Der Kurfürstendamm ist 125 Jahre alt: Nach der Wende hatte der Prachtboulevard an Glanz verloren, zum Jubiläum leuchtet er wieder. Bis in den Herbst wird auf der Flaniermeile gefeiert

Schauspieler Lars Eidinger ist der perfekte Überläufer. Der 35-Jährige aus dem Berliner Stadtbezirk Marienfelde wollte nie ins vornehme Charlottenburg rund um den Ku'damm, wie Berliner den Kurfürstendamm kürzeln, ist aber vor Jahren mit Frau und Kind an die Schlüterstraße gezogen - und will nie mehr weg. "Dieses Bourgeoise", schwärmt er, und dass die Mischung stimme. Schöne Altbauten an der Prachtstraße und rund um Savignyplatz, Olivaerplatz und Fasanenstraße. Eidingers Engagement an der Schaubühne am Ku'damm brachte ihn hierher, er ist auf schwierige Rollen abonniert. Man kennt ihn auch aus Fernsehen und Kino (zuletzt in Maren Ades Film "Alle anderen"). Dem Stadtmagazin "tip" erklärte er: "Ich bekenne mich zu einem gewissen Spießertum."

Typisch für einen Neu-Anrainer am Ku'damm. Erst das Viertel hassen, nun lieben. Lars Eidinger liebt den Currywurst-Imbiss am Ku'damm 195, wo er mit Brigitte Nielsen nach einer Vorstellung nachts eine Currywurst verschlang, dazu köpften sie eine Flasche Champagner für 250 Euro. Fischbrötchen im KaDeWe, Kochschinken im Café Richter, das am 80er-Jahre-Ambiente festhält und hauptberufliche Kellner alten Schlages beschäftigt. Und am George-Grosz-Platz, im Herzen des Boulevards "Charlottengrad" im Café Einstein. Russische Laute peitschen durch den Raum, die, die es sprechen, sind gern etwas lärmig, in der Kleidung nicht stilsicher, aber immer gut gelaunt. Und draußen paradiert ein gar nicht alterswürdiger Herr mit Botox-Gesicht und stets in hellen Anzügen über die Straße, als gehörte sie ihm wie einst das "Big Eden": Rolf Eden, 82, bekennender Playboy, "der König vom Ku'damm", sagt Eidinger.

Der Kurfürstendamm ist 3,5 Kilometer lang, gesäumt von Alleeplatanen. Breite Gehsteige, in der Mitte zwischen den Fahrbahnen Parkfläche, das war einst die Reitpromenade. Flankiert von Gebäuden im Gründerzeit- und neoklassizistischen Stil, darin Boutiquen mit großen Markennamen von Cartier bis Prada, darüber Büros und Wohnungen. Darin leben Sebastian Koch, Katja Riemann, Christoph Waltz, Simone Thomalla, Natalia Wörner, David Kross. Diese Schauspieler stehen gern dazu. Auch Leute wie Udo Walz, der als Coiffeur am Ku'damm zum Star geworden ist, tut es, und Klaus Wowereit, seit einigen Jahren mit Adresse am Ku'damm, muss es als Regierender Bürgermeister tun. Aber da sind auch die Verschwiegenen, sie wohnen in den riesigen Dachgeschosswohnungen und herrschaftlichen Maisonetten. In Berlin gibt es reiche Leute mit hanseatischem Understatement.

Der Kurfürstendamm wurde 1885 eröffnet. Eine Kabinettsorder schrieb 53 Meter Straßenbreite vor, Kaiser Wilhelm I. wünschte "eine Straße im großartigen Stile". Zuvor war der im 16. Jahrhundert angelegte "Churfürstendamm" ein Knüppeldamm, weil die Kurfürsten bequem zum Jagdschloss in den Grunewald reiten wollten. Berlin wuchs im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zur Metropole, Reichskanzler Bismarck griff in die Stadtplanung ein. "Denkt man sich Berlin so wie bisher fortwachsend", schrieb er 1883, "so wird es die doppelte Volkszahl noch schneller erreichen als Paris, das von 800 000 auf zwei Millionen gestiegen ist." Eine Promenade müsse her. Die Straße wurde bürgerlicher Vorzeigeboulevard. Die Realisierung setzte man überwiegend mit privatem Geld um, seit 1905 ist die Renommierstraße ein geschlossenes großbürgerliches Ensemble.

Jörg Haspel vom Landesdenkmalamt Berlin sieht das stärkste Potenzial im "historischen Nimbus" des Boulevards. Da sei "eine Großzügigkeit, die sie in anderen deutschen Städten so nicht haben". Dazu gehört für ihn auch die "Mischung der Nutzungen": Wohnen, Shoppen, Kultur und ein einzigartiges Straßenmobiliar, die Vitrinen. "Der Kurfürstendamm ist ein Boulevard. Da geht man nicht an einen Ort, da muss man flanieren."

Es war der Aufbruch ins bürgerliche Zeitalter. Am Ku'damm entstanden Wohn- und Lebensformen, die freiheitlicher waren als überall im wilhelminischen Deutschland. Das Ambiente sollte elegant und großzügig sein, hauptsächlich das jüdische Bürgertum achtete darauf - und zahlte. Nirgendwo in der Hauptstadt gibt es so viele bronzene Stolpersteine im Pflaster und Gedenktafeln an Häusern, die an berühmte jüdische Intellektuelle und Industrielle erinnern. Das Rückständige der überholten Monarchie wurde überholt, Künstler, Modemacher und Literaten gaben sich avantgardistisch. Und immer mehr bedeutende Persönlichkeiten lebten hier: Tuberkulose-Entdecker Robert Koch im Haus Nr. 52, Theaterregisseure Erwin Piscator und Max Reinhardt in Nr. 206, ab 1933 der Schauspieler Horst Buchholz. Theater und Großkinos eröffneten, die Bohème suchte Amüsement, der US-Dichter Thomas Wolfe staunte über "Europas größtes Kaffeehaus".

125 Jahre Ku'damm

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, begann am Ku'damm die Jagd auf alles, was nicht arisch war. Nach dem Krieg wurde die teilweise zerstörte Flaneurstraße wiederaufgebaut, vor allem um die Gedächtniskirche, und war der Boulevard der Eitelkeit auf der Insel West-Berlin. David Bowie und Iggy Pop drehten im Straßenkreuzer ihre Runden, Wirtschaftswunder-Profiteure schlürften Sektchen im Café Kranzler, in den 60er-Jahren wogten Studentenmassen mit "Ho-Ho-Ho-chi-Minh"-Rufen vorbei, und Willy Brandt und John F. Kennedy spazierten übers Pflaster. In der Nacht des Mauerfalls am 9. November 1989 wurde die Straße reserviert für Trabbis und Wartburgs, Rolf Eden ließ Freibier ausschenken, alle umarmten sich.

Es folgten Jahre der Stagnation, die neue Mitte wurde aufgepäppelt. Nun ist der Ku'damm wieder da. In 125 Werbevitrinen zeigt er seine historische Entwicklung, und auf dem Breitscheidplatz - wo er in die Tauentzienstraße übergeht - gibt es wieder den "Kurfürstendamm 1", eine temporäre Infobox; das historische Gebäude mit der Nummer existiert nicht mehr. Dort wird informiert über Bauprojekte wie das "Zoofenster"-Hochhaus mit dem Hotel Waldorf Astoria, das Ende des Jahres eröffnet wird. Feiern, zu denen die Straße zeitweise für den Autoverkehr gesperrt wird, laufen den Sommer über und enden im Oktober mit dem "Festival of Lights". Der Boulevard verströmt wieder Grandezza und aus dem Off hört man Hildegard Knef rufen "Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm". Wieder großes Welttheater.