Hunderttausende Besucher strömen in den Kirchenstaat, observiert von Schweizergardisten. Einige können mit etwas Glück den Papst im Park treffen.

Wenn jemand dem Schweizergardisten in seiner bunten Uniform aus gelblichen und blauen Längsstreifen vorsichtig mit zwei Fingern an den silbernen Helm tippt, wippt der ganze Schädel. Vier-, fünfmal tut er es fast geräuschlos in jede Richtung, dann hat er sich wieder in der Mitte eingependelt. Das geschieht andauernd, und der Mann nimmt es gelassen: Er hat ein Preisschild unter den Füßen das auf "12 Euro" lautet, ist keine 30 Zentimeter hoch - und aus Plastik. Die Miniatur mit dem überproportional großen Kopf wird an den Souvenirständen gleich hinter den Kolonnaden des Petersplatzes gehandelt und ist ein Renner.

Die jahrhundertealte Festungsmauer des Vatikan s, an dieser Stelle über zehn Meter hoch, ragt knapp hinter dem langen Souvenirtisch auf. Gegenüber liegt die Vatikanzeitung "Osservatore Romano" stapelweise aus. Und keine 150 Meter sind es von hier bis zum Posten der echten Schweizergardisten, die die Zufahrt von der Via del Porta Angelica in den streng abgeschotteten Vatikan bewachen.

Sie wippen nicht mit dem Kopf. Sie schütteln ihn kurz und lehnen freundlich, aber bestimmt ab, wenn ein Unbefugter Einlass in die schmale Straße mit den sandfarbenen Gemäuern begehrt, die auf die Sixtinische Kapelle zuführt. Von den clownesken Uniformen der Aufpasser darf sich dabei niemand täuschen lassen. Die Männer schützen Pontifex und Vatikan - und sie nehmen ihre Sache ernst.

Hunderttausende Besucher ziehen jedes Jahr durch den Petersdom, beten über dem Grab des Apostel Petrus, knien nieder vor dem hinter Glas aufgebahrten einbalsamierten Leichnam von Papst Johannes XXIII. oder in der Nekropole vor der Grabplatte von Johannes Paul II. Sie ziehen in Scharen durch die Korridore der Vatikanischen Museen - alles auf Grund und Boden des Kirchenstaates und doch ohne einen Fuß auf das geheimnisvolle Land direkt neben diesen Gebäuden setzen zu können. Dabei gibt es ein paar kaum bekannte Hintertüren tief hinein in das Reich von Papst Benedikt XVI.

Wer zum Beispiel die Schweizergardisten an der Wache Largo Paolo VI. auf Deutsch anspricht und vorgibt, zum Campo Santo Teutonico zu wollen, den winkt die Wache vormittags durch. Dieser ummauerte kleine Friedhof liegt etwa 70 Meter innerhalb der vatikanischen Mauern und genießt exterritorialen Status. Deutsche und Österreicher müssen diese Oase der Stille ungehindert erreichen dürfen. Davon profitieren auch jene, die dafür gehalten werden, denn den Pass zum Nachweis verlangt selten einer der Wachhabenden.

Rund 3000 Menschen arbeiten im Vatikan. Morgens strömen sie alle durch die wenigen Tore auf das Gelände: die blonde Frau mit dem entrückten Lächeln, die mit dem blauen Kleinwagen einfährt und mit der Musik aus dem Autoradio swingt. Der Mönch mit Sonnenbrille, die Nonne mit Rosenkranz in der Hand. Nur etwa 550 vatikanische Staatsbürger mit entsprechendem Pass gibt es. Nur 932 Menschen wohnen auf dem Gelände des Kirchenstaates - wie der Papst, sein Privatsekretär Gregor Gänswein, seine Haushälterin Ingrid Stampa, die Schweizergardisten in der Kaserne neben dem Apostolischen Palast. Der oberste vatikanische Gärtner hat es besonders schön, ist mitten im Grünen zu Hause - in einem Landhäuschen im toskanischen Stil, das sich im Schatten des Petersdomes in den Garten duckt. Lüde er Freunde zum Grillen ein, müsste er vorab die vatikanische Gendarmerie informieren, damit sie passieren dürften.

Tief hinein in den Kirchenstaat gelangt, wer an einer der nur auf Voranmeldung möglichen Führungen durch die Vatikanischen Gärten teilnimmt. Das sind weniger als 100 Menschen am Tag. Die Stille in dieser Oase mitten in Rom durchbricht nur ab und zu das Rattern eines Aufsitz-Rasenmähers oder das Geräusch eines Laubsaugers. Oder die Rufe aus einer Sittichkolonie in den Baumwipfeln, Nachkommen der letzten Überbleibsel des lange aufgegebenen vatikanischen Zoos. Sie leben in Freiheit und kehren doch meist in den Morgenstunden in diese Gärten zurück.

Gepflegte Hecken sortieren das abgeschirmte Grün in unterschiedliche Bereiche, Palmen recken sich neben Pinien und Koniferen Richtung Himmel. Immer wieder plätschern Brunnen. Still, fast feierlich ist es hier hinter den hohen Mauern des Vatikanstaats. Und sogar einen originalgetreuen Nachbau der Marienerscheinungs-Grotte von Lourdes gibt es auf dem weitläufigen Areal, in das immer wieder mächtige Gebäude hineingewürfelt sind - Klöster, vatikanische Verwaltungsgebäude und sogar ein Bahnhof, hinter dessen Pforten ein Eisenbahnwaggon wartet. Nur alle Jubeljahre fährt der Papst Zug und steigt dann hier ein und aus. "Einmal", erzählt Gartenführerin Lucia, "habe ich Benedikt ganz unverhofft hier im Park getroffen. Er stand an einem der Brunnen und plauderte mit seinem Sekretär." Meistens aber ist der Papst erst am Nachmittag hier unterwegs, wenn der Park längst wieder für Besucher gesperrt ist. Ganz oben von der Kuppel des Petersdomes aus erkennen ihn dann manchmal Besucher an seiner weißen Soutane. Sie skandieren "Benedetto" - und hoffen, dass er sie dort unten über 520 Stufen tiefer und weit entfernt hört und zurückwinkt.

Diese Aussichtsplattform ist der Ausguck mit dem besten Überblick über das kleinste Land der Welt, über das letzte absolutistische Fürstentum Europas - über einen nur 440 000 Quadratmeter großen souveränen Staat mitten in Rom. Eine immer schmalere Stiege führt zwischen innerer und äußerer Wand der Petersdomkuppel hinauf. Das Treppenhaus ist stickig, die Wände sind in Orange gefliest, und auf den letzten Metern dient nichts als ein in der Mitte herabhängendes Seil als Geländer: kein ganz einfacher Aufstieg.

Dafür ist von hier oben sogar der aus jeder anderen Perspektive verborgene Dachgarten oberhalb der päpstlichen Privatwohnung im Apostolischen Palast zu erkennen. Er war erst auf Geheiß von Johannes Paul II. angelegt worden. Welchen Vorteil es hat, im Vatikan zu wohnen? Dass es sich nicht anfühlt, als lebte man mitten in einer Großstadt. Und dass man im vatikanischen Supermarkt einkaufen darf, der nur Angestellten, Staatsbürgern und Gästen des Kirchenstaates offensteht. Was es dort gibt? Zum Beispiel päpstlichen Honig - gesammelt von den Bienenvölkern in der Sommerresidenz Castel Gandolfo etwa 30 Kilometer vor den Toren der Stadt. Nur wer schnell einen Schweizergardisten braucht, muss an den Petersplatz eilen - falls der Mann 30 Zentimeter groß und aus Plastik sein soll.

Origineller sind die Mitbringsel eine Stichstraße weiter beim vatikanischen Schneider Serpone. Purpurne Kardinals-Käppis aus dem Schaufenster kosten 30 Euro. "Wir bedienen Kardinäle, statten Bischöfe aus, nähen Soutanen", erzählt der Verkäufer. "Und es gehen viel, viel mehr dieser Käppis über den Ladentisch, als es Kirchenfürsten auf der Welt gibt."

Er reicht eine Hose in die Umkleidekammer. "Wissen Sie, wir kontrollieren nicht, wer bei uns einkauft oder welchen Rang er hat. Jeder Mönch kann ein Bischofs-Outfit erstehen. Und jeder, einfach jeder andere auch."