Ein Streifzug durchs Chinesenviertel von Bangkok bedeutet brodelnde Hektik, weise Männer in stillen Tempeln, grüne Lampions und Gold für alle Fälle

Than Ya Thon, die Gemüse- und Fischfrau mit dem großen Amulett auf der Brust, hat Erfolg gehabt in den letzten Wochen, viel Erfolg. Als Anfang Februar das unruhige Jahr des Tigers endlich abgelaufen war, hat sie viele Orangen - Symbol für Glück und Gold - auf die Wunschbäume vor dem Leng-Buai-Schrein geworfen. Es ist der älteste Tempel in Bangkoks Chinesenviertel zwischen dem Fluss der Könige und dem Markt der Diebe.

Frau Ya Thon, die einen Thai-Namen trägt, aber so chinesisch ist wie ihre Großmutter, und die nur kantonesisch spricht, hat gut gezielt mit den Orangen: Ihre Wünsche zum Auftakt des Hasen-Jahres sind schneller in Erfüllung gegangen, als sie gehofft hatte. Ganze Wagenladungen mit eingelegten Gurken und riesigen Tintenfischen hat sie an die Köche der feinen Hotels flussabwärts verkauft und fast eine Tonne getrockneten Fisch an die Landsleute im Gassengewirr von Chinatown.

Alles ist gut, alles bleibt gut in diesem Jahr. Der Hase steht in der chinesischen Astrologie für Sanftmut, Harmonie und Genuss. Frau Ya Thon, deren Familie seit mehr als 100 Jahren am Menamfluss mit Delikatessen handelt, wird sich ein neues Armband aus Gold kaufen, bei Herrn Lee auf der Yaowarat Road, einer der Hauptstraßen Chinatowns. Ein Glitzerladen reiht sich dort an den nächsten, und auf der anderen Straßenseite haben Pfandleiher so lebhaften Zulauf wie die Goldhändler in Herrn Lees Nachbarschaft. Gehen die Geschäfte gut, wird der Gewinn gern in breiten Hals- und Armreifen angelegt; läuft es nicht so gut, wird ein Teil davon versetzt.

Seit mehr als 200 Jahren leben Chinesen in diesem Teil Bangkoks, inzwischen etwas 400 000, ein Zehntel aller chinesischstämmigen Einwohner der Zehn-Millionen-Metropole. Sie sind loyale Bürger Thailands, vielfach assimiliert. In ihrer Treue zum Königshaus lassen sie sich kaum von ihren Thai-Nachbarn übertreffen. In jedem noch so kleinen Shop, in jeder Garküche und in jeder Hafenspelunke in der Nähe der Ratchawong-Pier hängen Porträts des Königspaares und nicht selten auch ein historisches Bild vom Rama V., König Chulangkorn, der um 1900 das alte Siam behutsam in die Neuzeit geführt hat. Vor fast zwölf Jahren, zum 72. Geburtstag des vergötterten Königs Rama IX, bei uns besser als Bhumibol bekannt, ließen die chinesischen Kaufleute von Bangkok ihm zu Ehren ein pompöses Eingangstor zu ihrem Viertel bauen.

Es ist eng in den Gassen von Chinatown, eng, heiß und staubig. Tuk-Tuks, stinkende und lärmende Dreirad-Taxis, und auch Händler auf schweren Motorrädern drängen sich durchs Gewimmel, beladen mit Körben voller Bambussprossen, getrockneter Fischmägen oder pinkfarbener Teigtaschen. Von einem solchen Fahrzeug oder auch mal von einem Mercedes mit getönten Scheiben an die Seite gedrückt zu werden, ist heute wohl die größte Gefahr in Chinatown.

Das war vor 50 und erst recht vor 100 Jahren reichlich anders. Von Opiumhöhlen, Spielhöllen und Bordellen berichten die Reisenden von damals in ihren Büchern. Und noch immer, so erzählen es sogar die Chinesen im Viertel, allerdings hinter vorgehaltener Hand, muss man nur nach einer rong chaa fragen, möglichst mit abgesenkter Stimme. Der Begriff meint nichts anderes als eine "Teehalle", aber dahinter verbirgt sich zuweilen, was noch vor ein paar Jahren mit grünen Lampions eindeutig auf sich aufmerksam machte: ein Freudenhaus, in dem man womöglich auch pokern oder sonst wie das Glück herausfordern kann.

Than Ya Thon, die erfolgreiche Händlerin, verlässt sich lieber auf die Vorhersagen der weisen Männer im Tempel. Das Jahr des Hasen, 4708 nach chinesischer Rechnung, wird, so haben sie es prophezeit, auch das Geldverdienen begünstigen. Außerdem, sehr wichtig für Chinesen, bringt der Hase gute Perspektiven für das Glück in der Liebe mit, und er unterstützt die Familienplanung. Da gönnt Frau Ya Thon es ihrem Mann doch nur zu gern, dass er sich bei Yong Sim, dem Apotheker an der nächsten Ecke, etwas Hirschhorn-Pulver kauft, zur liebevollen Anregung sozusagen. Vor allem aber weiß Frau Ya Thon, was sie ihren Ahnen schuldig ist. Sie wird rotes und goldenes Geld der "Anderwelt"-Bank kaufen, vielleicht noch einen Rolls-Royce aus Pappe und eine Villa aus vergoldetem Papier. Dann wird sie zum Drachen-Lotus-Schrein gehen, sie wird echtes Geld spenden im Labyrinth dieses Tempels, in dem neben Buddha auch Konfuzius und Laotse wohnen. Und sie wird die Quittung für ihre Opfergabe, zusammen mit dem Anderwelt-Geld, der "Luxuslimousine" und der Papiervilla, in einem der Kamine im Hinterhof verbrennen; mit dem Rauch wird das geteilte Glück seinen Weg zu den Ahnen finden.

Eingelegte Hühnerfüße, getrocknete Vogelnester, blinkende Hausaltäre in allen Ecken, Geisterhäuser, die die Söhne des Himmels von den Thais übernommen haben, Gewürze, Tees aus Indien, Ceylon, Japan und natürlich aus der alten Heimat, alles wird gehandelt auf der Talat Mai und der Soi Sampeng, den quirligsten Gassen des Viertels, und erst recht auf dem Diebesmarkt am Rande Chinatowns.

Längst ist dieser Basar, auf dem man früher mit etwas Glück kaufen konnte, was einem am Vortag geklaut worden war, ein "normaler" Schnäppchenmarkt geworden, gut für gebrauchte Handys und Plastikschrott aus China, für billige Seide aus Thailand und lachende Buddhas in allen Größen. Hin und wieder, auf dem Wege zum Nakhon Kasem, verlockt ein grüner Lampion über einer Tür zu einem verstohlenen Blick in eine Hinterhofkneipe. Aber meistens versteckt sich nur eine schäbige Garküche hinter der einst vielsagenden Laterne. Oder etwa doch eine "Teehalle"...?

So viel ist sicher: Chinatown, der letzte Rest vom alten Asien in der boomenden Stadt der Engel, wie Bangkoks eigentlich sehr langer Name knapp übersetzt bedeutet, birgt nach wie vor manche exotische Überraschung. Nicht immer allerdings fällt sie so spektakulär aus wie 1956. Damals, es war das Jahr des Affen, sollte ein Tempel einem Lagerhaus-Neubau der East Asiatic Company weichen. Eine Buddha-Statue musste deshalb von einem Kran geborgen und umgesetzt werden. Dabei riss ein Seil, die Statue stürzte ab, ein Stück zerbrach - und unter der Tonschicht glitzerte pures Gold, fast sechs Tonnen schwer.

Die unscheinbare Hülle hatte das Kunstwerk, das vermutlich aus der alten Hauptstadt Ayuthaya stammt, über Jahrhunderte geschützt. Jetzt steht dieser goldene Buddha im Wat Traimit, einem Tempel dicht beim China-Tor, bewacht von Brahma, einem Hindugott, dem unter einem dicken Banyanbaum im Vorhof geopfert wird. Die Grenzen des Glaubens sind fließend in diesem Viertel. Sowieso gerät in Chinatown nicht selten etwas zu Gold, was vorher gar nicht geglänzt hat. Für Frau Ya Thon, die mit Gurken und getrockneten Fischen das Familienvermögen vermehrt, ist das ganz normal.

Video: Bangkoks Chinatown