Vom Altersruhesitz eines Kaisers zur coolsten Stadt der Adria-Küste: Das kroatische Split ist inzwischen schöner als viele Urlaubsorte in Italien.

Wenn Sie an der Uferpromenade von Split stehen, sollten Sie folgendes Experiment wagen: Schließen Sie die Augen. Vergessen Sie die bequeme Anreise von nur zwei Flugstunden ab Hamburg. Blenden Sie das Sprachgewirr um sich aus. Dann öffnen Sie die Augen und raten, in welchem Land, in welcher Stadt Sie sich wohl befinden.

Ihr Blick fällt auf glasklares Wasser, azurblau. Fähren und Boote legen ab. Sicher sind Sie in einem griechischen Hafen gelandet, kurz davor, sich nach Korfu oder Santorin einzuschiffen. Dann sehen Sie sich die Uferpromenade an. Leuchtend weißer Kalkstein, Cafés mit elegant gekleideten Kellnern, Palmen, ein Gast liest in einem Amazon Kindle. Vielleicht doch eher Antibes oder ein Vorort von Cannes? Ihr Blick fällt auf die Fassaden der Promenade. Ein Mix aus römischen Säulen, klassischen Giebeln, romanischen Kapitellen. Ein venezianischer Löwe thront auf einem Vorsprung. Sie setzen sich in ein Straßenrestaurant, wohl eine Trattoria, bestellen einen Oktopussalat und trinken dazu einen ausgezeichneten heimischen Weißwein. Also doch Bella Italia? Ein italienischer Küsten- oder Inselort? Capri, Elba?

Genug nachgedacht, Sie haben schließlich Urlaub. Also bezahlen Sie Ihr Dinner in der kroatischen Währung Kuna, trinken noch einen Pelinkovac, den landestypischen Kräuterlikör, und genießen Ihren Aufenthalt im kroatischen Split, einer der schönsten Städte der Adria.

Seit der Unabhängigkeit 1992 hat sich Kroatien in ein Reiseziel verwandelt, das anderen Mittelmeer-Ländern wie Italien längst die Butter vom Bruchetta genommen hat. Jahr für Jahr haben die Kroaten neue Teile der Küstenstädte renoviert, die im Bürgerkrieg zerstörten Häuser repariert, Straßen erneuert, Flugverbindungen in europäische Städte aufgebaut.

Die Bewohner sind geübt darin, sich auf neue Situationen einzustellen: Das Land war schon unter römischer, byzantinischer, venezianischer und österreich-ungarischer Herrschaft, bevor es nach einer kurzen Zeit als Königreich 1945 ein Teil von Titos Jugoslawien wurde. In Split sieht man den ständigen Wandel am besten. Jeder Herrscher hat seine Spuren hinterlassen - zum Glück zumeist schöne. Entstanden ist eines dieser gewachsenen Gesamtkunstwerke, wie es sie nur in Europa gibt.

Was man angesichts der jungen urbanen Menschen, die durch die Innenstadt schlendern, nicht vermutet: Split ist ein Senior. Die Stadt wurde als Altersruhesitz angelegt. Der römische Kaiser Diokletian zog sich im Jahr 305 hierher zurück und baute sich einen Palast, quasi ein Seniorenheim mit Leibgarde, Hunderten von Dienern und opulenten Räumen. Das riesige Gebäude wurde die Keimzelle der Stadt Split, seit 1979 ist es Unesco-Weltkulturerbe. Die Seefront des Diokletianspalastes ist heute Teil der Uferpromenade Splits und beherbergt Eiscafés, Boutiquen und viele Restaurants.

Im Inneren des einzigartigen Baus sieht man sofort, was diese Altstadt von italienischen Orten unterscheidet: Sicher, Arezzo und Siena sind hübsch. Doch haben sie die Geschäftigkeit der Renaissance lange hinter sich gelassen. Anders in Kroatien: Viele junge Menschen bestimmen Splits Straßenbild. Die Stadt zieht Leute an, die etwas bewegen wollen. Es gibt neue Klubs und Shops mitten in jahrhundertealten Gemäuern.

Mehrsprachigkeit ist Pflicht, wie Andrejana, 31, versichert: "Für uns Kroaten ist Bildung das A und O." Weltoffen wollen sie sein. Das Hotel, in dem Andrejana Mladina im Management arbeitet, ist ein gutes Beispiel dafür: Im Le Meridien Lav gibt es kaum einen Angestellten, der neben seiner Heimatsprache nicht mindestens Englisch oder Deutsch spricht. Design und Service sind auf Reisende ausgerichtet, die sich ein Leben ohne WLAN für ihre Laptops, Lounge-Bars für ihren Durst oder Hightech-Crosstrainer für ihre Fitness nicht mehr vorstellen können. Ganz Split ist auf diese urbanen Traveller eingestellt - sie passen einfach so gut zu den Einheimischen.

Dass Split auch kulinarisch mit dem italienischen Nachbarn auf der anderen Adria-Seite mithalten kann, zeigt ein Besuch im Café Luxor, das direkt zu Füßen der Kathedrale liegt. Dort sitzt man nicht auf schnöden Bistro-Stühlchen, sondern auf großen Stufen aus Kalkstein, die mit weinroten Kissen ausgelegt sind. Innen erinnert das Café an ein Wiener Kaffeehaus. Der Espresso ist wie nahezu überall in Split top; die Zubereitung erfüllt alle Anforderungen des Gaggia-verwöhnten Koffein-Fans.

Wer will, kann gleich gegenüber eine Erfindung Kroatiens ansehen und sogar anlegen. In der Boutique "Salon Croata" werden Krawatten verkauft, deren Design in hiesigen Kunstgewerbeschulen entstand. Auch Verkäuferin Anna, 23, verblüfft mit ihren Sprachkenntnissen: Kroatisch, Italienisch, Spanisch, Englisch. Sie erklärt: "Die Krawatte haben die Kroaten erfunden!" Zumindest, wenn man der weit verbreiteten Geschichte glaubt, dass beim Bau von Schloss Versailles einst kroatische Söldner vor Louis XIV. eine Truppenparade veranstalteten. Dem Sonnenkönig gefielen die geschickt um die Hälse gezwirbelte Tücher der Truppe. Er ließ sich sofort ähnliche Stücke anfertigen, und was der Herrscher trug, eiferte sein Hofstaat fleißig nach. Aus "à la manière croate" wurde "Krawatte".

Auf Splits Seepromenade Riva, dem Catwalk Dalmatiens, lässt sich die kroatische Erfindung besonders gut tragen. Direkt gegenüber liegt die Insel Brac, wo der Kalkstein des Diokletianspalastes gefördert wurde. Dahinter: Die Insel Hvar, ein Reiseziel für sich, das vom Magazin "Traveller" schon als eine der "zehn schönsten Inseln der Welt" tituliert wurde. Riesige Yachten mit Flaggen von Fort Lauderdale bis Rimini ragen aus dem Wasser. Die Kulisse kann locker mit Saint Tropez mithalten. Historische Fassaden, sonnige Lounges, darüber thront eine mächtige Zitadelle. Einst bauten hier die Veneter Kampfgaleeren, eine große Werfthalle steht noch. Der italienische Einfluss, der große Naturhafen, die Berge voller Lavendel und Weinreben: Wer nicht schon in Split verliebt ist, wird spätestens Hvar verfallen. Hier kann man hervorragend schnorcheln. Tauchen mit Flasche ist überflüssig, das klare Wasser lässt alle Details der Unterwasserwelt erkennen. Ab und zu schwimmen sogar Delfine vorbei. Wieso, fragt man sich, wurde die Adria, dieser Meeresarm zwischen Italiens Ostküste und den gegenüberliegenden Ländern eigentlich nach der italienischen Stadt Adria in Venetien benannt und nicht nach einer kroatischen?

Immerhin sorgten die Veneter für den Weinanbau in Kroatien. Besonders zu empfehlen ist beispielsweise der Weißwein Korta Katarina, gekeltert aus der Posip-Traube, die es nur in Kroatien gibt. Es gibt ihn zum Beispiel im neuen Hafen-Restaurant Zrno Soli im Yachthafen von Split. Aber egal, wo man essen geht: Nirgendwo wird lahmer Espresso, Wein oder schlechtes Eis serviert. Selbst das früher in deutschen Kneipen gerne als "Balkan-Grill" servierte Cevapcici ist hier durchaus köstlich.

Ab 1. Juli 2013 können Sie das Essen in Split übrigens in Euro bezahlen. An diesem Tag soll das Land der Europäischen Union beitreten. Für die Kroaten ist das nur eine weitere Episode in ihrer langen Geschichte, für Europa ein echter Gewinn.