Vor knapp 20 Jahren wurde Menorca von der Unesco zum Biosphärereneservat ernannt - und so ein Bauboom verhindert

Ein Dorf so blendend weiß, dass es in den Augen schmerzt. Zwischen Meer und Lagune schmiegen sich flache Häuser in maurischem Stil an den Ufersaum eines stillen Gewässers. Und rund um den hübschen Ort Es Grau ist nichts als Natur, ein riesiges Gebiet von 51 Quadratkilometern, von der Küste bis tief ins Landesinnere. Das ist der Naturpark S'Albufera des Grau, die größte Feuchtzone im Nordosten der Insel Menorca. "Hier ist das Herz des Biosphärenreservats", ruft Jutta Vaupel begeistert, während sie mit einer kleinen Wandergruppe auf Holzstegen mitten hinein in das See- und Sumpfgebiet stapft. Die Hannoveranerin lebt seit 20 Jahren auf Menorca und liebt die Insel mit einer Leidenschaft, als wäre es schon immer ihre Heimat gewesen.

Sie kann ein Lied singen von den jahrelangen Kämpfen, die dem Schutz dieser Region vorausgingen und schließlich dazu führten, dass die Insel 1993 als Unesco-Biosphärenreservat anerkannt wurde. Kaum vorstellbar, dass jene abwechslungsreiche Lagunenlandschaft aus Wasser, Wald und Wiesen in den 1970er-Jahren beinahe zerstört worden wäre. "Man wollte hier Luxusferiensiedlungen bauen", berichtet Jutta Vaupel. "Die 700 000 Quadratmeter große Lagune sollte ausgebaggert und die beiden Zuflüsse zum Meer dicht gemacht werden." Am Seeufer standen schon einige Häuser, ein Golfplatz war bereits drei Monate in Betrieb, als die Protestmärsche von Bürgerinitiativen und Fischern die Baupläne stoppten.

Seit 1995 ist daraus der geschützte Naturpark geworden, mit allein 284 Vogelarten - darunter Silber- und Seidenreiher, Bienenfresser, Stelzenvögel, Falken und im Winter auch Flamingos und Eisvögel. Auf Salzwiesen gedeihen Meereswermut, Seespargel und Linsengewächse. Wenn die Wanderer schließlich an der Küste auf den Camí de Cavalls stoßen, den "Weg der Pferde", der rund um die Insel führt, könnten sie entlang der Nordküste immer weiter durch eine unbebaute, naturbelassene Landschaft laufen. Die Freigabe des 192 Kilometer langen historischen Pferdeweges setzten die Menorquiner gegen Privatbesitzer nach jahrelangen Demonstrationen zu Pferde und zu Fuß durch.

Ein weißer Leuchtturm auf den senkrecht ins Meer stürzenden Klippen am Cap de Cavalleria markiert den nördlichsten Punkt der Insel. Am Fuße der kantigen, bizarr durchlöcherten Felsen wächst der Rote Fingerhut neben gelben Orchideen. Unterbrochen von Schluchten und Steilhängen, schlängelt sich der Pfad von Binimel-là nach Pregonda. Es ist eine besonders eindrucksvolle Etappe auf dem Cami de Cavalls. Zwischen den Felsen öffnen sich schöne Strandbuchten, blühende Sträucher bedecken die Hänge. Die runden Büsche des Igel-Wundklee, obwohl dornig, kuscheln sich wie gelb getupfte Samtkissen auf den Boden. Und endlich, quasi im Nirgendwo, eine Bar im Tal von Binimel-là, wo sich müde Wanderer an einem Tisch unter Bäumen mit menorquinischem Tintenfisch, Hackfleischbällchen, Käse und Schinken stärken können.

45 Prozent von Menorca stehen unter Naturschutz. Selbst ein Urlaubsort wie Cala Galdana, eine halbmondförmige Badebucht zwischen hohen Steilküsten, mit einem achtstöckigen Hotel aus der Franco-Zeit, etlichen Restaurants und ein paar Freizeit-Attraktionen ist von einem Naturschutzgebiet umgeben, das nur ein paar Schritte jenseits des Strandes beginnt. Ein Küstenpfad führt immer höher hinauf durch ein Kiefernwäldchen. Unten die blaue Bucht, eingefasst von schroffen Felsen. Es ist windstill, Vögel zwitschern, und weiter geht es auf dem steinigen Pfad zu unbebauten Stränden, die man nur zu Fuß erreicht. Grandios ist der Blick auf das türkisfarbene Meer und die von Felsen umschlossene Cala Macarelleta, ein Strand wie in der Karibik.

Menorca, die grünste der vier Baleareninseln, ist etwa so groß wie Hamburg, hat aber nur 90 000 Einwohner. Eine zweispurige Durchgangsstraße quert die Insel von der Hauptstadt Mahón im Osten bis zur ehemaligen Hauptstadt Ciutadella im Westen, deren Altstadt als eine der schönsten Spaniens gilt. Jutta Vaupel liebt es, am späten Nachmittag mit ihren Gästen über den Platz zu streifen, wenn die Fassaden ockerfarben leuchten, vorbei an den arabisch anmutenden Arkaden des Rathauses zu einer Ecke der Stadtmauer, um auf den Naturhafen hinunterzuschauen. "Unser Mini-Fjord", sagt sie. "Hier legen die Fähren aus Mallorca an." Dann spaziert sie zurück zu Kirchen, Klöstern und zur Kathedrale, die König Alfons III. auf den Mauern der arabischen Moschee errichten ließ. Und als rächte sich das Schicksal, wurde der Bau im "Unglücksjahr" 1558 bei einem verheerenden türkischen Piratenüberfall zu großen Teilen zerstört, die Restaurierung dauerte Jahrhunderte.

Durch das "Lichtportal" der Kathedrale tritt man hinaus in die quirlige Altstadt. Feinkostläden, Boutiquen, Bars und Restaurants säumen die Gassen. Jutta Vaupel bleibt vor einem Schuhladen stehen, wo Abarcas menorquinas, die typischen Bauernschlappen der Insel aus Kalbsleder und Autoreifensohlen in allen Farben prangen. "Die trägt auch die königliche Familie im Sommer auf Mallorca", sagt sie, "darauf sind die Menorquiner stolz."

Unschlagbar ist die Inselhauptstadt mit ihrem lang gestreckten Hafenfjord. Es ist der größte Naturhafen des Mittelmeeres und zweitgrößte Tiefseehafen der Welt. Eine Hafenrundfahrt per Katamaran macht einen Besuch Mahóns zu einem besonderen Erlebnis. Auf einer breiten Freitreppe steigt man vom Kai zur Altstadt hinauf, die hoch oben auf der Steilküste thront. Palmen und ein prächtiges Bürgerhaus im katalanischen Jugendstil begrüßen den Spaziergänger. "Very british" mutet das Zentrum an, mit seinen schmiedeeisernen Balkonen, Buntglasscheiben und "bow windows", den geschwungenen englischen Erkerfenstern. Mahón ist aber auch ein Einkaufs-Paradies. Selbst der Kreuzgang des ehemaligen Karmeliterklosters hat sich in einen Markt verwandelt, und in die Zellen der Mönche sind exquisite Läden eingezogen. "Wir nennen es die 'himmlischen Markthallen' von Mahón", sagt Jutta Vaupel. Als ihre Gäste schließlich mit Einkaufstüten zurückkehren, geht es in ein schickes Fischrestaurant am Meer.