Sommer auf den Lofoten im hohen Norden Norwegens: Das ist die beste Zeit zum Angeln, Wandern, Stockfisch probieren und Landschaft genießen

Sanft dreht sich das Boot um seinen Anker. Ein Windhauch kräuselt das Wasser. Es geht auf Mitternacht zu, und noch immer scheint die Sonne. Daniel wirft seine Angel aus und schaut zu den gezackten Felsen, die auf der Insel Vestvågøy die Bucht von Stamsund einrahmen. Was für ein Panorama: fünf, sechs bunte Boote wie hingetupft, an den Ufern rote Holzhäuser, dahinter eine bizarre Bergkulisse, die sich im Meer spiegelt.

Daniel ist Mechaniker und Kellner, Fischer und Bergführer, groß, blond, ein Wikingertyp. Wir hatten ihn am Vormittag in Leknes getroffen. Ein Postdampfer hatte uns auf die Lofoten gebracht, gut 200 Kilometer nördlich des Polarkreises. Eigentlich hatten wir ein Taxi gesucht, aber es sollte erst wieder in zwei, drei Stunden eines zur Verfügung stehen. Daniel servierte uns in dem Bistro, in dem wir unser Gepäck abgestellt hatten, einen Kaffee und den Vorschlag, mit ihm und seinem Auto die Insel zu erkunden.

Sommerliche Szenen aus dem Norwegen-Bilderbuch: Wiesen voller Wildblumen, Gärten, in denen Dahlien blühen, Wanderwege zwischen Felswänden, Picknick an fjordähnlichen Buchten, hölzerne Gotteshäuser wie die Gemeindekirche von Buksnes bei Gravdal. Und am blauen Himmel kreist ein Seeadler. Er gilt als der Symbolvogel des hohen Nordens, ist so beliebt, dass man ihm in Bodø, dem südlichen Tor zur Inselwelt der Lofoten, sogar ein Denkmal errichtet hat. Es ist eine Landschaft, die auch weit gereiste Naturliebhaber den Atem anhalten lässt, von traumhafter, zuweilen irrealer Schönheit.

Die Lofoten: vier größere und rund 100 kleine Inseln und Felseneilande zwischen dem 67. und dem 68. Breitengrad, mit einer Fläche knapp doppelt so groß wie Hamburg, auf der gerade mal 23 000 Menschen leben, etwa so viele wie in Poppenbüttel. Noch vor wenigen Jahrzehnten lagen sie im Abseits, ein Refugium für Angler, die von Insel zu Insel mit Booten, Fähren oder Kajaks pendelten. Norwegens Ölreichtum und seine Strukturpolitik haben das Inselreich durch Straßen und Tunnel erschlossen und ans Festland angebunden. Die Autofahrt vom Flughafen Everness bei Narvik nach Svolvær, dem Hauptort des Archipels, hat sich von vier auf zweieinhalb Stunden verkürzt.

Das zieht auch mehr Touristen an, fast 60 000 kamen im vergangenen Jahr allein aus Deutschland, etwa viermal so viele wie vor 20 Jahren. Dazu die Gäste aus Restnorwegen, viele Schweden, ein paar Engländer und gar nicht so wenige Italiener. Für manchen Insulaner und erst recht für manchen "alten" Lofoten-Urlauber ist damit schon die Idylle bedroht. Aber Daniel, unser Allroundman auf Vestvågøy, sieht das eher positiv. Junge Leute wie er, so sagt er, wären ohne den Einbruch der Moderne längst abgewandert. Sein Vater ist Fischer, sein älterer Bruder auch. Aber die Netze sind nicht mehr so voll wie früher, die Zeiten haben sich halt auch dort geändert, wo die Feriengäste sie gern festhalten würden.

Es mag in Svolvær an Sommerwochenenden hin und wieder einen Stau geben, für fünf oder zehn Minuten. Vor einigen neuen Hotels müssen Busfahrer sich vielleicht häufiger mal die Parkplätze teilen. Und aus vielen Rorbuer, den Fischerhütten von damals, sind komfortable Unterkünfte geworden - so romantisch, so naturnah wie eh und je. Schon ein Inselchen weiter, oder auch in der Bucht nebenan, lässt sich die Einsamkeit genießen wie vor 26 Jahren, als der Hamburger Künstler Christian-Ivar Hammerbeck zum ersten Mal auf die Lofoten kam und in Digermulen am Raftsund "hängen" blieb.

Hammerbeck ist Maler. Er nennt sich einen Grenzgänger, kehrt oft zu seinen Wurzeln an die Elbe zurück, kauft dort Pinsel, Farben, sein Papier. Zwei Wochen später, wenn er wieder mit dem Boot auf den Fjord hinausfährt, dem Wind trotzt, den Skizzenblock auf dem Schoß, auf dem er Impressionen von Wasser und Bergen festhält, dann wiederum fühlt er sich hier zu Hause, am schönsten Ende der Welt, wie er es nennt. Zurzeit tauscht er häufig die Malutensilien mit der Angel, geht auf Rotbarsch oder Steinbeißer.

Der Dorsch allerdings, der noch nicht geschlechtsreife Kabeljau, der hat in Monaten, die kein "r" im Namen führen, Pause. Der Fisch, der die Lofoten wohlhabend und berühmt gemacht hat, darf nur von September bis April gefangen werden. Und trotzdem steht er auf jeder Speisekarte in den Inselrestaurants und auf vielen Rorbutischen - als lange gewässerter und lecker zubereiteter Stock- oder Klippfisch. An allen Küsten zwischen Sørvågen im Süden und dem Trollfjord im Norden der Inselgruppe, in jedem Dorf und vor fast jeder Rorbu-Anlage gehören die Gerüste, an denen der Fisch trocknet, zum Lofotenbild. Über Jahrhunderte hat der getrocknete Kabeljau die Geschichte der Seefahrt auf den Weltmeeren geprägt, nicht zuletzt auch die Religionskultur in Europa. Denn Fisch war notgedrungen die Leib- und Magenspeise aller Seeleute sowie bis zur Reformation die wichtigste Fastenspeise. Noch immer wird Trockenfisch von den Lofoten in großen Mengen nach Italien geliefert.

Alf Jonasson, der Direktor des Fischereimuseums in Å auf der Insel Moskenes, weiß alles über den Torsk und den Mahlstrom, über das Leben der Fischer von früher und von heute. Eine Lebertranfabrik, die bis heute das Öl des Kabeljaus liefert, gehört zu seinem Museum. Es ist eigentlich ein altes Dorf mit einer Schmiede und einer Bäckerei, in der jeden Morgen frisches Brot aus dem Ofen kommt. Alf, ein freundlicher Nordländer, der sein Wissen geduldig und mit Passion weitergibt, ist der Mann für die Theorie. Christian Neubacher, Küchenchef im wohl gemütlichsten Restaurant der Inselgruppe, bringt dagegen den Kabeljau, der monatelang in der kalten Luft des nordischen Winters getrocknet wurde, ganz praktisch und sehr lecker auf den Tisch.

Wie der Maler Hammerbeck ist er ein Deutscher, für den die Lofoten zur zweiten Heimat geworden sind. Seit 2007, nach Lehr- und Wanderjahren durch die halbe Welt, lockt Neubachers Kochkunst Norweger und Besucher von weither ins Restaurant "Børsen", nicht weit entfernt vom Zentrum der kleinen "Metropole" Svolvær. Unter niedrigen Holzbalken, in einem Haus aus dem Jahre 1828, dem einzigen Trockenfisch-Spezialitätenlokal Norwegens, serviert der gebürtige Hallenser Fisch vom Feinsten: auf königliche Art mit Béchamelsoße oder traditionell und schlicht, wie ihn die Fischer gern essen.

Eine Woche muss der Kabeljau gewässert werden, dann wird er filetiert und auf vielfältige Weise zubereitet. Was einst das Armeleute-Essen der Menschen im hohen Norden war, gilt heute als Delikatesse und ist entsprechend teuer. Christian Neubacher empfiehlt dazu ein Pils aus Bodø oder ein frisch gezapftes "Mack" aus Tromsø. Und nur mit Linie-Akvavit, dem norwegischen Schnaps, der mindestens einmal den Äquator passiert hat, rutscht der gewässerte Klippfisk richtig gut.

Daniel aus Leknes hat an diesem Tag einen guten Fang gemacht: Heilbutt, Rotbarsch und Seelachs. Maler Hammerbeck war mit Walforscherin Heike Vesster auf dem Vestfjord unterwegs, Orcas gucken - Motive satt, die er im Atelier umsetzen wird. Und Christian Neubacher wird morgen, an seinem freien Tag, wandern gehen mit den Kindern, Seeadler beobachten und zuschauen, wie sich die Wolken über den Bergen türmen. Starker Wind aus Nordwest ist angesagt.