Ein Familienurlaub in den Bergen - ohne Web, Handy, Wii, Playstation, KiKa & Co. So lernt man, der Stille der Natur mal ganz genau zuzuhören

Ganz egal, wo es hingeht, angeblich ist Kindern in den Ferien die Zeit, die sie mit den Eltern verbringen, am wichtigsten. Die jüngste Studie, die das behauptet, stammt vom Online-Reisebüro Expedia. Leider wurde nicht erforscht, wie diese gemeinsame Zeit verbracht wird. Miteinander? Oder nur nebeneinander? Was wäre, wenn in den Ferien nicht dauernd Handy, E-Mails, iPod oder Nintendo Aufmerksamkeit raubte und uns voneinander ablenken würde?

In den USA werben bereits netzfreie Hotels mit Internetsabbaticals. Wer dagegen in Europa nicht gerade die Karpaten als Ferienziel anvisiert, muss nach einem "Tal der Ahnungslosen" lange suchen. In den Südtiroler Bergen, im Schliniger Tal, werde ich schließlich fündig. Ich rufe im "Hotel Edelweiß" an: "Sie haben wirklich kein Handynetz?" - "Im ganzen Ort nicht. Wenn Sie wollen, bekommen Sie auch ein Zimmer ohne Fernseher." Ich buche sofort, ohne wie sonst die digitale Welt zu bemühen für Fotos, Lageplan, Holidaycheck. Die Frau am Telefon klang einfach nett. Ein erster Entwöhnungsschritt?

Meine beiden Töchter halten mich für bekloppt, als ich sie bitte, ihre MP3-Player zu Hause zu lassen, schließlich müssen sie schon auf die Teenieserie im Vorabendprogramm verzichten. Katharina ist 18, frisch verliebt und gewohnt, stündlich ihre Nachrichten zu checken. Lynn, 10, hat gerade entdeckt, dass man mit Freundinnen, die zwei Häuser weiter wohnen, auch chatten kann, und beklagt sich täglich, dass ich ihr immer noch ein eigenes Handy verweigere.

Hinter dem Reschenpass, am Rande des Obervinschgaus, schrauben wir uns nach Schlinig hinauf. Wir schauen auf die Handy-Displays. Serpentine Nummer drei, das iPhone des Fotografen versagt. Ab Nummer fünf hat Nokia keinen Empfang mehr. Katharinas Aldi-Handy hält am längsten durch. Am "Hotel Gerstl" ist Schluss. Wir rufen uns gegenseitig an. Kein Signal, nichts. Wir fühlen uns ein bisschen verloren. Weiß eigentlich jemand, wo wir sind? Wie wird das Wetter morgen? Keine App hilft. Zurück in die Steinzeit.

Ein Zwiebelkirchturm, zwei Gasthäuser, 30 Bauernhöfe, Gemeindehaus, Feuerwehr, eine Bushaltestelle und 120 Einwohner. Hühner rennen durchs Dorf, Kuhglocken bimmeln, Bäche rauschen. Schilder weisen zur Sesvennahütte, zur Uinaschlucht und zur Sennerei "Alp Planbell", es gibt also Fluchtmöglichkeiten. Die fernseherlosen "Edelweiß"-Zimmer liegen nicht im Neubau, sondern über der Küche des Stammhauses: Siebzigerjahre-Alpencharme mit Holzvertäfelung, Rauchglaslampen und Gulaschgeruch. Kein Föhn, aber eine Leselampe, hell genug, um die missmutigen Gesichter der Kinder zu sehen. Wie fast immer im Familienleben rettet ein großes Eis die Stimmung. Alexandra Peer serviert Riesenbecher samt Waffel. Sie ist 20, schmeißt die Pension zusammen mit ihrer Mutter. Heute gähnt sie, sie war gestern aus, mit den knapp 20 anderen Schlinigern zwischen 18 und 25. Das Bustaxi fährt sie jeden Freitag in die Disco nach St. Valentin. Wie sie sich verabreden würden? "Mit dem Telefon." - "Ach so, Festnetz", murmelt Katharina. "Und was ist das da?", sie zeigt auf ein Handy auf dem Fensterbrett. "Manchmal ist dort Empfang, bei Sonnenschein." Handyecke statt Herrgottswinkel - Schlinig ist also nicht so von gestern, wie ich hoffte. Zum Glück hängen dichte Wolken über dem Tal. Beim Abendessen meine ich immer wieder, mein Handy zu hören. Phantomklingeln.

"Was machen wir jetzt?", fragt Lynn am nächsten Morgen. Spazieren gehen. Lynn gähnt. Bach aufstauen. Lynn schaut mich an. Pilze suchen. Sie verdreht die Augen. Auf die Alm gehen und schauen, ob wir Empfang haben? Die Mädchen strahlen. Netzsuche als Aufstiegshilfe. Man sollte Ferien dieser Art nicht planen, wenn man ein Handy gewohnt ist, das einem fast alles abnimmt. Das geparkte Autos wiederfindet, Wetter vorhersagt und 24 Stunden mit dem Internet verbindet. Wann habe ich das letzte Mal eine Landkarte benutzt? Wir brauchen eine Weile, bis wir den richtigen Weg finden. Lynn sammelt Grashüpfer, Katharina streichelt Kälber, die neugierig am Zaun stehen. Wir laufen Arm in Arm, rasen einfach los, lassen uns die Hügel hinunterkugeln. Wir reden, die Mädchen über Facebook, ich über die gute Luft, das Panorama - Ortler, Fernerkopf, Piz Rims. Der Himmel hat sich aufgehellt. Wir trinken aus Bächen, lümmeln zwischen Latschenkiefern, beobachten Murmeltiere. "Ganz schön still hier", sagt Katharina. "Einfach nichts", flüstert Lynn. Ein Mountainbiker schnauft vorüber. "Der hat's aber eilig", sagt Katharina.

Beim Kaiserschmarrn auf der Schliniger Alm "Alp Planbell" kommen wir mit dem Senner Rudolph Brunner ins Gespräch. Dreimal muss er die 66 Kühe melken, bis er genug Milch für seinen 1250-Liter-Topf beisammen hat, der 70 Kilo Käse ergibt. Jeden Tag steht er um halb vier auf, geht morgens und abends in den Stall. Anfangs wird jeden zweiten Tag "gekast", wie Rudolph sagt, müssen die Käselaiber gebürstet und gedreht werden. Am Ende des Sommers kann er knapp eine Tonne Käse an die Bauern in Schlinig und in den Nachbartälern liefern, deren Kühe die Milch geben. Den ganzen Sommer ist er auf dem Berg. Die Kinder stutzen. "Fünf Monate ohne Handy und Fernsehen? Wahnsinn."

Wir wandern weiter, hinauf zur Sesvennahütte, eine Stunde Weg, ganz schön steil. Eine Gruppe italienischer Wanderer kommt uns entgegen, die Handys mit langen Armen in den Himmel gereckt, auf der Suche nach Empfang. Sie schlagen Haken, stolpern herum. "Handytanz", sagt Lynn lakonisch. "Voll peinlich." Auf der Hütte - es gibt Frittatensuppe - findet Katharina den Handy-Winkel auf Anhieb, auf dem Regal hinterm Tresen. Klingelt eines, raunt der ganze Saal. "Wer war'n dran?" Im normalen Leben verschwindet, wer angerufen wird, aus der Runde. Hier ist jedes Klingeln, jede SMS, die durchkommt, ein öffentliches Ereignis. Zwei junge Brüder bewirtschaften die Hütte, sie tragen coole T-Shirts, hören Bob Dylan. "Handys hier heroben? Wir sind ganz froh, dass unsere fast nie gehen", sagt Andreas Pobitzer. "Was sollt' ich auf dem Berg, wenn ich gar nicht weg sein will von allem?" Katharinas Handy vibriert - Enttäuschung: Es ist keine Freundin, die nahe Schweiz begrüßt sie im lokalen Telefonnetz.

Beim Abendessen im "Edelweiß" die große Krise. Die Mädchen langweilen sich. Katharina schimpft "Endscheiße" und wirft ihr Telefon auf den Boden. Lynn hat meinen mitgeschmuggelten iPod entdeckt und leergehört: "Du. Hast. Kein. Aufladekabel. Mit. Mama?" Vor Wut bekommt sie Schnappatmung und verschwindet aufs Zimmer. "Morgen gehen wir keinen Schritt! Ich schwör's", ruft Katharina und rennt hinterher. Ich schlendere ins Büro der Hotelchefin, die mich an ihren Computer lässt. Nur schnell im Internet den Wetterbericht prüfen. Nachrichten gucken. Und Mails lesen. Als ich mit schlechtem Gewissen ins Zimmer komme, freue ich mich, dass die Mädchen schlauer waren. Sie haben sich eine Höhle aus Decken und Kissen gebaut, darin schläft Lynn zufrieden. Katharina genießt die Badewanne, den guten Joghurt vom "Edelweiß" im Gesicht, die Augen mit Gurkenscheiben belegt.

Am nächsten Tag löse ich mein Versprechen ein. Keine Watles-Besteigung, keine Klosterbesichtigung. Nur Sesselliftfahren. Zum Kaiserschmarrn. Am Nebengipfel der erste Halt. Dann weiter zum Pfaffensee, Katharina legt sich auf die Wiese und liest in ihrem Buch. Lynn zieht Schuhe und Hose aus und jagt den Forellen hinterher. Wir pfeifen auf Grashalmen, suchen Blaubeeren, futtern Vinschgauer Brot und hängen einfach nur ab. Langsam verstehe ich, dass zum Abschalten mehr gehört als Technikentzug. Es ist das Sichtreibenlassen, das Wunder wirkt. Bei der Abfahrt im Sessellift ruft Katharina: "Oh, ich hatte die ganze Zeit Empfang. Hab ich gar nicht gemerkt."

Wir sind froh, wieder im "Edelweiß" zu sein, spielen Karten. Um uns herum andere Gäste, die reden, lachen und ebenfalls spielen. "Keiner stört", konstatiert Lynn. "Keiner telefoniert."

Die Wirtin setzt sich zu uns an den Tisch und erzählt von Schlinig, von alten Schmuggelwegen in die Schweiz, dem letzten Bären, der 1874 geschossen wurde, der Schlammlawine, die einst die Felder verwüstete. Die Kinder hängen an ihren Lippen. "Das Dorf ist bestimmt 700 Jahre alt. Aber wir sind nicht hinter dem Mond", sagt Frau Peer. "Biogasanlage, moderne Sennerei. Nach der Schneeschmelze bekommen wir einen Handymast." Katharina sieht bestürzt aus. Man könnte sich doch als handyloses Tal vermarkten, viele Leute würden eine Menge Geld ausgeben, um endlich mal ihre Ruhe zu haben, hake ich ein. Die Wirtin guckt erstaunt. Auf unserer Heimreise markiert das "Hotel Gerstl" die Rückkehr in die Funkwelt. Die Handys piepsen. "Wir könnten sie auch ausstellen", sagt Katharina, der die Ruhe auf dem Berg gutgetan hat. Auch Lynn schaut entspannt aus dem Fenster. "Mama?" Lange Pause. "Wann bekomme ich mal ein eigenes Handy?"