Spätestens seit dem Erfolg von “Easy Rider“ vor gut 40 Jahren träumen Motorradfahrer von einer Harley-Tour durch den Westen der USA

Los Angeles, in der Nähe des Flughafens: Laura und Mike prüfen die Leihverträge, streifen die Motorradjacken über, rücken die Helme in die rechte Position und checken die Harleys auf Kratzer. Eine Routinehandlung, die sich täglich zigmal in der EagleRider-Station, dem mit 3500 Motorrädern größten Harley-Verleih der USA, wiederholt. Und dennoch ist sie für viele Biker der erregende Auftakt zu einer Tour, von der sie seit vielen Jahren geträumt und für die sie emsig gespart haben. Einmal im Leben wie Wyatt und Billy, die beiden Protagonisten des Films "Easy Rider", völlig unbeschwert von LA aus durch die endlosen Weiten und grandiosen Naturschönheiten der Wüstenregionen des Westens zu röhren, den Alltag abzustreifen und das Gefühl der Freiheit mit dem Fahrtwind zu inhalieren.

Ein Druck auf den Starter, ein Kick auf die Gangschaltung und schon setzt sich die 1,6-Liter-Maschine mit dumpfem Knattern in Bewegung. Die Fahrer könnten unterschiedlicher kaum sein: Die junge Frau mit frechem Zopf neben dem Rauschebart, der erfahrene Biker neben dem Wiederanfänger, der mehr als 20 Jahre kein Motorrad angerührt hat. Vom renitenten Autoverweigerer bis zum Gelegenheitsfahrer reicht das Spektrum derer, die für eine, zwei oder drei Wochen ein zünftiges Biker-Outfit überstreifen und sich vom Alltag verabschieden. Getrieben von der Sehnsucht nach Weite, nach frischem Wind, der am Körper zerrt, nach dem einmaligen Gefühl von Motorpower und dem Hunger auf Abenteuer. Routinierte Fahrer starten auf eigene Faust, gesellige Typen ziehen eine geführte Tour vor.

Laura und Mike sind Tour-Guides bei Eagle Rider. Sie begleiten Gruppen durch die Nationalparks und Wüstenregionen von Kalifornien, Nevada, Arizona und Utah. Seit etwa einem Jahr haben sie aus ihrem Hobby einen Beruf gemacht, genießen jede Meile auf ihren schweren, aber äußerst komfortablen Maschinen und tun alles, damit sich jeder Biker ihrer "Gang auf Zeit" rundum wohlfühlt. Vom Nachtanken bis zum Einchecken im Hotel nach jeder Tagesetappe kümmern sie sich um alles, sodass man sich auf der Tour voll auf den Fahrgenuss konzentrieren kann. Selbst in Utah zu Hause, kennen sie die spektakulärsten Aussichten, die außergewöhnlichsten Bikerstopps und viele charismatische Landsleute auf dem Weg, der zum Ziel wird.

Auf der ersten Tagesetappe macht sich jeder Teilnehmer mit seiner Maschine vertraut. Der Twin-Cam-96-Motor verleiht der Road King mit einem Drehmoment von 131 Nm bei gerade mal 3500 U/min. einen erstaunlich ruhigen Gang und meistert die unterschiedlichsten Fahrbedingungen von der Großstadt über den Highway bis zur verkehrsarmen Landstraße bestens.

Unerwartet entspannt steigen die Asphalt-Cowboys selbst nach über 300 Kilometern in Palm Springs aus den bequemen Sätteln, klopfen ihre staubigen Jeans ab und genehmigen sich einen Drink aus der eisgekühlten Bier-Thermobox. Nach einer erfrischenden Dusche geht's ab zum Edelitaliener, der die Bikergruppe genauso zuvorkommend versorgt wie einst Frank Sinatra. Von Laura angestachelt, unterhält Besitzer Vince Costa die Gruppe mit kurzweiligen Geschichten über das Rat Pack, das er einst mit seiner Kochkunst verwöhnte. Er kennt die Stars aus Film- und Showbusiness und könnte sicher noch Stunden über Stunden weiterplaudern, doch irgendwann schlägt die Müdigkeit zu und treibt die Biker in die Betten.

Schon auf der zweiten Tagesetappe entwickelt sich aus der zufällig zusammengewürfelten Motorradgruppe eine verschworene "Bikergang". Kippt mal beim Parken im losen Sand eine der schweren Maschinen um, so richten helfende Hände das 368-Kilo-Paket sofort wieder auf. Vor der bizarren Kulisse des "Joshua Tree National Park" fotografiert man sich gegenseitig, teilt Sonnencreme und kaltes Wasser. Die fehlende Kommunikation während der Fahrt wird durch angeregte Gespräche auf den Zwischenstopps kompensiert. Und in der Spielerstadt Laughlin bleibt am Abend genügend Zeit, um sich besser kennenzulernen. Gemeinsamer Jubel wird unterwegs beim Erreichen der "Route 66" in Amboy laut.

Weiter geht es am Folgetag auf der einst wichtigsten Ost-West-Verbindungsstraße der USA, wobei schräge Bikerstopps wie das "Roadkill Cafe" in Seligman für Abwechslung sorgen. "You bring it warm, we serve it hot" (Sie bringen Ihre Verkehrsopfer noch warm von der Straße, wir servieren sie Ihnen heiß), verheißt ein Schild am Eingang, und die Menüvorschläge, wie "Steaks von der verschlissenen Bremse", "Der unglückliche Bock" oder "Das Hühnchen, das fast die Straße überquert hätte" sind noch immer von dem derben Humor geprägt, der einst im "Wilden Westen" herrschte.

Beim Sonnenuntergang an der 30 Kilometer breiten Schlucht des Grand Canyon können sich selbst die hartgesottensten Biker nur schwer romantischer Gefühle erwehren. Am Rande des Canyons in Gedanken versunken, saugt jeder begierig die Atmosphäre des Augenblicks in sich auf. Am nächsten Tag gestatten Zwischenstopps an den schönsten Aussichtspunkten einen Eindruck von den Dimensionen dieses Naturwunders. Das Etappenziel dieses Tages heißt "Lake Powell Resort und Marina", wo die Gruppe inmitten der Wüsten Arizonas und Utahs ein Abend auf einem Hausboot erwartet. Der durch den Glen Canyon Damm angestaute Colorado ließ hier den zweitgrößten Stausee der USA entstehen. Mike macht beim Abendessen keinen Hehl daraus, dass er mit der Bikertruppe zufrieden ist. Überhaupt mag er die Deutschen, die mit etwa 40 Prozent den größten Teil der Kundschaft ausmachen. "Die Germans fallen auf den Touren nie aus dem Rahmen, fahren verantwortungsbewusst und vermeiden unbedachte Aktionen", lobt er seine Klientel. Und dann erzählt er Geschichten, wie von dem deutschen Paar, dessen Sohn daheim bei einem Motorradunfall das Leben verlor. Seinen sehnlichsten Wunsch, einmal durch den mittleren Westen zu fahren, erfüllten die Eltern als Hommage.

Mit spektakulären Aussichten wird die Bikergruppe auf der nächsten Tagesetappe verwöhnt. Am Rande der Vermillion Cliffs wechseln Bergketten und Canyons einander ab. Von der Navajo-Brücke über den Colorado lassen sich winzig kleine Boote ausmachen, die auf einer Rafting-Tour durch den Grand Canyon unterwegs sind. Navajos verkaufen an kleinen Ständen tollen Schmuck, sodass an ein Vorbeifahren nicht zu denken ist. Dann geht es weiter durch die gelb und rot strahlenden Sandsteinmonolithen des "Red Canyon" bis zum "Bryce Canyon Nationalpark". Nach jeder Biegung wartet Mutter Natur mit neuen Überraschungen auf. Das durch ockerfarbene Türme und Schluchten führende bizarre Labyrinth kleiner Wanderpfade im Bryce Canyon führt schließlich zum Tabubruch. Erstmals werden die Harleys am Rande der Schlucht zurückgelassen, und es geht zu Fuß auf Erkundung durch die eigentümliche Welt aus Sand und Stein.

Etwas schwermütig steigen die Asphalt-Cowboys am nächsten Morgen auf die Motorradsättel. Keiner will sich so recht damit abfinden, dass bereits der letzte Tag der Tour bevorsteht. Noch einmal geht es durch den Red Canyon, werden Erinnerungsfotos geschossen und mit Ehrfurcht die Naturwunder bestaunt. Eine kurze Tour durch den "Zion National Park" ist der Abschied von der außerordentlichen Schönheit der Berg- und Canyonwelt des amerikanischen Westens. Auf der Interstate geht es mit 130 Stundenkilometern nach "Sin City". Mit einer Fahrt über den Strip in Las Vegas findet hier die Tour ein Ende. Ein letztes Highlight wartet im "Harley Davidson Cafe" am Strip. Hier steht das Double der Maschine, die Peter Fonda in "Easy Rider" gefahren ist. Ein Foto darauf sitzend ist der krönende Abschluss einer Tour, die man sicher nie vergessen wird. Manche Träume muss man sich einfach erfüllen.

Impressionen: Bike-Tour durch den Westen der USA