sporaden steckt der Tourismus noch in den Kinderschuhen. Zu den Fans der Eilande zählen auch Schauspieler.

Hektisch blicken sie hinter den riesigen Rosmarinbüschen hervor, rutschen und stolpern dann panisch den vier Meter hohen Abhang hinunter. Äste brechen, Steine klatschen auf die Straße, Sand rieselt hinterher. Mit einem schrillen Pfeifton lockt Ziegenhirte Giorgos seine 50-köpfige Herde aus dem Unterholz auf die schmale Landstraße in den Bergen von Skopelos. Das Geweih kunstvoll in Wellenlinien geschwungen, das Fell braun und buschig, drängeln sich die Tiere zwischen grünem Berg und Abgrund. Ihr aufgeregtes Gemecker ist ohrenbetäubend. "Hier im Inselinneren kennen wir keinen Tourismus, aber die Natur, die ist uns wichtig. Schließlich leben hier fast so viele Ziegen wie Menschen", erzählt der 40-jährige Grieche und drängt seine Tiere zusammen.

Jeden Tag ziehen die Hirten auf den Nördlichen Sporaden mit ihren Ziegen über das gebirgige Land. Die Inseln in der westlichen Ägäis sind wohl das Grünste, was Griechenland zu bieten hat. Weitläufige Pinienwälder, ausgedehnte Olivenhaine, Palmen und spitze Zypressen bedecken die kleinen Eilande. Rund 80 von ihnen gibt es, die meisten sind unbewohnt. Für die Einheimischen sind sie die Verstreuten, die aus einem Steinweitwurf der Gigantenbrüder Otos und Efialtis entstanden - so sagt es eine griechische Legende.

Auf den Hauptinseln Skopelos, Skiathos und Alonnisos ist das Klingeln der Ziegen-Halsglocken ein ständiger Begleiter: Ob an den 200 Buchten mit ihren steinigen oder goldsandigen Stränden und türkisfarbenem Wasser, wo schroffe Felsen steil ins Meer fallen und eine Taverne nur im Hochsommer zu vollem Leben erwacht. Oder in den wenigen Dörfern, die sich mit weißen Häusern und roten Dächern dicht an dicht entlang verwinkelter Kopfsteinpflastergassen die Hänge hinaufziehen. Immer wieder mischt sich das Ziegengeklingel mit dem Geläut der Kirchenglocken. Es gibt über 500 Kirchen auf den traditionell geprägten Nördlichen Sporaden. Wenn die im Mai mit den ersten Touristen aus dem Dornröschenschlaf erwachen, ist das unverwechselbare Gebimmel nicht mehr ganz so präsent. Das soll sich allerdings ändern, denn die neuen Bürgermeister sind voller Tatendrang und wollen mit dem Badebucht-Image der Inseln auch Besucher außerhalb der Sommermonate anlocken.

Skiathos, die Mondäne, wie die Einheimischen sagen, ist über den kleinen Flughafen des großen Reeders Onassis am leichtesten zu erreichen. Im Sommer verdoppelt sich hier die Bevölkerung oft auf 10 000 Personen, verteilt auf die Buchten und die schöne Inselhauptstadt. Dann ist die Einkaufsstraße Papadiamanti, die den Namen von Skiathos' bedeutendstem Schriftsteller trägt, mit ihren Mode- und Souvenirläden schick herausgeputzt, versammelt das einzige Kino die Cineasten in einem winzigen Innenhof und aus den Lokalen an den Promenaden Paralia und Makariou entlang der Häfen dringt der Duft von Grillspießen. Plötzlich sind auch die Strände Koukounaries und Lalaria - für die Griechen die Schönsten der Insel - voller bunter Sonnenliegen und mit Ausflugsbooten gespickt. Wer die atemberaubenden Wandmalereien der alten Hauptstadt Kastro noch allein genießen will, muss früh aufstehen. Und auch die Mönche im Kloster Evagelistrias haben meist nur morgens Zeit für den Verkauf ihrer eingelegten Früchte und des selbstgebrauten Tsipouro. Gerade jetzt scheint Skiathos griechisch und international zugleich. Pierce Brosnan gefällt es. Seit den Dreharbeiten zum Film "Mamma Mia!" im Jahr 2008 kommt er regelmäßig hierher. Und mit ihm weitere Schauspielgrößen: Goldie Hawn und Kate Hudson trifft man in Achladias, Tom Hanks auf seiner Yacht vor der Insel.

Auf Skopelos, nur zehn Kilometer weiter, hat der Tourismus schon seit jeher weniger Bedeutung. Den meisten Europäern ist die Anreise per Fähre zu mühsam, und so bleiben die Griechen fast unter sich. Dabei braucht sich die Insel nicht zu verstecken. Schon bei der Einfahrt in den kleinen Hafen von Skopelos-Stadt verschlägt es einem den Atem ob der imposanten Ansammlung weißer Häuser und Kirchen am Hang. Das hat bereits die "Mamma Mia!"-Crew überzeugt und deutlich mehr Tage hier drehen lassen als auf Skiathos: am einsamen Pinienbaum am Kap Amarandos und an der Kirche Agios Ioannis sto Kastri, die im tosenden Meer in atemberaubender Lage auf einem Felsen thront und nur über 200 steile Stufen zu erreichen ist.

Dennoch ist die Insel kaum bekannt. Die Offiziellen haben geschlafen und den Film nicht zur Vermarktung genutzt. Dabei sind sie schon seit jeher gebeutelt, die Skopeloten. Früher eine blühende Insel mit erfolgreichem Handel von Wein, Oliven, Pflaumen und Schiffen, beendete 1868 die Weinkrankheit den Anbau. Als dann das Motorboot auf den Markt kam, wurde auch der Bootsbau stillgelegt. Für den Export blieben Pflaumen und Oliven. Zu wenig, und so stürzte man sich auf den Strandtourismus. Inzwischen sucht man nach Alternativen, die ihn ergänzen. "Skopelos zu Fuß entdecken ist das neue Motto. So können Individualtouristen Land und Leute kennen lernen", erklärt Bürgermeister George Michelis.

Für die Abgeschiedenste der drei Inseln gilt das bereits. Alonnisos ist die wohl familiärste Insel des Trios. Mit nur 2700 Einwohnern ist hier Beschaulichkeit Gesetz. Im Sommer gibt es Ausflüge zu den geschützten Delphinen und Mönchsrobben im Meeresnationalpark. Ansonsten sitzen die alten Männer am kleinen Hafen der Inselhauptstadt Patitiri in den Ouzerien, trinken Kaffee und spielen Tavli, griechisches Backgammon.

In der türkisfarbenen Bucht von Votsi rauscht das Meer vor sich hin. An der rötlich leuchtenden Steilklippe von Kokinokastro kreischt die seltene Audouin-Möwe, in der Hauptstadt Palia Alonnisos sonnen sich Hunde auf den Hausdächern. Und in der versteckten Kirche Agios Anargiri hängen Hunderte von Ikonen, die den Gläubigen Schutz gewähren. Alles lässt sich erwandern, auf mehr als 15 alten Eselspfaden. Wer nur einen davon geht, wird viel Tradition entdecken, vielleicht einen Türkischen Gecko sehen - und sicher auf einen Hirten mit seinen Ziegen treffen.