Die Fischer vom Inle-See steuern ihre Boote mit bewundernswerter Sicherheit. Es ist still hier - und die politische Wirklichkeit weit weg.

Birma. Der Tag beginnt früh am Inle-See in Birma. In der magischen Stunde, in der die Nacht der Dämmerung weicht, mischen sich das Plätschern springender Fische und glucksende Laute fremdartiger Vögel mit buddhistischen Gesängen. Ein Lautsprecher trägt die exotischen Klänge vom Mya-Thein-Than-Kloster herüber, das wie ein Zauberschloss auf der östlichen Seeseite inmitten der grünen Berghänge liegt.

Lange bevor die Sonne die ersten Nebelschwaden auflöst, gleiten schon die Fischer in ihren Kähnen über das Wasser. Über Generationen haben die Intha, die "Leute vom See", eine Rudertechnik entwickelt, die einzigartig ist auf der Welt: Den Longyi, den traditionellen Wickelrock, über die Knie gerafft, stehen die Fischer mit einem Bein auf einer kleinen Plattform am Heck, während sie das andere um ein Ruder schlingen. So bewegen sie die Boote mit kräftigen Paddelstößen und haben gleichzeitig beide Hände frei, um ihre Netze auszuwerfen und mit dem Fang wieder einzuholen. Jeder Ungeübte würde bei diesem Balanceakt kläglich versagen und wahrscheinlich über Bord gehen. Für Touristen ist schon das Einsteigen in die flachen, motorbetriebenen Langschwanzboote eine wacklige Angelegenheit. Sitzt man dann auf einem der bis zu acht hintereinander angeordneten, mit Schwimmwesten gepolsterten Stühle und kuschelt sich in der Morgenkühle in seine Decke, möchte man erst recht nicht mit den einheimischen Wassertretern tauschen.

Der Inle-See ist ideale Zwischenstation auf der Reise von der Hafenmetropole Rangun im Südwesten Birmas ins 700 Kilometer nördlich gelegene Mandalay. Rangun, die alte Hauptstadt des heute Myanmar genannten Staates, erscheint hier weit weg - genau wie die neue: Naypyidaw, von der aus die Militärs das südostasiatische Land beherrschen, das einst britische Kolonie war und heute zu den ärmsten Asiens gehört. Und in dem Menschenrechte nicht viel gelten, wie nicht zuletzt die berühmteste Einwohnerin, Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, immer wieder erfahren musste.

Zwei bis drei Tage - mehr Zeit planen die meisten Reiseveranstalter in der Regel nicht für die Region um den Inle-See ein, das ist schade. Denn selbst mit den schnellen Langschwanzbooten können in dieser kurzen Zeit kaum alle Sehenswürdigkeiten besucht werden. Immerhin ist der von Bergen umschlossene See 22 Kilometer lang, die vielen Nebenarme nicht mitgerechnet.

Das Dorf Inpawkhon, mitten im See gelegen, steuert Reiseführerin Min Win Than regelmäßig mit ihren Gästen an. "Der Ort ist berühmt für seine Webarbeiten", erklärt sie. Dicht an dicht ragen die auf Pfählen stehenden Holzhäuser aus dem Wasser. Schon von Weitem ist das Klappern der Webstühle zu hören. Min Win Than weiß um die Sorge vieler Besucher, ihr Geld könne in falsche Hände, sprich in die des korrupten Militärregimes, geraten, das Andersdenkende verfolgt und einkerkert. "Sie unterstützen hier nur die Familien, die hier arbeiten, wenn Sie etwas kaufen", versichert sie. Während zwei japanische Teenager mithilfe eines Wörterbuchs auf dem Holzboden mit einigen greisen Einheimischen kichernd Konversation führen, zeigt eine junge Frau die Kunst der Lotosweberei. Mit geduldigen, sich hundertmal wiederholenden Bewegungen schlitzt sie die langen Stängel der Lotospflanzen auf, zieht behutsam hauchdünne Fasern heraus und legt sie zum Trocknen aus, um später daraus Fäden zu spinnen, die zu Schals verwoben werden. Der kostbare Stoff ist allerdings für Birmaner viel zu teuer und wird auf den Märkten am Seeufer gar nicht erst angeboten. In Nampan, an der südlichen Seeseite, herrscht jeden Tag ein buntes Treiben. Hunderte Boote liegen am schlammigen Ufer. Wer zu spät kommt, muss über ein halbes Dutzend Kähne klettern, um festen Boden unter die Füße zu bekommen.

Wie alle Märkte Ostasiens fasziniert auch Nampan durch Menschengewusel, fremde Gerüche und bunte Farben. An den Ständen verkaufen die Bauern des Inle-Sees ihre Erzeugnisse: Tomaten, Blumenkohl und Auberginen zum Beispiel. Die Felder liegen mitten im Wasser, das Gemüse wächst auf schwimmenden Matten, die mit Schlamm beschichtet und dann mit Bambusstangen im nur rund drei Meter tiefen See befestigt werden. Schmale Wasserstraßen durchziehen wie ein Labyrinth die dümpelnden Beete. Fast könnte man den Inle-See für ein Öko-Paradies halten. Doch leider haben die Intensivierung der Landwirtschaft und der wachsende Tourismus dem Biotop bereits stark zugesetzt.

Umweltschutz ist für die Bevölkerung Birmas noch kein großes Thema. Mit den Folgen wird der Besucher konfrontiert, wenn er nach einer Bootsfahrt auf dem 30 Kilometer langen Belu-Kanal, der den Inle-See im Süden mit einem Stausee verbindet, durch das Dorf Sagar schlendert. Ob im Kloster der Gemeinde oder vor dem verfallenen Teakholztempel - überall liegt achtlos weggeworfener Plastikmüll. Da wird auch die Hamburger Reisegruppe nachdenklich, die eben noch zur Freude der Kinder auf dem Pausenhof der Grundschule Gummibärchen verteilt hat. Die leeren Tüten made in Germany liegen im Staub der Dorfstraße.

Die einheimischen Gastronomiebetriebe sind da schon weiter. Mit Porzellangeschirr und Gläsern decken zwei Köche stilvoll in einem Anbau neben der Tharkong Pagode den Tisch für das Lunch. Die Tempelanlage mit liegender Buddha-Figur und filigranem Kuppelwald der Stupas liegt gegenüber von Sagar, auf der anderen Kanalseite. Ein Windhauch vertreibt die Mittagshitze und bringt die Glöckchen in den Spitzen der Stupas zum Bimmeln. Man blickt hinüber zu den grünen Shanbergen und genießt diesen verwunschenen Ort, bis Win Min Than zum Aufbruch ruft. Der Rückweg ist lang.

Als das Boot den Nordteil des Sees erreicht, ist es empfindlich kühl geworden. Überraschend schnell bricht die Abenddämmerung herein. Ruhig liegt der See zwischen den schwarzen Bergmassiven. Nur einige Einbeinruderer paddeln noch im letzten, rasch schwindenden Licht ihren Dörfern entgegen.