Kolumbien hat mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Aber es gibt auch eine junge, kreative Seite - eine Rundreise

Autos in Himmelblau, Knallrot oder Leuchtgelb wechseln die Fahrbahn, ohne zu blinken. Einige bremsen erst in letzter Minute haarscharf ab. Es gibt viele Autos, aber wenige Lücken, um sich einzufädeln auf der breiten Hauptstraße, dazu eindrucksvolle Hupkonzerte. Willkommen in Kolumbien.

Unser Kleinbus kämpft sich durch die Rushhour von Bogotá, täglicher Wahnsinn auf der carrera Séptima, einer Hauptverkehrsader in Richtung Norden. "Todos los dias Bogotá cambia", steht auf einem Werbeschild am Straßenrand. Der Spruch sagt das aus, was man derzeit an jeder Ecke der Hauptstadt sieht und spürt: Die Stadt verändert sich und wächst jeden Tag.

Kolumbien in einer Woche zu erkunden ist ein ehrgeiziges Ziel. Vor uns liegt eine Kurz-Rundreise in dem südamerikanischen Land mit schillerndem Image, ein Land, mit dem viele eher Guerillakämpfe, Armut und Drogen assoziierten als entspannten Urlaub. "Dieses Bild von Kolumbien ist leider bei vielen Menschen präsent, aber das Land hat auch andere Seiten, es hat viel zu bieten, beispielsweise Kolonialbauten und viel unberührte Natur", sagt Antonio, genannt Tony, unser Guide. Der 28-jährige Deutsch-Kolumbianer ist Flugzeug-Ingenieur, zweisprachig aufgewachsen. Hamburg? "Meine Perle", sagt er und lächelt. In Hamburg hat er studiert und zehn Jahre gelebt. Bei Airbus arbeitete er vier Jahre lang. "Ich liebe Hamburg, die Elbe, vor allem den FC St. Pauli", sagt er. Seit einem Jahr lebt Tony in Bogotá. Seine Frau ist Deutsch-Bolivianerin, er hat sie in Hamburg kennengelernt. Sie ist Lehrerin, Tony betreut Touristen-Projekte.

Kaum hat man die Großstadt hinter sich gelassen, werden die Straßen schlechter, die Häuser kleiner, die Landschaft grün und hügelig. Zipaquirá, unser erstes Ziel, liegt auf 2630 Meter Höhe. Ein Ort, an dem indianische Geschichte zu spüren ist, und der bekannt ist für seine unterirdische Salzkathedrale, die größte ihrer Art der Welt. Die Kirche befindet sich in einer Salzmine. Naturforscher Alexander von Humboldt besichtigte im Jahr 1801 das Bergwerk, noch heute arbeiten Bergleute dort. "Sie kommen jeden Tag, um zu beten", sagt Tony. Die erste Kathedrale wurde 1954 eröffnet, aber 1992 wegen Einsturzgefahr geschlossen. Seit 1995 ist die neue Salzkathedrale für die Öffentlichkeit zugänglich - dreischiffig, 120 Meter lang, ein mystischer Ort.

In mehreren Ebenen gelangt man hinab zur Kirche, vorbei an Felswänden aus Salz. Kristalle schimmern, Feuchtigkeit steigt auf. Tausende Pilger und Touristen kommen allein in der "Semana Santa", der heiligen Woche, hierher, um die österliche Messe zu feiern. Beten tief unter der Erde, mehr als 300 Menschen haben hier Platz. In einem Souvenirshop gibt es La Catedral de Sal in allen Formen und Größen, in Plastik oder Stein, für ein paar Pesos.

Zurück im Tageslicht: Die Altstadt von Zipaquirá ist geprägt vom Kolonialstil. Weiß getünchte Häuser mit großen Balkonen säumen die Gassen, trotz der Höhe sorgt die Mittagssonne für 20 Grad Celsius. Auf dem Hauptplatz, der Plaza de los Comuneros, wo einst Aufständische kämpften, kuscheln Pärchen und dösen Rentner auf Bänken. Händler bieten auf Klapptischen mit Sonnenschirmen Eis und Früchte an. Pedro, 50, ist mittags mit seinem Eis-Fahrrad hier. "Man trifft sich zum Plaudern, und hier sind auch viele Touristen", sagt er.

So wie in Zipaquirá sieht es auch in Chiquinquirá aus, unser nächster Halt weiter Richtung Norden. "Ort der Priester", heißt er in der Sprache des Ur-Stammes Muisca, ein Wallfahrtsort für Pilger, die kommen, um der Schutzheiligen von Kolumbien zu danken.

Besonders schön herausgeputzt wirkt Villa de Leyva, vier Autostunden von Bogotá entfernt, ein malerischer Ort eingebettet in Gebirgskulisse. In Hinterhöfen blühen Oleander und Bougainvillea, kopfsteingepflasterte Gässchen, Häuser aus Kalkstein mit Holzbalkonen, und mittendrin ein Platz, der zur Fiesta einlädt. Regisseur Werner Herzog drehte hier Teile des Films "Cobra Verde" mit Klaus Kinski. In einer Bar am Dorfplatz spielte bis zu seinem Tode im Jahr 2006 jeden Abend Bill Lynn, der frühere Schlagzeuger von Ray Charles und Elvis Presley. Wenn die Dämmerung einbricht, gehen die Laternen an und tauchen Dörfer wie Villa de Leyva oder Salento in warmes Licht - Farbenspiele zum Träumen.

Am nächsten Tag ruft Arbeit in der Kaffeeplantage von Bosque del Samán, knapp eine Flugstunde von Bogotá entfernt - mit dem Auto hätten wir zehn Stunden gebraucht. Die "Kaffeezone", wie das Gebiet genannt wird, ist Programm: Einige Kilometer von der Stadt Armenia entfernt stapfen wir durch die Felder, um Kaffeebohnen zu pflücken. Kolumbien ist der viertgrößte Kaffee-Produzent der Welt und größtes Erzeugerland der Arabica-Bohne. "Ihr müsst den Korb voll machen", sagt Vorarbeiter Uriel Jimenez, 49. Dicht stehen die Kaffeesträucher beieinander, es ist eine Kunst, sich durch die Pfade im Dickicht zu kämpfen. "Bitte nicht grüne, sondern rote Früchte pflücken, nur die sind reif", erklärt uns Uriel Jimenez.

In knapp 1440 Meter Höhe und bei stickigen 27 Grad wird der Pflück-Job zur sportlichen Herausforderung. Die Arbeiter beginnen um 5.30 Uhr und pflücken bis nachmittags. In dieser Zeit sammelt eine Person bis zu 220 Kilogramm in die Körbe. Die Bohnen werden sortiert, platt gewalzt, geröstet und der Kaffee uns in der Tasse heiß serviert. Auch Touristen, die sich als Pflücker probieren wollen, können auf einer Finca übernachten.

Von der Plantage fahren wir mit Jeeps ins Cocora Tal. Dort satteln wir auf Pferde um und erkunden Kolumbien weiter. Wir reiten durch Bäche, über Stock und Stein, hinauf in die Nebelwälder. An der Graszone wachsen die palmas de cera, die Cera-Wachspalmen. Wie Riesen ragen sie hervor, bis zu 60 Meter hoch. Sie zählen zu den höchsten Palmen der Welt und sind die Nationalbäume Kolumbiens.

Unterirdische Salzkirche, Kaffeeplantagen, Nebelwald - es sind solche Kontraste, die das südamerikanische Land prägen und es zum Geheimtipp unter Kultur- und Naturfreunden machen. 1,4 Millionen Besucher kamen im vergangenen Jahr nach Kolumbien, nur 29 000 aus Deutschland. Es gibt noch viel zu tun: "Der Tourismus soll gefördert werden, vor allem das Straßennetz muss ausgebaut werden, die Infrastruktur", sagt Guide Tony.

Zum Abschluss noch ein Abstecher in die Karibik: Wir fliegen nach Cartagena de Indias im Norden. Tony ist unweit von hier, in Barranquilla, aufgewachsen, von dort stammt auch Pop-Ikone Shakira. Cartagena ist eine Mischung aus Miami-Flair und karibischer Lebensfreude mit Salsa. Das Herz ist die Altstadt, die seit 1984 zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. Cartagena kompakt, Eindrücke im Eiltempo: die prächtige Festung, Altstadtgassen mit Kolonialhäuschen - und nebenan locken die karibischen Inseln.

Zurück nach Bogotá. Das Gold-Museum sollte man erlebt haben, das Zentrum mit dem Palast, auch den Blick vom Berg Monserrate aus 3100 Meter Höhe auf die Stadt. Durch das hippe Künstler-Viertel sind wir zur Seilbahn gewandert, die uns hinaufgefahren hat. Auch das ist Kolumbien, jung, kreativ und voller Aufbruchstimmung.

Unser Fazit: Wer die gefährlichen "No-go-Areas" meidet, wo Guerillas und Drogenhändler agieren, kann bei normaler Vorsicht an den Touristenorten unbesorgt sein. Gastfreundschaft dominiert dort, aufdringliche Straßenhändler haben wir nicht erlebt. Und die "Malicia indigena", das kolumbianische Lebensmotto, das Leben irgendwie mit Raffinesse zu meistern, bleibt uns im Gedächtnis. Ein Stück südamerikanische Gelassenheit. Für alle Fälle.