Auf ein ziemlich umfangreiches Fabelwesen-Ensemble trifft man bei Arno Ballaschk in Burg.

Burg. Eine Schlange mit Krone. Ein Baumstamm mit Glubschaugen. Ein Wesen mit loderndem Haar. Gestalten mit Pinocchio-Nasen, die Flöte spielen und Wasserkübel entleeren. Eine höchst seltsame Menagerie bevölkert den Marktplatz von Lübbenau. Figuren aus der überaus reichhaltigen Sagen- und Mythenwelt des Spreewaldes. Direkt neben der Kirche, ultramodern aus Edelstahl erschaffen und zu einem Brunnen kombiniert vom Bildhauer Volker Roth.

Auch in der Heimatstube Burg begegnet man zentralen Gestalten der Spreewälder Sagenwelt von Angesicht zu Angesicht. Dem Wassermann und seiner grüngesichtigen Gemahlin. Dem goldfarbenen Irrlicht mit schnittig zu Berge stehendem Haar. Einigen netten Lutkis und der ganz und gar nicht netten Mittagsfrau. Allesamt kunstvoll als Handpuppen gestaltet von Designerin Regina Herrmann.

Manchmal erwacht die eine oder andere Figur sogar zum Leben. In Burg taucht urplötzlich eine weiße Gestalt in wallendem Gewand vor uns auf und schwenkt bedrohlich eine messerscharfe Sichel. Es ist die gefürchtete Mittagsfrau, die jedem unverzüglich den Kopf abschneidet, den sie zwischen 12 und 1 Uhr mittags bei der Arbeit erwischt.

"Gut möglich, dass diese Sage aus der Not heraus entstand, als Mägde und Knechte auf den Feldern ihrer Herren auch in der Mittagsglut schuften mussten und manche dabei an Hitzschlag starben", erklärt Bärbel Schubert, als Leiterin der Burger Heimatstube auch Expertin für die Spreewälder Sagenwelt. Da sind die Schlangen, die unter den Grundbalken der hölzernen Häuser leben und als Beschützer und Glücksbringer verehrt werden. Der Schlangenkönig schützt vor Armut und beschenkt Kinder und arme Leute. Bis heute findet man gekrönte Schlangenköpfe als Giebelverzierungen an Spreewaldhäusern. Da sind die Lutkis, zwergenhafte, fröhliche Geister, die sich vor Kirchenglocken fürchten und deshalb rund um den Burger Schlossberg in der Erde wohnen. Sie borgen sich bei den Menschen Haushaltsgeräte aus und bedanken sich mit Brot und Kuchen. Oder die Irrlichter, die gegen ein kleines Entgelt verirrten Wanderern nachts sicher durch das Sumpfgebiet heimleuchten. Böse oder zahlungsunwillige Menschen allerdings führen sie noch tiefer in den Sumpf hinein.

Auf ein ziemlich umfangreiches Fabelwesen-Ensemble trifft man bei Arno Ballaschk in Burg. Dieser hatte vor ein paar Jahren die märchenhafte Idee, Sagen und Geister auf hochprozentige Art miteinander zu verbinden. In seiner Sagengeister-Brennerei stellt er seitdem verschiedene Liköre, Obstgeister und Obstbrände her - aus Kirschen und Äpfeln, aus Himbeeren und Haselnüssen, aus Wildpflaumen und Kräutern.

Der Clou: Jeder Sorte ist eine Sagenfigur zugeordnet, jeweils mit Zeichnung auf dem Frontetikett und der jeweiligen Geschichte auf der Rückseite der Flasche. So erscheinen zum Beispiel die Mittagsfrau auf dem Birnenschnaps, der Schlangenkönig auf dem Haselnussgeist und der Wassermann auf dem Mirabellenbrand. Über schädliche Nebenwirkungen ist nichts bekannt, im Gegenteil: Arno Ballaschk beschert diese hübsche Idee sagenhaften Umsatz.

Schon immer war der Spreewald ein besonderer Hort von Mythen und Sagen. Was Wunder, in einem Wasserlabyrinth, das aus Hunderten Kanälen und Verästelungen der Spree besteht. Aus Mooren, Sümpfen und Feuchtwiesen. Aus dichten Erlenbruchwäldern und Weidenspalieren. Mit surrealen Licht- und Nebelstimmungen. Alles in allem ein idealer Nährboden für den Glauben an Geister, Götter und Dämonen und ein unerschöpflicher Quell für unglaubliche Fantasien.

Wie kaum eine andere kennt sich die Ethnologin Ute Henschel mit Glauben und Aberglauben im Spreewald und den daraus entsprungenen und überlieferten Geschichten und Figuren aus. Im Freilandmuseum des einzigartigen Inseldorfs Lehde bei Lübbenau erzählt sie zum Beispiel vom Plon. Einem feurigen Drachen, der durch den Schornstein ein- und ausfährt, dem Bauern Weizen, Milch oder gar Goldmünzen schenkt und zum Dank dafür gepflegt und gefüttert werden muss. "Der Plon wurde aus Neid und Missgunst gern Leuten angedichtet, die es durch Fleiß und Tüchtigkeit zu Wohlstand gebracht hatten", sagt die Expertin, "entstanden ist diese Mär wahrscheinlich durch unerklärliche Lichterscheinungen am nächtlichen Himmel."

In den Lübbenauer Spreewelten gibt es neben dem Badeparadies auch eine großartige Saunalandschaft mit insgesamt 14, teils in urigen Holzhütten untergebrachten "Schwitzkästen". Einer davon ist die Lutki-Höhle, die in einem mächtigen Spreewald-Heuschober steckt. Eine echte Märchenstube, denn alle 20 Minuten gibt es hier vom Band eine populäre Spreewälder Sage zu hören. Manchmal liest Schauspieler Matthias Härtig sogar live - ein echter Härtetest bei 85 Grad Raumtemperatur.

Tatsache ist auch, dass man im Spreewelten-Bad mit zwölf putzmunteren Humboldtpinguinen baden und schwimmen kann - nur eine Scheibe trennt die Becken für Tier und Mensch. Ein in der Tat sagenhaftes Erlebnis, das es in ganz Europa kein zweites Mal gibt.

Nicht zuletzt ist auch die Spreewelten-Pension in Lübbenau ein echter Knüller: Im denkmalgeschützten und umfassend sanierten Bahnhof nämlich schläft man in elf Zimmern, die von verschiedenen Künstlern zu fantasievollen Wunderwerken umgestaltet wurden. Einzige Vorgabe: ein spreewaldtypischer Bezug. So taucht man im "Gemach des Wendenkönigs" etwa ein in das Zauberreich zwischen Tag und Traum. Ruht am "Lieblingsplatz des Schlangenkönigs" in einer zartgrünen Wohlfühl-Oase mit floralen Formen. Schläft "Zwischen Wasser und Himmel" in einem halben Spreewaldkahn als Bett zwischen parallelen Spiegelwänden. Oder dimmt sich mittels einer drei mal drei Meter großen Leuchtwand in die Welt "Unter und über dem Wasser".