Auf Mauritius werden so viele verschiedene Religionen praktiziert, dass die Insel wirkt wie eine riesige Freiluftmesse

Hinter der Palme raschelt es verdächtig. Ein Dodo kann es nicht sein. Der etwas tollpatschige, flugunfähige Vogel starb schon vor mehr als 300 Jahren aus. Wahrscheinlich wurde er bis auf die letzte Feder verputzt von holländischen Seefahrern, die ihn als Frischfleisch-Proviant mit auf ihre Schiffe nahmen. Einer aktuellen (von Niederländern geleiteten) Untersuchung zufolge könnte jedoch auch eine Naturkatastrophe dafür verantwortlich gewesen sein, dass das Nationaltier der Mauritier heute nur noch als Holzfigur und Plüschvogel in Souvenirläden zu finden ist.

Vielleicht ist ja der Löwe ausgebrochen, an dessen Seite waghalsige Touristen hier in einem Park geführte Wanderungen unternehmen können. Verwundern würde es jedoch genauso wenig, wenn plötzlich Adam und Eva hinter der Palme hervorkämen. Sie im sexy Schlangenlook-Bikini, er mit einer Apfelschorle in der Hand und einer Predigt im Gepäck: "Bonjour Deutsche. Leg' mal dein Notizbuch weg und dich hin. Am siebten Tag sollst du ruhen!"

Es ist ein Sonntag auf Mauritius, aber heilig scheint hier eigentlich jeder Tag zu sein. 870 Kilometer östlich von Madagaskar versammeln sich Religionen und Kulturen aus der ganzen Welt, dabei ist das Eiland im Indischen Ozean nur ungefähr doppelt so groß wie Berlin. Hindus, Katholiken, Protestanten, Sunniten, Schiiten, Tamilen und Buddhisten leben hier friedlich neben- und auch miteinander. Die Muezzine der Moslems hört man fünfmal am Tag, das Christentum sieht man an jeder Ecke in Form von kleinen Kapellen, und die Räucherstäbchen des Hinduismus riecht man fünf Meter gegen den typischen Südostwind - die Insel veranstaltet eine riesige Freiluftmesse. Glaube, Verständnis und Harmonie scheinen offiziell Bürgerpflicht zu sein.

Auf die Palme bringen einen höchstens die komischen Geräusche hinter der Pflanze. Grund dafür ist dann doch keine Eva, sondern Anna. Die Hotelangestellte schiebt die Palmwedel zur Seite, um Besuchern den Garten des Shanti Maurice zu zeigen, eines Luxusressorts im Süden der Insel, in dem Anna Schriefer seit mehreren Monaten arbeitet. Aufgewachsen ist sie in Hamburg, "aber es fühlt sich so an, als sei dies ebenfalls meine Heimat. Auf Mauritius ist niemand ein Fremder. Alle sind so offen", sagt die 25-Jährige, die schon in Neuseeland, Dubai, der Schweiz und Malaysia gelebt hat. In Malaysia war sie mit einem Inder liiert, was die Leute mit Naserümpfen kommentiert hätten. "Hier können Ausländer und Einheimische ohne Probleme als Paar auftreten."

Die Frömmigkeit liegt wie ein unsichtbarer Schutzschild über der Insel

Im Grunde steckt auf Mauritius in jedem Einheimischen ein Ausländer und umgekehrt. 1505 wurde die Insel von den Portugiesen entdeckt, fortan gaben sich die Nationalitäten die Klinke in die Hand. Die Holländer tauften sie nach ihrem Prinzen Moritz von Oranien. Die Franzosen eroberten die "Ile de France" 1715 und hinterließen die riesigen Zuckerrohrfelder. Die englische Besatzung folgte ab 1810 und schenkte der Insel später den Linksverkehr. Die Sklaven aus Afrika brachten den Sega-Tanz mit, die Inder die Handwerkskunst, die Chinesen den Handel. Seit 1968 ist Mauritius unabhängig und mit seiner multiethnischen Bevölkerung eine der wenigen stabilen Demokratien Afrikas. Die bestmögliche Zukunft der Globalisierung hat hier bereits stattgefunden.

"Die Balance der Menschen überträgt sich auf die ganze Insel", erklärt Ravin Malhotra, während er auf einem Bein steht. Yoga sei hilfreich für ein harmonisches Miteinander, findet der Fitnesstrainer, genauso wie eine gesellige Nachbarschaft. "Links von mir wohnt ein katholisches Paar, rechts eine muslimische Familie, und wenn wir Hindus einen Festtag haben, dann feiern sie ganz selbstverständlich mit, während wir uns natürlich das Ende des Ramadan und Weihnachten nicht entgehen lassen." 16 Feiertage pro Jahr - so mancher Hotelbesitzer schüttelt verzweifelt den Kopf, weil die Angestellten vor lauter religiösem Partytum regelmäßig ihre Arbeit vergessen.

Das wichtigste Fest der Hindus, Maha Shivaratree, findet Ende Februar zu Ehren des ranghöchsten Gottes Shiva, des Zerstörers des Bösen, statt. Sportsfreund Ravin und 750 000 andere Gläubige machen sich dann auf den Weg zum Grand Bassin, zu Fuß natürlich, selbst wenn der Weg dorthin mehrere Tage in Anspruch nehmen sollte. Der See in einem erloschenen Vulkanschlot gilt als wichtigste hinduistische Pilgerstätte außerhalb Indiens. Er wird bewacht von einer 33 Meter hohen Shiva-Statue, einem reizenden Priester ("Wünsch dir was! Geht garantiert in Erfüllung!") und von einigen Affen, die das Obst und die Kokosnüsse klauen, die als Opfergaben an den Rand des Sees gelegt werden. "Egal, welches Wetter herrscht, der Ort sieht komischerweise immer wunderschön aus", sagt die Deutsche Elke Müsers, die seit vielen Jahren auf der Insel lebt und inzwischen Mantras fast lieber hört als ihr hinduistischer Freund. Die Mitarbeiterin der Naiade Resorts hat die verschiedenen Religionen nicht nur schätzen gelernt, sie glaubt wie viele andere Bewohner auch, dass die allgemeine Frömmigkeit die Insel schützt: "Wie eine Glasglocke liegt der Glaube über Mauritius, wahrscheinlich wurden wir deshalb bislang von Naturkatastrophen wie dem Tsunami verschont."

Vielleicht geschehen deshalb auch göttliche Fügungen, wie Antje Tourneur aus Hamburg sie erlebte. 1988 flog die ehemalige Lufthansa-Angestellte nach Mauritius. Sie kam in ihr Hotel, und hinter der Rezeption stand der Mann, in den sie sich sofort verliebte. Die beiden heirateten und haben inzwischen vier Söhne. Friede - Freude - Liebesfunke. "Natürlich fiel es mir schwer, Hamburg zu verlassen. Aber nirgends gibt es so freundliche und sprachlich talentierte Menschen wie hier. Und wenn ich mal wieder Hafengefühl brauche, fahre ich einfach zur Caudan Waterfront." Das Einkaufszentrum liegt direkt am Meer in der Hauptstadt Port Louis.

Dort befinden sich zudem zwei weitere Heiligenstätten: Die Jummah-Moschee und die Kirche von Saint Croix. Beide sehen von außen eher unspektakulär aus, aber auf Mauritius kommt es ja auf die inneren Werte an. So hätte man beispielsweise annehmen können, als blonde Katholikin im Rock und mit Fotoapparat in einer Moschee nicht unbedingt per Handschlag begrüßt zu werden. Aber Allah sei Dank: Der Hausherr der Moschee, Rashid Adam, führt die Besucherin nicht nur quer durch die heiligen Hallen, in denen sich freitags mehr als 3000 Männer treffen, er ermuntert sie auch noch, die Jungs beim Füßewaschen zu fotografieren und besorgt ein Buch mit dem Titel "Frauenrechte im Islam". Rashid Adam sieht mit seinem weißen Bart, seiner weißen Kutte und seiner Weisheit genauso aus, wie Gott seit jeher auf Kinderbildern gemalt wird. Ob Gott als Moslem wiedergeboren werden kann, selbst wenn er nicht Buddhist ist? Wunder geschehen ...

Auf die nächsten treffen wir ein paar Minuten Autofahrt entfernt im Stadtteil Saint Croix. An der Grabstelle des katholischen Priesters Père Laval sollen bereits zahlreiche Wunderheilungen stattgefunden haben. Père Laval war Arzt und kam 1841 als Missionar nach Mauritius, um nach "schwarzen Seelen zu fischen". Als er jedoch die Lebensbedingungen der befreiten Sklaven kennenlernte, war er entsetzt und schlug sich auf die Seite der Unterdrückten, Armen und Kranken. Er setzte sich für ihre Rechte ein, legte sich mit dem Klerus an und wurde als "Apostel der Schwarzen" bekannt.

Am 9.9. 1864 starb Laval; heute prozessieren jedes Jahr mehr als 200 000 Menschen mit Fackeln in der Hand in der Nacht zum 9. September zur Wallfahrtskirche und halten alle zwei Stunden eine Messe ab. "Es ist wie ein Festival, nur mit Chören anstatt Rockbands", erklärt Sheila Céline, die die Veranstaltung vor Ort organisiert und dafür sorgt, dass es genug Zelte, Toiletten, Kerzen, Weihwasser und Platz für die Fernsehkameras gibt. 25 Jahre schon arbeitet Céline in der Pilgerstätte, bereits ihre Einstellung sei ein Wunder gewesen: Als ihre Mutter schwer erkrankte, habe sie am Sarkophag von Père Laval um einen Arbeitsplatz für ihre Tochter gebeten. Die Mutter starb, aber in der nächsten Woche erhielt Céline die Zusage für den Job hier. Seitdem habe sie nie woanders arbeiten wollen. "Denn ich sehe jeden Tag Leute, die traurig herkommen und glücklich wieder gehen", sagt sie. Ihr schönstes Erlebnis sei der Besuch von Papst Johannes Paul II. 1989 gewesen. "Er hat uns alle vereint! Wir Mauritier fühlen uns alle einander zugehörig, selbst wenn wir komplett unterschiedlich sein sollten."

Mit dieser Einstellung könnte Mauritius zum Prototyp für eine heile Welt werden. Im Beisein der deutschen Besucherin zündet Céline dann noch eine Kerze an und bittet: "Ihr Deutschen seid so gesegnet, dass der neue Papst aus eurer Heimat kommt. Bitte sag ihm, dass er bald mal Mauritius besuchen soll."

Warum nicht? Hätte Gott ein Ferienhaus, hier würde es stehen.