Im Norden der Insel gibt es bizarre Felsformationen wie den Elefantenfelsen, und in rustikalen Unterkünften bekommt man Spanferkel serviert.

Manche Besucher aus Übersee unterwerfen sich straffen Terminkalendern, um in einer knappen Woche möglichst viele Staaten Europas zu bereisen. Kaum einer solcher ehrgeizigen Europareisenden weiß wahrscheinlich, dass er fast alle diese Landschaften auch an einem Fleck haben könnte, komprimiert auf etwa 100 Kilometer zwischen Porto Torres und Santa Teresa di Gallura an der Nordküste Sardiniens.

Eine Reise entlang der Küste führt durch weite Ebenen, vorbei an knorrigen Korkeichenwäldern. Es geht hinauf in nadelgrüne Kühle, wieder abwärts auf das Schlachtfeld einer Armee von Riesen und immer wieder ans türkisfarbene Wasser des Mittelmeers. Nordsardinien in sechs Tagen, das ist möglich, besser sind zehn Tage. Es gibt eine Autobahn, aber sie führt von der Nordküste weg. Eine Eisenbahn zuckelt langsam in Küstennähe. Es bietet sich also an, ein Auto zu mieten und sich dem Rhythmus anzupassen.

Porto Torres, westlichste Stadt der Küste, eignet sich als Fixpunkt auf der Karte, nicht aber für einen längeren Aufenthalt: Einst bedeutender Hafen, wurden hier nach dem Zweiten Weltkrieg petrochemische Fabriken hochgezogen. Urlauber fahren schnell weiter, ein Stück nach Westen, wo die Küste sich in Richtung Korsika krümmt.

Der Weg gleicht einer Tour durch die norddeutsche Tiefebene, so flach wirkt die Halbinsel. So steif auch die Brise, die hier Maestrale heißt. Kein Sylter wird aber behaupten, seine Insel habe einen Strand wie die Spiaggia della Pelosa kurz hinter Stintino zu bieten. Auf dem grellweißen Sand aalen sich Urlauber vom italienischen Festland, das Meer ist makellos, mal türkis, mal azurblau, umso dunkler, je steiniger der Grund. Um die Felsbrocken schwimmen Fische, gelb gestreifte Einzelgänger ebenso wie blasse Hundertschaften im Schwarm. Geduldige Schnorchler dürfen auf den Anblick eines Kraken hoffen, eines kleinen natürlich, der rasch unter einen Felsbrocken flieht.

Der Rückweg führt vorbei am grauen Porto Torres immer an der Küste entlang, die auf dem Weg nach Castelsardo bald jäh abfällt, während zur Rechten die Macchia wuchert, Büsche von Wacholder, Lavendel und Ginster. Castelsardo ist der touristischste Ort der Nordküste, wahrscheinlich auch der schönste, mit seiner sandfarbenen Burg hoch oben. Darunter klammern sich ocker-, beige- und roséfarbene Häusern an den Fels. Die Wellen führen sich hier so patzig auf, als schlügen sie an die Atlantikküste. Ein Wall aus rostroten Felsbrocken schützt den kleinen Stadtstrand vor ihnen. Oben auf den Zinnen der genuesischen Festung kühlen Eis und Wind. Auf die Idee, dass die Aussicht 114 Meter über dem Meer grandios sein könnte, kommen viele Urlauber, und so trifft man auf dem Weg durch die Gässchen hinauf zum Panoramablick diverse Mitbesucher. Bei Sonnenschein sieht man auf der anderen Seite der Meerenge Korsika.

Castelsardo und die umliegenden Dörfer liegen etwa auf halber Strecke zwischen Stintino und Santa Teresa. Wer nicht jeden Tag weiterziehen möchte, sollte sich hier eine Unterkunft suchen. Das benachbarte Lu Bagnu ist wenig spektakulär, aber günstiger und mit einem beinahe durchgehenden Strand gesegnet. Eine Alternative sind die Agriturismi, über die Insel verstreute Bauernhöfe mit angeschlossener Herberge. Dort lernen Besucher die sardische Küche kennen, zum Beispiel Porceddu, ein Spanferkel, das bei geringer Hitze geröstet wird, bis ihm die Haut platzt - eine Mahlzeit, die mindestens zwei Esser und eine Reservierung erfordert. Wen allzu Süßes nicht abschreckt, der kippt hinterher einen Mirto, einen Likör aus den Früchten der Myrthe.

Eine Abzweigung führt von Castelsardo ins Landesinnere, am Ortsausgang gibt ein Vulkansteinbrocken in Form eines Elefanten eine Ahnung von der Landschaft namens Gallura, die bald beginnen wird. La Roccia dell'Elefante ist eine Kostprobe des felsigen Kerns der Insel. Keine 30 Kilometer Luftlinie vom Mittelmeer entfernt, in Richtung Tempio Pausania, geht es bergauf, über 500 Höhenmeter und durch das Städtchen hindurch, das nichts Mediterranes mehr hat, sondern ebenso die erste italienische Siedlung nach einer Alpenquerung sein könnte, grau, steinern und hoch. Und Tempio liegt nur am Fuß des 1359 Meter hohen Monte Limbara.

Die Wanderwege zum Gipfel sind ausgeschildert. Es ist auch reizvoll, sich mit dem Auto hochzuschlängeln. Innerhalb einer Viertelstunde ist man im Hochgebirge: Lärchen statt Pinien, Serpentine statt Corniche, kühle Frische statt Sommerhitze. Wanderer picknicken auf Holzbänken oder, weiter oben, auf rohen Felsen. Ein Stück würziger Schafs-Pecorino sollte dafür im Rucksack stecken, zusammen mit einer Flasche vom sardischen Roten der Sorte Cannonau. Von hier geht es in alle Richtungen nur bergab, sehr wahrscheinlich durch einen Korkeichenwald. Die Gegend um Tempio Pausania deckt vier Fünftel von Italiens Korkenverbrauch. Die Wälder sind üppiger als ein Olivenhain, aber fußgängerfreundlich frei von Unterholz. Die knorrigen Bäume sehen kurios aus, wenn ihre Rinde zur Hälfte geerntet ist und sie sich unten rotbraun und nackt, oben runzlig und grau zeigen. Inmitten eines solchen Walds, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Tempio Pausania, liegt Li Licci, ein rosa getünchter Agriturismo mit renommierter Küche. Empfehlenswert: die Zuppa Gallurese, ihrem Namen zum Trotz mehr Auflauf denn Suppe, schichtweise gestapelt aus Weißbrot und Frischkäse, in Rinderbrühe, gewürzt und im Ofen überbacken.

Aus dem Hinterland führt die Strada Statale 133 nach Norden in Richtung Küste. Unterwegs liegt das Valle della Luna, ein Trümmerfeld, in dem die Insel ihre südliche Leichtigkeit verliert. Staubtrockene Ebene ist von gedrungenen Bäumen und Macchia bewachsen. Hausgroße Felsblöcke sind im Tal verstreut, als hätten Riesen sie aus den Bergen gerissen und ins Tal herabgeschleudert. Prächtig sind die Strände zwischen Vignola Mare und Santa Teresa di Gallura, wo die Küste nicht mehr schroff abfällt, sondern Dünen von der Landstraße zum Sand hinunterfließen. Wenige Kilometer weiter, an der Nordspitze der Insel, thront das Städtchen Santa Teresa di Gallura über einer Bucht. Es gibt einen kleinen Yachthafen, die Piazza ist gesäumt von einem Palazzo und zahlreichen Cafés. An Markttagen sind sie besetzt von Korsen, die zum Einkaufen übersetzen.

Hinter Santa Teresa zerfällt die Küste in zahllose Inseln und Buchten, bevor sie ostwärts zur Costa Smeralda wird, dem sardischen Jet-Set-Zoo. Klug ist, wer jetzt umdreht und in der Dämmerung zurück in Richtung Castelsardo fährt - weil die Stadt und ihre Burg nachts in die dunklen Hügel strahlen und weil dies der Weg zurück ins ausgeruhte Landstraßen-Sardinien ist.