Auf dem 500 Kilometer langen Olavsweg finden die Pilger nach und nach zu sich selbst

Hape Kerkeling ist schon mal vorgegangen. Und Millionen sind ihm gefolgt. Die meisten aber nur vom Sofa aus, seinen Bestseller über den Jakobsweg in der Hand. Und doch hat der Verwandlungskünstler eine Lawine losgetreten: Pilgertouren sind seit dem Buch "Ich bin dann mal weg" nicht länger eine Domäne besonders frommer Christen, die sowieso alle Wege nach Rom, Santiago de Compostela, Lourdes oder gar ins Heilige Land kennen. Neuerdings machen sich auch aus Norddeutschland immer mehr Menschen auf die Suche nach spirituellen Kraftquellen, zum Beispiel in Norwegen.

Der Olavsweg - von der Kirchenruine in Hamar, nördlich von Oslo gelegen, zum Nidarosdom in Trondheim, der historischen Krönungskathedrale vieler norwegischer Könige - ist gut 500 Kilometer lang, zuweilen beschwerlich, über weite Strecken von atemberaubender Landschaft geprägt. Er führt über Stock und Stein, über blühende Bergwiesen, baumloses Fjell und durch wildes Wasser, Schritt für Schritt zu neuen Ufern. Die Pilger laufen grundsätzlich bei jedem Wetter. Vorweg, mit dem langen Pilgerstab in der Hand, Pastor Bernd Lohse von St. Jacobi in Hamburg. Manchmal wird über Stunden bewusst geschwiegen, dann wieder viel gelacht, gemeinsam gegessen, gemeinsam gebetet. Tag um Tag wird der Kopf freier, die Seele gestärkt. Beim religiös motivierten Meditationswandern in Norwegen, so drückt es der Pilgerpastor von St. Jacobi in Hamburg aus, wirken Natur und Geist zusammen.

Dieser Weg, benannt nach dem heilig gesprochenen König Olav II. Haraldsson (um das Jahr 1000 herum hat er gelebt und segensreich gewirkt) ist einer der traditionsreichsten Pilgerwege in Europa. Seine Ursprünge gehen auf das zwölfte Jahrhundert zurück. Vor etwa 15 Jahren haben Kirchenleute, Naturfreunde und ein norwegischer Rat für Ökophilosophie die Pilgerbewegung von einst neu belebt, 1997 wurde die erste Etappe von Kronprinz Haakon eingeweiht. Seither pilgert der Königssohn regelmäßig, im vergangenen Jahr auch nach Trondheim zum Dom, der im Mittelalter als ein "Jerusalem des Nordens" galt.

Der Funke sprang nach Hamburg über, an die Hauptkirche St. Jacobi an der Steinstraße. Pröbstin Kirsten Fehrs, Hauptpastorin an diesem Gotteshaus, das dem Patron aller Pilger geweiht ist, fand es auch deshalb an der Zeit, auf alten Wegen jene geistigen Kraftquellen anzuzapfen, nach denen sich ganz offensichtlich viele Menschen sehnen. In Pastor Lohse fand sie den aktiven Erneuerer. Er selber sieht sich, lächelnd-spöttisch, als "ersten nachreformatorischen Pilgerpastor in Hamburg". An die großen Zahlen der berühmten Pilgerpfade im Süden kann und will er nicht anknüpfen. Mehr als 16 Menschen gehen nie mit ihm auf Wanderschaft, "Klostergemeinschaften auf Zeit", nennt der sympathische Wegbereiter seine Gruppen.

Es sind Menschen, in der Mehrheit deutlich über 40 Jahre, die zu sich selber finden wollen, "nach Zielen suchen, die sie allenfalls ahnen können". Auch Franz Alt, der einst berühmte und Werte-orientierte Fernsehjournalist und immer noch hoch respektierte Moralist und Mahner, war mit Lohse unterwegs in Norwegen, "als Christ, nicht als Promi", wie der Hamburger Pastor betont, der selber gelernter Journalist ist. Franz Alt sieht im Pilgern auch die Chance, "einen neuen Aufbruch zu wagen ... weg von unserer Außen-Fixiertheit, hin ... zu einer neuen Sensibilität für die gefährdete Schöpfung."

Im protestantischen Norden ist die Pilgerbewegung "noch neu und klein", wie Pastor Lohse sagt Das Potenzial aber scheint groß zu sein; auf eine Fernsehsendung über den Olavsweg haben sich mehr als 500 Interessenten in Lohses Büro an St. Jacobi gemeldet. Und selbst zu klassischen Wallfahrtsorten der Katholiken, wie Lourdes, Altötting, Rom und vor allem im Heiligen Land, strömen seit Hape Kerkelings Buch - das mehr als hundert weitere Titel zu diesem Thema auf den Markt geschwemmt hat - "neue" Pilger.

Marktführer ist seit 1925 das Bayerische Pilgerbüro in München. Es schickt inzwischen jedes Jahr bis zu 40 000 "Suchende" auf den organisierten Weg der Erkenntnis, die meisten nach Rom und an die fernen Stätten des Alten und Neuen Testaments. Geschäftsführer Bernhard Meyer wundert sich nicht, dass in Zeiten, in denen alte Milieus und Bindungen wegbrechen, immer mehr Menschen auf spirituelle Wanderschaft gehen wollen. Dabei werden Rituale wie Pilgersegen, Gebete und Gottesdienste als Bereicherung empfunden: "Spätestens am dritten Tag ist bei uns noch jeder Wanderer zum Pilger geworden."

Das kann Jacobi-Pastor Bernd Lohse nur bestätigen: "Die gemeinsamen Andachten, das Morgengebet, das Abendmahl, die Übernachtungen auf schlichtem Matratzenlager oder in Hütten und Herbergen führen zur Basis zurück, zu anderem Denken, zu sich selbst." Dafür, so der engagierte Pilgervater, muss man nicht unbedingt durchs norwegische Gebirge oder auf dem überlaufenen Jakobsweg in Spanien unterwegs sein. Neuerdings bietet Lohse auch spirituelle Fünf-Tage-Touren von Lübeck nach Hamburg an, plant entsprechende Wanderungen in der Lüneburger Heide oder bei Ratzeburg. Und schon jetzt sehr beliebt: einmal um die Alster herum pilgern, sprachlos im Verkehrslärm, denn Pastor Lohse weiß: "Schweigen ist Balsam."

Quelle: www.liborius.de